European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00101.13D.0829.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.080,11 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei hatte von einer GmbH eine Liegenschaft zum Betrieb einer Tankstelle gemietet. Die Vermieterin hatte nach dem Inhalt des Mietvertrags die Kosten einer Dekontaminierung der Liegenschaft bis zu einem Betrag von 900.000 S brutto selbst zu tragen. Im März 1998 brachte sie gegen die (hier) klagende Partei eine Klage auf Zahlung von 19.439.766,08 S (1.412.742,90 EUR) samt 5 % Zinsen seit 12. 9. 1996 ein. Sie begehrte den Ersatz der für die Dekontaminierung aufgewendeten, 900.000 S übersteigenden Kosten. Mit Urteil vom 28. 7. 1999 wurde das Klagebegehren in erster Instanz als verjährt abgewiesen. Das Urteil wurde in zweiter Instanz im Dezember 1999 bestätigt. Der Oberste Gerichtshof gab der außerordentlichen Revision der Vermieterin am 16. 8. 2001 Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurück. Er verneinte den Eintritt der Verjährung. Im Jänner 2002 schränkte die Klägerin das Klagebegehren auf 1.331.885,54 EUR sA ein; ein Aufwand von 67.381,13 EUR hätte die Dekontaminierung von nicht aus dem Tankstellenbetrieb stammenden Stoffen betroffen. In der Verhandlung vom 19. 5. 2003 wurde das Zinsenbegehren auf 8 % über dem Basiszinssatz seit 1. 8. 2002 ausgedehnt. Die Mieterin anerkannte in dieser Verhandlung einen nicht näher gewidmeten Teilbetrag von 216.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 5. 1998. Im zweiten Rechtsgang kam es in erster Instanz zu mehrfachem Richterwechsel, zeitaufwändiger Einholung eines Sachverständigengutachtens und dessen Erörterung sowie zur Einbringung umfangreicher Schriftsätze (auch) der Mieterin, die wiederholt die Fachkompetenz des Sachverständigen sowie die Richtigkeit des Gutachtens bezweifelte. Erfolgreich war sie mit ihrem Fristsetzungsantrag vom 8. 10. 2007, dem das übergeordnete Gericht mit Beschluss vom 24. 10. 2007 Folge gab. Am 12. 12. 2008 wurde die mündliche Verhandlung erster Instanz geschlossen. Sein 160‑seitiges Urteil fertigte das Gericht erster Instanz am 13. 2. 2009 aus. Es verurteilte die beklagte Mieterin zur Zahlung von 395.354,70 EUR samt 5 % Zinsen vom 1. 5. 1998 bis 31. 7. 2002, weiteren Zinsen von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. 8. 2002, 5 % übersteigenden Zinsen aus 216.000 EUR sowie 4 % Zinseszinsen seit 13. 12. 2005. Ein Teilbegehren von 18.088,43 EUR sA sowie ein Zinsenteilbegehren wies es ab. Über das restliche Begehren erging ein Zwischenurteil. Das Teilurteil des Erstgerichts wurde vom Berufungsgericht bestätigt. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision der Mieterin am 22. 2. 2011 zurück.
Die klagende Partei (beklagte Mieterin im Vorprozess) begehrt aus dem Titel der Amtshaftung 204.300,40 EUR sA als Ersatz jener Zinsen, die sie ihrer früheren Prozessgegnerin ausschließlich aufgrund der Verfahrensverzögerung durch Gerichte (von insgesamt vier Jahren, zehn Monate und zehn Tagen) zu zahlen habe. Ohne diese (im Detail dargelegten) Verzögerungen hätte sich ihre Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen an die erfolgreiche Prozessgegnerin um den eingeklagten Betrag verringert. Zusätzlich erhob sie ein Feststellungsbegehren.
