OGH 1Ob126/22v

OGH1Ob126/22v14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* und 2. M*, beide vertreten durch die Linsinger & Partner Rechtsanwälte OG in St. Johann im Pongau, gegen die beklagten Parteien 1. J*, 2. U* und 3. Mag. A*, sämtliche vertreten durch Dr. Lorenz Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, wegen Feststellung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. April 2022, GZ 53 R 23/22x‑18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 20. Dezember 2021, GZ 1 C 131/21z‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00126.22V.0914.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.220,98 EUR (darin 203,50 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Erst- und die Zweitbeklagte sind Miteigentümer und der Drittbeklagte ist Eigentümer je einer landwirtschaftlichen Liegenschaft, die über einen Bringungsweg im Sinne des Salzburger Güter- und Seilwegegesetzes 1970 erschlossen wird. Der Bringungsweg beginnt bei der Hofstelle des (seit 2018) im Miteigentum der Kläger stehenden landwirtschaftlichen Anwesens. Um von dem vom Tal herauf führenden Güterweg zum Beginn des Bringungsweges zu gelangen, müsste die Hoffläche der Kläger auf einer Strecke von knapp 40 Metern durchfahren werden. Mitte der 90er‑Jahre errichtete der Rechtsvorgänger der Kläger einen über drei seiner Grundstücke führenden Weg, der nördlich an seinen Gebäuden vorbei eine direkte Verbindung zwischen dem Güterweg und dem Bringungsweg herstellt. Sowohl die Beklagten bzw der Rechtsvorgänger des Drittbeklagten als auch die übrigen Berechtigten des Bringungsweges benutzten seit der Fertigstellung der Umfahrung spätestens ab Ende der 90er‑Jahre nicht mehr den Weg durch den Hof, sondern den Umfahrungsweg als Verbindung zwischen dem Güterweg und dem Bringungsweg. Zumindest zwei Jahrzehnte lang beanstandeten die Kläger bzw deren Rechtsvorgänger die Benützung des Weges nicht.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf § 523 ABGB gestützte Begehren der Kläger, den Beklagten die Benützung des Umfahrungsweges zu untersagen, übereinstimmend ab. Im Zusammenhang mit der Verlegung des Dienstbarkeitsweges auf die Umfahrungsfläche an der Nordseite des Stallgebäudes und die in weiterer Folge über etwa zwei Jahrzehnte unbeanstandete Nutzung dieses Bereichs sei es zur schlüssigen Einräumung einer Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts an die Beklagten gekommen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich des Erst- und der Zweitbeklagten einerseits und des Drittbeklagten andererseits 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zur Rechtsfrage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Dienstbarkeit schlüssig an Wegabschnitten begründet werden könne, die vom Bringungsrecht nicht umfasst seien, aber dem Anschluss an öffentliche Straßen oder einen Güterweg dienten. Mit der Verlegung eines derartigen Wegabschnitts sei der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht befasst gewesen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision der Kläger ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels zu beantwortender erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[4] 1. Der Erwerbstitel einer Dienstbarkeit ist – neben den anderen in § 480 ABGB genannten Fällen – grundsätzlich ein Vertrag, der nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent (§ 863 ABGB) geschlossen werden kann (RS0114010). Richtig ist, dass an schlüssige Servitutsbegründungen strenge Anforderungen zu stellen sind (RS0114010 [T6, T7]). So kommt ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertrag nicht schon durch die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs des dienenden Gutes, sondern erst dann zustande, wenn zusätzliche Sachverhaltselemente den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille der (jeweils) Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (RS0111562).

[5] Die Beurteilung des Vorliegens einer konkludenten Willenserklärung hat allerdings regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor, die im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RS0043253 [T8, T18, T21]).

[6] 2. Dieser Ausnahmefall liegt hier nicht vor:

[7] 2.1. Nach den Feststellungen durchfuhren die Benutzer des (bereits seit den 60er-Jahren bestehenden) Bringungsweges bis in die 90er-Jahre den Hof des klägerischen Anwesens. Anlässlich einer Durchfahrt trat der Rechtsvorgänger der Kläger an den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte heran, teilte ihnen seine Absicht mit, den Weg durch den Hof an die Nordseite des Stallgebäudes zu verlegen, und fragte sie um ihr Einverständnis. Die beiden hatten dagegen keinen Einwand. In der Folge befuhren nicht nur sie, sondern auch der Rechtsvorgänger des Drittbeklagten bzw der Drittbeklagte den neu geschaffenen Verbindungsweg, ohne dass der Rechtsvorgänger der Kläger oder die Kläger selbst dies vor dem Jahr 2019 beanstandet hätten.

[8] 2.2. Davon ausgehend ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die bewusste Duldung der Ausübung der Dienstbarkeit durch ca 20 Jahre müsse hier mit Überlegung aller Umstände (§ 863 ABGB) als schlüssige Einräumung einer Dienstbarkeit (nunmehr am Umfahrungsweg) angesehen werden, nicht korrekturbedürftig. Die Beklagten bzw der Rechtsvorgänger des Drittbeklagten durften redlicherweise davon ausgehen, dass die Einräumung eines – im Einklang mit der neuen Nutzungssituation stehenden – Geh- und Fahrtrechts an der neuen Verbindungsstraße dem Willen des Rechtsvorgängers der Kläger entsprach, trachtete dieser doch erkennbar danach, den Verkehr von der alten Trasse durch den Hof, an der den Beklagten (sogar nach dem Prozessstandpunkt der Kläger) ein Geh- und Fahrtrecht zustand, dorthin zu verlagern. Dieses (vom Erstgericht in seiner Beweiswürdigung näher beschriebene) Interesse der Klagsseite, den Hofbereich freizumachen, zeigt sich schon daran, dass für die Errichtung und Benützung des neuen Weges keine Beiträge von den Beklagten verlangt wurden, ja der Erst- und die Zweitbeklagte sogar um ihre Zustimmung zur Verlegung des Weges ersucht wurden.

[9] 2.3. Der Einwand der Kläger, dass der „alte und ursprüngliche“ Verbindungsweg nach wie vor bestehe und den Beklagten auch möglich und zumutbar wäre, diese Anschlussmöglichkeit zum Bringungsweg zu nutzen, ignoriert dieses bereits von den Vorinstanzen herausgestrichene Interesse, dass der Hof eben nicht mehr befahren wird. Ob das Geh- und Fahrtrecht an der alten Trasse noch aufrecht besteht (wie die Kläger meinen) oder im Abtausch zur neuen Dienstbarkeit erloschen ist, ist aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

[10] 2.4. Die Ausführungen zur Ersitzung gehen, da die Vorinstanzen einen (konkludenten) Vertragsabschluss bejaht haben, ebenso am Thema vorbei wie der Hinweis, dass ein land- und forstwirtschaftliches Bringungsrecht rechtswirksam nur mit Zustimmung der Argarbehörde eingeräumt werden könne. Weder die strittige Umfahrung noch die alte Hofdurchfahrt sind nach den Feststellungen Teil des Bringungsweges. Warum eine zivilrechtliche Dienstbarkeit am Umfahrungsweg, der auch nach Ansicht der Kläger ein „Privatweg“ ist, nicht begründbar sein sollte, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagten haben sich in erster Instanz nicht bloß auf ein „land- und forstwirtschaftliches Bringungsrecht“, sondern sehr wohl auch auf ein konkludent eingeräumtes privatrechtliches Geh- und Fahrtrecht berufen.

[11] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben die fehlende Zulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung releviert (RS0035979 [T16]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte