OGH 1Ob110/12a

OGH1Ob110/12a22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****krankenkasse AG, ***** vertreten durch Dr. Klaus Rinner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Bergbahn H***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Othmar Knödl und Mag. Manfred Soder, Rechtsanwälte in Rattenberg, wegen 33.518,72 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. April 2012, GZ 2 R 45/12b-35, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 22. Dezember 2011, GZ 10 Cg 196/10d-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Wer den Schiverkehr im unmittelbaren Bereich einer künstlichen oder natürlichen Gefahrenquelle eröffnet oder unterhält, hat die Pflicht zur Sicherung des Verkehrs und zur Ergreifung der nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Schutzmaßnahmen (RIS-Justiz RS0023326), wobei der Pistenhalter am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB zu messen ist [T18]. Von der Absicherungspflicht sind auch knapp außerhalb der Piste befindliche Gefahrenquellen erfasst, weil mit einem Sturz von Schifahrern über den Pistenrand hinaus gerechnet werden muss (RIS-Justiz RS0023499). Ob der Pistensicherungspflicht Genüge getan wurde, hängt von den besonderen Umständen jedes einzelnen Falls ab (RIS-Justiz RS0109002), sodass sich regelmäßig erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht stellen. Eine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.

2.) Im vorliegenden Fall ist der Schifahrer aufgrund eines Verschneidens der Schi zu Sturz gekommen, quer über die Piste gerutscht und über eine an den linken Pistenrand anschließende steile Böschung in einen Graben auf dort senkrecht aufgeschlichtete spitze Steine gestürzt. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen werden derartige nahe dem Pistenrand befindliche Abbrüche bei Wahrnehmung des üblichen Sicherheitsstandards mit einer Absperrung abgesichert, die auch insoweit die Funktion eines Sicherheitsnetzes übernehmen kann, als ein Abstürzen in den nahezu schneefreien Graben durch einen bei angemessenem Tempo stürzenden Schifahrer verhindert wird.

Angesichts der eingangs dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die von der Beklagten vorgenommene bloße Sichtabsperrung durch ein Polyäthylennetz sei nicht ausreichend gewesen, keineswegs als bedenklich anzusehen werden, zumal dieses auch zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich um eine als „leicht“ gekennzeichnete Piste gehandelt hat, die zur Umfahrung einer schweren Piste dient, sodass auch mit Stürzen durch ungeübte oder ungeschickte Schifahrer gerechnet werden muss.

3.) Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Beweispflicht der Beklagten für jene von ihr behaupteten Umstände angenommen, die ein Mitverschulden des Verletzten begründen könnten. Nach den getroffenen Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verletzte durch unvorsichtiges oder unangepasstes Fahrverhalten seinen Sturz herbeigeführt hätte (vgl nur RIS-Justiz RS0023465). Die Revisionsbehauptung, er sei am linken Pistenrand abgefahren und hätte wegen der Nähe zur (erkennbaren) Gefahrenstelle eine besonders vorsichtige Fahrweise wählen müssen, ist aktenwidrig, steht doch vielmehr fest, dass die Abfahrt am rechten Pistenrand stattgefunden hat. Der später Verletzte musste daher nicht damit rechnen, bei einem Sturz in diesem Bereich letztlich über den linken Pistenrand hinaus zu geraten. Dafür, dass es dem Verletzten unschwer möglich gewesen wäre, ein Überschreiten des Pistenrandes nach seinem Sturz durch ein bestimmtes Verhalten während der Rutschphase zu vermeiden, gibt es keine Anhaltspunkte, zumal sich der in eigenen Angelegenheiten zu beachtende Sorgfaltsmaßstab grundsätzlich nach einem durchschnittlichen Benützer einer solchen (leichten) Piste richtet.

Auch die Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Geschädigten wirft im Übrigen wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl nur RIS-Justiz RS0087606 [T10, T11]).

4.) Unberechtigt sind letztlich auch die Vorwürfe der Revisionswerberin, die Vorinstanzen hätten zu maßgeblichen Umständen keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Zur Fahrgeschwindigkeit vor dem Sturz haben die Vorinstanzen festgestellt, dass der Verletzte das Tempo den Parallelschwüngen fahrenden Kindern im Alter von neun bzw zehn Jahren anpasste und die Passage mit einer Geschwindigkeit von ca 35 bis 42 km/h durchfahren wollte. Warum noch eine zusätzliche Feststellung über die „Abfluggeschwindigkeit“ erforderlich sein sollte, ist nicht verständlich. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Geschwindigkeit von ca 35 km/h sei nicht als unangemessen anzusehen, erscheint nicht bedenklich. Dass der Verletzte unter den sonst festgestellten Umständen auch ein ausreichend befestigtes Sicherheitsnetz durchstoßen hätte und in den Graben gestürzt wäre, hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Dass es sich um eine natürliche Geländeform gehandelt hätte, wurde schon deshalb zutreffend nicht festgestellt, weil das Vorhandensein von „aufgeschlichteten“ spitzen Steinen nur auf menschliche Tätigkeit zurückgehen kann. Eine ausdrückliche Feststellung darüber, dass der Graben, der Bewuchs und das Randnetz für den Verletzten aus einer Entfernung von mindestens 100 m bereits erkennbar waren, war entbehrlich, ist das Berufungsgericht doch ohnehin von einer solchen Erkennbarkeit ausgegangen. Wie dargelegt, musste der Verletzte aber nicht damit rechnen, bei einem Sturz am anderen Pistenrand in den Gefahrenbereich zu geraten. Schon gar nicht war - auch nach den von der Revisionswerberin gewünschten Feststellungen - das Vorhandensein eines Grabens mit aufgeschlichteten spitzen Steinen hinter dem Randnetz zu erwarten.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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