Die beklagte Partei wendete ein, dass eine objektive Säumigkeit noch kein subjektives Organverschulden bedeute. Die Klägerin habe den Vorprozess als Beklagte selbst erheblich verzögert. Sie treffe daher das Alleinverschulden, jedenfalls aber ein Mitverschulden. Aus Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs könne nach § 2 Abs 3 AHG kein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden. Verzugszinsen stünden mit Verfahrensverzögerungen in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil sie nur dazu dienten, dem Gläubiger einer berechtigten Forderung jenen Schaden zu ersetzen, den ihm der Schuldner durch die rechtswidrige Nichtzahlung zufüge. Die klagende Partei müsse sich jene Vorteile anrechnen lassen, welche sie aus der Nutzung des Kapitals während ihres objektiven Zahlungsverzugs bis zur tatsächlichen Zahlung erlangt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In der rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass aus Entscheidungen von Höchstgerichten nach § 2 Abs 3 AHG kein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden könne. Der Begriff „Entscheidung“ erfasse nicht nur den Inhalt der schriftlichen Ausfertigung, sondern auch den Entscheidungsvorgang an sich, demnach auch die zur Fällung und Ausfertigung der Entscheidung benötigte Zeit. Der Rechtsträger sei zwar verpflichtet, die zeitgerechte Erledigung der Aufgaben zu gewährleisten, was allerdings nicht den Schutz des Einzelnen bezwecke. Die Fristgebote der §§ 415 ZPO, 110 Geo wendeten sich nur an den Richter. Abhilfe sei durch einen Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG zu suchen, der als Rechtsmittel im Sinn des § 2 Abs 2 AHG der klagenden Partei zur Vermeidung eines Teils der behaupteten Verzögerung zur Verfügung gestanden sei. Die Unterlassung der Erhebung weiterer Fristsetzungsanträge führe nach § 2 Abs 2 AHG zum teilweisen Verlust des Anspruchs. Es verbleibe eine Verfahrensverzögerung über einen Zeitraum von zwei bis vier Monaten, für den der klagenden Partei aufgrund ihres erfolgreichen Fristsetzungsantrags die Verletzung der Rettungspflicht nicht vorgeworfen werden könne. Eine schuldhafte Verfahrensverzögerung führe aber noch nicht ohne Weiteres zu einem Vermögensschaden und damit zu einem Amtshaftungsanspruch nach § 1 Abs 1 AHG. Voraussetzung sei jedenfalls, dass die übermäßige Verfahrensdauer zugleich auch zu vermeidbaren Mehrkosten auf Seiten der Partei geführt habe. Dies sei nur dann der Fall, wenn in unvertretbarer Auslegung von Vorschriften des materiellen und/oder formellen Rechts unnötige Kosten verursachende Verfahrensschritte unternommen oder veranlasst worden seien. Verzugszinsen seien jedoch keine unmittelbare Folge einer deliktischen Schädigung. Sie dienten nur der Vergütung jenes Schadens, den ein Schuldner seinem Gläubiger durch die Verzögerung der Zahlung des geschuldeten Kapitals zugefügt habe. Der Grund für die Verpflichtung der klagenden Partei (beklagte Partei des Anlassverfahrens) bestehe darin, dass sie ihrer Gläubigerin deren berechtigte Forderungen nicht bei Fälligkeit gezahlt habe. Sie sei damit die eigentliche Schädigerin, weil die nicht erfolgte Zahlung auf ihrem freien Willensentschluss beruhe. Die Bestimmungen über den Zivilprozess verfolgten nicht den Zweck, den Verzug mit der Zahlung berechtigter Forderungen zu fördern und den Schuldner bezüglich der Höhe seiner aus eigenem objektiv rechtswidrigen Verhalten resultierenden Schadenersatzpflicht (Zinsen) zu entlasten. Anders läge der Fall, würden etwa solche Verzugszinsen wegen Insolvenz des Schuldners ganz oder teilweise uneinbringlich. Dann wäre der sich nicht rechtswidrig verhaltende Gläubiger durch eine Verfahrensverzögerung geschädigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen sei nach § 1333 ABGB nur, dass der Schuldner eine Geldschuld im Fälligkeitszeitpunkt nicht bezahlt habe. Der Anspruch auf die gesetzlichen Verzugszinsen sei verschuldensunabhängig, der objektive Verzug daher ausreichend. § 1333 ABGB und § 352 UGB verschafften dem Gläubiger somit einen pauschalierten Schadenersatz. Weder der Nachweis der Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens noch ein Verschulden des Schuldners an der Zahlungsverzögerung sei Voraussetzung. Bei einem verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch könne es keine Rolle spielen, ob eine beklagte Partei die eingeklagte Forderung mit mutwilligen oder mit aussichtsreichen Argumenten bestreite oder ob diese Streitpunkte in einem einfachen und kurzen oder in einem aufwändigen Verfahren mit umfangreichen Beweisaufnahmen zu klären seien. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise habe es der Schuldner immer selbst in der Hand, eine Forderung bei deren Fälligkeit zu begleichen. Jenen Schaden, der dem Schuldner dadurch entstehe, dass er bei Fälligkeit die Forderung nicht beglichen habe, füge er sich in jedem Fall selbst zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die klagende Partei macht einen reinen, angeblich nur auf Verzögerungen eines Zivilprozesses durch Gerichte zurückzuführenden Vermögensschaden geltend. Ihr Amtshaftungsanspruch setzt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0031143 [T5]; jüngst 1 Ob 208/12p = JBl 2013, 183 mwN) voraus, dass jene Normen, die von Gerichtsorganen eine rasch oder innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmende Erledigung fordern, den Zweck verfolgen, auch den hier eingetretenen Schaden zu verhindern. In Betracht kommen die Bestimmungen der § 49 Abs 1, § 110 Abs 1 der Geschäftsordnung der Gerichte I. und II. Instanz (Geo), § 415 und § 180 Abs 3 ZPO.
