European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00130.17Z.0830.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger hatte aufgrund einer Bekanntmachung auf einer Internetplattform in Neapel von einem privaten Verkäufer einen PKW um 29.500 EUR erworben. Nach Erstellung des Kaufvertrags und Übergabe des Kaufpreises in bar erhielt er das Typenblatt, die Fahrzeugschlüssel, das Serviceheft sowie eine Ausfolgebescheinigung des italienischen Automobilclubs, mit dem die „Echtheit“ des Fahrzeugs bestätigt wurde. Zur Überprüfung der Identität des Verkäufers hatte er sich dessen Personalausweis zeigen lassen und die Nummer am Kaufvertrag vermerkt. Nach Überstellung des Fahrzeugs beantragte er den österreichischen Typenschein, führte die NOVA ab, meldete das Fahrzeug an und ließ es bei einer Werkstätte lackieren. Nachdem er von der Polizei erfahren hatte, dass das Fahrzeug auf einer Fahndungsliste als gestohlen aufscheint, wurde es am 29. 8. 2012 sichergestellt und gegen den Kläger von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach den § 164 Abs 2 und 4 sowie § 223 Abs 2 StGB eingeleitet. Obwohl die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt das Ermittlungsverfahren am 18. 12. 2012 einstellte, teilte sie dem Landesgericht Wiener Neustadt mit, dass kein Anlass für die Aufhebung der Beschlagnahme und Ausfolgung an den Beschuldigten gesehen werde. Sie stellte einen Antrag auf Gerichtserlag gemäß § 1425 ABGB der letztlich erfolglos blieb, weil der Kläger nicht „offensichtlich nicht berechtigt“ im Sinn des § 114 Abs 2 StPO sei. Dem Kläger wurde das Fahrzeug daher erst am 5. 6. 2014 ausgefolgt.
Er begehrt nun aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz verschiedener Schäden, wobei lediglich ein – der Verursachung und der Höhe nach unstrittiger – Betrag von 6.787,18 EUR samt Zinsen Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Er berief sich im Wesentlichen darauf, dass die Beschlagnahme bzw Hinterlegung des Fahrzeugs durch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ab Einstellung des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens rechtswidrig gewesen sei.
Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, der Kläger habe entgegen seiner Auffassung nicht gutgläubig Eigentum am Fahrzeug erworben. Der Staatsanwaltschaft sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen, zumal die Frage des gültigen Eigentumserwerbs von zahlreichen ungeklärten Rechts‑ und Sachverhaltsfragen abhänge, die im Ermittlungsverfahren nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand feststellbar gewesen seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (auch) im Umfang von 6.787,18 EUR samt Zinsen statt. Mit Einstellung des Strafverfahrens sei die Beschlagnahme bei Wegfall der Voraussetzungen gemäß § 114 Abs 2 StPO – unbeschadet der Möglichkeit eines Bedenklich-keitsverfahrens – so bald wie möglich aufzuheben und die Gegenstände seien zugleich an jene Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurden, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. Dies habe auch dann zu erfolgen, wenn andere Personen ebenso schlüssige Ansprüche stellen. Da mit der Einstellung des Strafverfahrens die Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff der Beschlagnahme entfallen sei, hätte sich die Staatsanwaltschaft genau und intensiv mit der betroffenen Rechtsmaterie befassen und anhand der ihr vorliegenden Unterlagen und der vom Kläger dargetanen Ansprüche vor Stellung des Erlagsantrags prüfen müssen, ob allenfalls ein Bedenklichkeitsverfahren im Sinne der §§ 375 ff StPO einzuleiten wäre.
