OGH 17Os7/17h

OGH17Os7/17h15.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jasmin N***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 125 Hv 150/14s des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0170OS00007.17H.0515.000

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Jasmin N*****, AZ 125 Hv 150/14s des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt. Das Urteil dieses Gerichts vom 26. Jänner 2015, GZ 125 Hv 150/14s‑11, wird aufgehoben.

 

Gründe:

Mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteil wurde Jasmin N***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der Bestechung nach §§ 12 zweiter Fall, 307 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er Mitte Juni bis Mitte Juli 2013 in Wien „in Kenntnis des Tatplans

I./ mittels des abgesondert verfolgten unbekannt gebliebenen Täters 'Michi' und mittels des abgesondert verfolgten Saffet A***** die abgesondert verfolgte Zaklina B*****, die zu diesem Zeitpunkt als Kanzleigehilfin der Magistratsabteilung ***** der Stadt Wien, in deren Funktion sie die Ausstellung von Bescheiden gemäß § 45 Abs 2 StVO 1960 und §§ 45 Abs 4a iVm 43 Abs 2a Z 2 StVO 1960 sowie die Ausstellung der bezughabenden Einlegetafeln gemäß Anlage II./ III./ bzw. VIII./ der wr Pauschalierungs-verordnung vorzubereiten und sodann zur Approbation durch Abteilungsleiter Ing. T***** vorzulegen hatte, bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), als Beamtin der Gemeinde Wien, mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, nämlich die Gemeinde Wien an ihrem Recht auf Einhebung der Parkometerabgabe (vgl § 45 Abs 2, 4 und 4a StVO 1960 iVm §§ 2 und 4 wr. Pauschalierungsverordnung), ihre Befugnis, im Namen der Gemeinde Wien als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen und die oben beschriebene nachangeführt individualisierte Einlegetafel ohne entsprechenden formellen Antrag und ohne Prüfung des Antrags auf das Vorliegen der von der Gemeinde Wien festgelegten Ausstellungsvoraussetzungen unter Verwendung von Original-Folien und Original-Einlegetafeln für die von ihm gewünschten Bezirke, gegen Bezahlung eines nicht den festgesetzten Tarifen entsprechenden Entgelts herzustellen, indem er dem Vermittler einen Auftrag zur Herstellung einer oben beschriebenen Einlegetafel für das Kennzeichen W ‑ ***** für die Bezirke 12, 14 und 15 befristet bis Juni 2015 erteilte und dafür ein Entgelt von 300 Euro bezahlte;

II./ durch die zu I./ angeführte Handlung mittels des abgesondert verfolgten bislang unbekannten Täters 'Michi' den abgesondert verfolgten Saffet A***** bestimmt, einem Amtsträger, nämlich abgesondert verfolgter Zaklina B*****, für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil in Bezug auf einen 3.000 Euro nicht übersteigenden Wert zu gewähren“.

Rechtliche Beurteilung

Bei Prüfung der Akten ergaben sich – wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend ausführt – erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zu Grunde gelegten Tatsachen:

Bei einem in gekürzter Form ausgefertigten Urteil (§ 270 Abs 4 StPO) ersetzt das Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiell-rechtliche Beurteilung (RIS‑Justiz RS0125032).

Vorliegend gingen die Tatrichter im Wesentlichen davon aus, Jasmin N***** habe „in Kenntnis des Tatplans“ Zaklina B***** über teils unbekannte Vermittler dazu bestimmt, ihre Befugnis, als Kanzleigehilfin des Magistrats der Stadt Wien, Bescheide über die Erteilung von Ausnahmebewilligungen nach § 45 Abs 2 und 4a iVm § 43 Abs 2a Z 2 StVO sowie die Ausstellung von Einlegetafeln (vgl § 5 Abs 1 der Wiener Pauschalierungsverordnung [ABl 2007/29]) vorzubereiten und ihrem Abteilungsleiter zur Approbation vorzulegen, zu missbrauchen.

Derartige – einen Hoheitsakt vorbereitende – Tätigkeiten eines Beamten (im strafrechtlichen Sinn) sind zwar grundsätzlich Amtsgeschäfte im Sinn des § 302 Abs 1 StGB (RIS‑Justiz RS0130809, vgl auch RS0095963). Die unmittelbare Täterin Zaklina B***** gab als Beschuldigte vernommen jedoch an, in den inkriminierten Fällen nie vorgehabt zu haben, eine (ihr zukommende) darauf gerichtete Befugnis zu gebrauchen. Vielmehr bestand ihr (nach entsprechender Vorbereitung entwickelter) Tatplan darin, Einlegetafeln ohne Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens (Prüfung von in einem formellen Antrag dargelegten Ausstellungsvoraussetzungen, Entrichtung der pauschalierten Parkometerabgabe) unter Verwendung der Original-Rohlinge und unter Fälschung der Unterschrift des Abteilungsleiters (gegen Entgelt) anzufertigen. Dies habe sie Saffet A***** auch mitgeteilt (ON 3 S 141, vgl auch ON 3 S 25).

Gegen die Sachverhaltsannahme, Jasmin N***** (der sich verantwortete, die Einlegetafel gutgläubig erworben und verwendet zu haben [ON 2 S 43]) habe in Kenntnis dieses Tatplans (willentlich) zum Gebrauch (irgend‑)einer Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften bestimmt, bestehen demnach (in Ermangelung anderer, in diese Richtung weisender Verfahrensergebnisse) erhebliche Bedenken. Da dies aber (sachverhaltsmäßig) Voraussetzung für die Subsumtion sowohl nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (I) als auch nach §§ 12 zweiter Fall, 307 Abs 1 StGB (II) ist, schlagen die Bedenken auf beide Schuldsprüche durch.

Bleibt mit Bezug auf die weiteren Ausführungen der Generalprokuratur anzumerken, dass die Verantwortung des Jasmin N*****, die erste Initiative zur Beschaffung einer (gefälschten) Einlegetafel sei nicht von ihm, sondern von den Mittelsmännern ausgegangen (vgl ON 2 S 43), ebenso wenig wie die von Zaklina B***** geschilderte grundsätzliche Tatbereitschaft (vgl ON 3 S 141) erhebliche Bedenken gegen die Annahme weckt, Jasmin N***** habe durch das ihm vorgeworfene Verhalten den Tatentschluss der weiteren Täter (in seiner konkreten Form) erst geweckt (vgl RIS‑Justiz RS0089607; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 55 f; zur Strafbarkeit eines [fehlgeschlagenen] Bestimmungsversuchs vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0109797).

Es war daher im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten zu verfügen und das Urteil aufzuheben.

Da eine sofortige Entscheidung in der Sache in Form eines Freispruchs oder einer Verurteilung nach einem milderen Strafsatz (zur strafrechtlichen Beurteilung eines derartigen – von der Anklage erfassten – Sachverhalts vgl 17 Os 14/15k und 17 Os 49/14f) ohne Durchführung eines weiteren Beweisverfahrens nicht in Betracht kam, tritt das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens (§ 362 Abs 4 iVm § 358 Abs 2 StPO; Ratz, WK‑StPO § 362 Rz 10).

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