§ 49 Abs 1 Geo regelt unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten der Richter und sonstigen Bediensteten des Gerichts“, dass die bei Gericht verwendeten Personen die ihnen übertragenen Geschäfte dem Gesetz und den sonstigen Vorschriften gemäß nach bestem Wissen und Können mit tunlichster Raschheit auszuführen haben. § 110 Abs 1 Geo sieht unter anderem Fristen für gerichtliche Erledigungen vor. § 415 ZPO fordert die Einhaltung einer vierwöchigen Frist für das Verfassen und die Abgabe schriftlicher, nicht verkündeter Urteile. Das Gebot einer zügigen Verfahrensführung kommt auch in § 180 Abs 3 ZPO zum Ausdruck. Nach dieser Bestimmung hat der Vorsitzende unter anderem dafür Sorge zu tragen, dass eine Verhandlung, soweit tunlich, ohne Unterbrechung zu Ende geführt wird.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 49 Abs 1 und § 110 Abs 1 Geo Schutzgesetze zugunsten der betreibenden Gläubiger gegen Vermögensnachteile sind, die ihnen aus einem nicht mit tunlicher Raschheit angeordneten Vollzugsauftrag erwachsen (1 Ob 10/96). In der ebenfalls einen Amtshaftungsanspruch betreffenden Entscheidung 1 Ob 191/99s wurden die zitierten Bestimmungen der Geo als Schutzgesetze auch zugunsten der von einem Strafverfahren Betroffenen gegen Vermögensnachteile, die ihnen aus nicht mit tunlicher Raschheit angeordneten Maßnahmen erwachsen, angesehen. In der höchstgerichtlichen Judikatur (Nachweise bei Schragel in Fasching/Konecny 2 § 180 ZPO Rz 23 sowie AHG 3 § 1 Rz 153) wurde auch anerkannt, dass in Verwaltungsverfahren aufgetretene Verzögerungen, insbesondere durch die Verletzung von Erledigungsfristen, Amtshaftungsansprüche begründen können. Aus dieser dargestellten höchstgerichtlichen Judikatur ist abzuleiten, dass Bestimmungen über eine rasche und fristgerechte Erledigung in einem Zivilprozess (wie im Anlassverfahren) nicht nur den Interessen der Öffentlichkeit dienen, sondern auch jenen der Rechtsschutz suchenden Parteien. Für die Begrenzung der Amtshaftung nach dem Schutzzweck der Norm ist nicht nur zu prüfen, ob diese neben der Allgemeinheit auch den Einzelnen schützt (persönlicher Schutzbereich). Maßgeblich ist zudem, vor welchen Schäden ein Schutzgesetz den Einzelnen bewahren soll (vgl allgemein zum persönlichen und sachlichen Schutzbereich: Karner in KBB 3 § 1311 ABGB Rz 5; Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 1311 Rz 12 ff mwN).
Die klagende Partei fordert hier den Ersatz von Verzugszinsen, zu deren Zahlung an die Prozessgegnerin sie in einem Zivilprozess rechtskräftig verurteilt wurde. Ihrer Argumentation nach hätte sich die Ersatzpflicht bei zügiger Verfahrensführung und Einhaltung von Erledigungsfristen um den Klagsbetrag verringert. In ihren Ausführungen ignoriert sie allerdings, dass sie nach den Bestimmungen des Mietvertrags ihre vertragliche Verpflichtung verletzte, das gemietete Tankstellengrundstück nicht in einem Zustand zurückzustellen, der einen die vertraglich festgelegte Grenze von 900.000 S brutto übersteigenden Aufwand für die Dekontaminierung erfordert hätte. Die Weigerung, eine berechtigte Forderung ihrer früheren Vermieterin und Vertragspartnerin zu begleichen, war ausschlaggebend für die Begründung ihrer Verpflichtung, Verzugszinsen zu zahlen. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, mit Bestimmungen über eine rasche Erledigung eines Zivilprozesses die Interessen eines (vertragsbrüchigen) Schuldners zu schützen, der seine Zahlungspflicht zu Unrecht bestreitet und sich auf einen Prozess einlässt. Einem beklagten Schuldner soll zwar keineswegs das Recht genommen werden, eine eingeklagte Forderung zu bestreiten und sein auf die Abweisung des Klagebegehrens mangels Berechtigung der Forderung gerichtetes Rechtsschutzziel (soferne er daran interessiert ist, auch ohne Verfahrensverzögerung) zu erreichen. Lässt er sich aber auf den Prozess ein und unterliegt, fällt seine rechtskräftige Verurteilung zur Zahlung von Verzugszinsen in seinen Risikobereich. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 1 Ob 237/02p, wird darin doch als Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch gefordert, dass eine übermäßige Verfahrensdauer zu vermeidbaren Mehrkosten auf Seiten der Partei (eines Zivilprozesses) geführt hätte. Wie schon die Vorinstanzen erkannten, hätte die klagende Partei den Eintritt ihres Schadens durch rechtzeitige Zahlung der letztlich im Prozess rechtskräftig zugesprochenen Forderung ihrer Prozessgegnerin verhindern können.
Der Amtshaftungsanspruch der klagenden Partei scheitert somit bereits am Fehlen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs, weshalb auf die weiteren, in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen nicht einzugehen ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.
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