Das Berufungsgericht bestätigte den Zuspruch von 6.787,18 EUR samt Zinsen als Teilurteil und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der Auffassung der Beklagten, die Annahme eines Erlagsgrundes nach § 1425 ABGB sei rechtlich durchaus vertretbar gewesen, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr ergebe sich aus § 114 Abs 2 StPO zwingend, dass im Falle der Einstellung eines Strafverfahrens beim Beschuldigten sichergestellte Sachen auch dann an ihn auszufolgen sind, wenn andere Personen ebenso schlüssige Ansprüche stellen, entfalle doch mit der Verfahrenseinstellung die Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff. Die Staatsanwaltschaft hätte lediglich zu prüfen gehabt, ob der Kläger schlüssige Ansprüche auf den beschlagnahmten PKW stellt und – damit einhergehend – ob er nicht „offensichtlich nicht berechtigt“ iSd § 114 Abs 2 StPO ist. Hier habe sich der Kläger im Ermittlungsverfahren auf einen gutgläubigen Eigentumserwerb am Fahrzeug nach italienischem Sachrecht gestützt und hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht am Fahrzeug aufgrund der mittlerweile in Österreich durchgeführten Reparatur geltend gemacht. Schon wegen des Retentionsrechts nach § 471 ABGB hätte die Staatsanwaltschaft die Schlüssigkeit ebenso wie die offenbare Berechtigung der vom nunmehrigen Kläger erhobenen Ansprüche auf das beschlagnahmte Fahrzeug bejahen müssen. Dem Vorgehen, die Ausfolgung zu verweigern, liege daher eine unvertretbare Rechtsansicht zugrunde, sodass den Organen der Staatsanwaltschaft rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten im Sinn des § 1 Abs 1 AHG anzulasten sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der offenbar fehlenden Berechtigung nach § 114 Abs 2 StPO sowie zur Frage gebe, welche Anforderungen an die Schlüssigkeitsprüfung im Verfahren nach § 114 Abs 2 iVm § 367 StPO zu stellen sind.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängt. Ob eine Berechtigung des von einer Sicherstellung Betroffenen im Sinn des § 114 Abs 2 StPO „offenbar fehlt“, ist stets von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls abhängig und entzieht sich einer generalisierenden Beurteilung. Im Sinne des § 510 Abs 3 ZPO kann sich die Begründung auf ein kurzes Eingehen auf die einzelnen Revisionsargumente beschränken:
1. Dass sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Sicherstellung nicht in der Gewahrsame des Klägers, sondern in der einer Werkstätte befunden hätte, hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Entgegen ihren Ausführungen wurde Derartiges auch nicht vom Erstgericht festgestellt. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgegangen ist, der PKW sei in der Verfügungsmacht des Klägers gestanden, ist dies nicht zu beanstanden.
2. Gemäß § 114 Abs 2 StPO sind sichergestellte Gegenstände sogleich jener Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurden, wenn der Grund für die weitere Verwahrung wegfällt, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. Dass der Grund für die Verwahrung mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger am 18. 12. 2012 weggefallen ist, wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Für ihre Rechtsauffassung, die unterlassene Ausfolgung an den Kläger und der Versuch, das Fahrzeug bei Gericht zu hinterlegen, beruhe auf einer vertretbaren Rechtsansicht der Organe der Staatsanwaltschaft wurde schon im Verfahren erster Instanz kein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet. Das Vorbringen, aufgrund des „ungeklärten Eigentums am Fahrzeug“ habe davon ausgegangen werden dürfen, dass ein Hinterlegungsgrund vorliegt, lässt insbesondere nicht einmal die Behauptung erkennen, dass sich die handelnden Organe mit der Norm des § 114 Abs 2 StPO ausreichend auseinandergesetzt hätten. Die Frage nach der Hinterlegung stellt sich nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes erst dann, wenn die Person, in deren Verfügungsmacht ein Gegenstand sichergestellt wurde, an diesem „offensichtlich nicht berechtigt“ ist. Die hier behauptete Zweifelhaftigkeit der Eigentumsverhältnisse erfüllt die strenge Tatbestandsvoraussetzung der offensichtlichen Nichtberechtigung nicht. Bloße Zweifel an der Verfügungsberechtigung rechtfertigen es gerade nicht, die Herausgabe zu verweigern (15 Os 34/16p ua = RIS‑Justiz RS0130932; 1 Ob 105/17y).
Auch in der Revision wird dazu nichts Nachvollziehbares ausgeführt, sodass in keiner Weise erkennbar ist, inwieweit dem Berufungsgericht ein korrekturbedürftiger, im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblicher, Fehler unterlaufen sein sollte. Auf die Ausführungen zum Erlagsantrag gemäß § 1425 ABGB ist schon deshalb nicht einzugehen, weil sich die Frage nach einem gerichtlichen Erlag erst stellen würde, wenn es vertretbar gewesen wäre, eine offenkundige Nichtberechtigung des Klägers anzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Der Revisionsgegner hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, womit sein Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren ist.
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