OGH 1Ob1/10v

OGH1Ob1/10v29.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder 1. Tenzin T***** T*****, und 2. Tenzin L***** T*****, infolge Revisionsrekurses der Mutter Youdon T*****, Indien, vertreten durch Dr. Wolfgang Luschin, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 2009, GZ 45 R 535/08x-112, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 13. Juli 2006, GZ 35 P 39/04s-62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs wird, soweit er die Obsorgeentscheidung betrifft, mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Vater Tashi T*****, vertreten durch Dr. Georg Freimüller, Rechtsanwalt in Wien, hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen, soweit sie auf die Obsorgeentscheidung entfallen.

2. Im Übrigen, also hinsichtlich der Unterhaltsentscheidung, werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Die Eltern der beiden Kinder leben seit vielen Jahren voneinander getrennt. Der ältere Sohn lebt seit Ende 2003 bei seinem Vater in Wien, der jüngere Sohn bei seiner Mutter in Indien. Der beim Vater lebende Sohn wird von diesem und einer Verwandten gut betreut und hat zu beiden ein sehr gutes Verhältnis. Er möchte bei seinem Vater in Österreich bleiben. Der Vater hat in Österreich stets dafür Sorge getragen, dass die Interessen des Kindes bestmöglich gefördert werden.

Der Vater beantragte die Übertragung der alleinigen Obsorge für den älteren Sohn auf ihn, nachdem die Mutter nunmehr in Indien lebe. Die Mutter erklärte sich schriftlich mit der Übertragung der Obsorge auf den Vater einverstanden; sie sei selbst arbeitslos und könne sich finanziell nicht leisten, ihren Sohn zu erhalten, der weiterhin in Österreich aufwachsen solle. Sie selbst beantragte - ersichtlich im Namen des Kindes - die Festsetzung der Unterhaltspflicht des Vaters für das jüngere Kind mit monatlich 20.000 INR.

Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge über den älteren Sohn und übertrug sie dem Vater, wobei es auf die gute Betreuung durch diesen und dessen Verwandte sowie auf das Einverständnis der Mutter mit der Obsorgeübertragung verwies. Den Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter wies es mangels inländischer Gerichtsbarkeit ab (richtig: zurück), weil sich das Kind seit längerer Zeit wieder bei seiner Mutter in Indien aufhalte und keine österreichische Staatsbürgerschaft besitze.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidungen und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Nach den Bestimmungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens habe die Obsorgeentscheidung nach österreichischem Recht zu erfolgen. In Anbetracht der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eltern müsse jedenfalls eine Entscheidung über die Obsorge getroffen werden, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern geschieden seien oder nicht. Entscheidend sei auch nicht die (von der Mutter in Zweifel gezogene) Wirksamkeit ihrer Zustimmungserklärung, vielmehr komme dem Kindeswohl bei der Frage der Obsorgezuteilung oberste Priorität zu. Angesichts der räumlichen Entfernung sei die Mutter an der Ausübung ihrer Obsorgerechte gehindert, weshalb es nicht dem Kindeswohl entsprechen könne, ihr weiterhin die Obsorge zu überlassen. Diese sei vielmehr in Anbetracht der Lebenssituation des älteren Kindes und seines Vaters sowie des guten Verhältnisses zwischen den beiden dem Vater zuzuweisen. Hinsichtlich der inländischen Gerichtsbarkeit unterliege die Mutter einem Rechtsirrtum: Ein Ermessensspielraum für österreichische Gerichte bestünde nur im Fall des § 110 Abs 2 JN, wobei allerdings die inländische Gerichtsbarkeit vorauszusetzen sei. Die in § 110 Abs 1 JN geregelten Voraussetzungen für die inländische Gerichtsbarkeit lägen jedoch nicht vor. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

Dagegen richtet sich der von der Mutter - ersichtlich teils im eigenen Namen, teils im Namen des jüngeren Kindes - erhobene außerordentliche Revisionsrekurs.

Der Vater beantragt in einem als "Rekursbeantwortung" bezeichneten Schriftsatz, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.:

Hinsichtlich der Obsorgeentscheidung nimmt die Revisionsrekurswerberin Nichtigkeit an, weil sie von den Vorinstanzen nie im Rechtshilfeweg gehört worden sei, weshalb fundamentale Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verletzt worden seien. Sie übersieht dabei, dass die bloße Unterlassung einer Beweisaufnahme allenfalls einen Verfahrensmangel, nie aber einen Nichtigkeitsgrund bilden kann. Das Vorliegen eines Verfahrensmangels hat aber bereits das Rekursgericht verneint, zumal der Mutter die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden war. Vor allem aber lässt die Revisionswerberin nicht einmal ansatzweise erkennen, inwieweit die Obsorgeentscheidung der Vorinstanzen unrichtig wäre bzw inwieweit ihre (förmliche) Vernehmung im Rechtshilfeweg zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

Mangels Erörterung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG erweist sich das Rechtsmittel gegen die Obsorgeentscheidung somit als unzulässig.

Der Vater hat die auf die Obsorgefrage entfallenden Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen. Sein Schriftsatz erweist sich nämlich deshalb als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich, weil keine Notwendigkeit zu einer Rechtsmittelbeantwortung besteht, solange der Oberste Gerichtshof nicht die Zulässigkeit des (außerordentlichen) Revisionsrekurses ausgesprochen, also dem Gegner die Einbringung einer Beantwortung freigestellt hat.

Zu 2.:

Revisionsrekurse iSd § 62 AußStrG sind alle Rechtsmittel gegen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene Beschlüsse des Rekursgerichts (vgl nur RIS-Justiz RS0120565; RS0007130), somit auch Rechtsmittel gegen die vom Rekursgericht bestätigte Zurückweisung eines Antrags. Handelt es sich - wie beim vorliegenden Unterhaltsantrag - um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, ist der Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 3 AußStrG jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt - die Rekursentscheidung stammt vom 30. 6. 2009 - 20.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur eine Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG erheben, somit den Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Unzulässigkeitsausspruch abzuändern.

Im vorliegenden Fall begehrt das Kind Unterhalt von umgerechnet rund 300 EUR monatlich. Gemäß § 58 Abs 1 JN ist als Streitwert das Dreifache der Jahresleistung heranzuziehen, somit rund 10.800 EUR. Damit käme nur eine - mit einem ordentlichen Rechtsmittel verbundene - Zulassungsvorstellung an das Rekursgericht in Betracht.

Das Erstgericht wird zu beurteilen haben, ob das Rechtsmittel den Erfordernissen des § 63 Abs 1 AußStrG entspricht (vgl auch § 84 Abs 2 Satz 2 ZPO) oder einer Verbesserung bedarf. Eine Vorlage an den Obersten Gerichtshof kommt jedenfalls nur dann in Frage, wenn das Rekursgericht seinen Unzulässigkeitsausspruch abändern sollte.

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