OGH 17Os35/15y

OGH17Os35/15y7.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang K***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 16. Oktober 2015, GZ 16 Hv 1/15a‑89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Haberer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0170OS00035.15Y.0307.000

 

Spruch:

I/ Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

II/ In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch und in der Subsumtionseinheit sowie im Strafausspruch aufgehoben, und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Wolfgang K***** ist schuldig, er hat von 2001 bis 2003 in B***** als Bediensteter des Finanzamts B*****, mithin als Beamter (im strafrechtlichen Sinn), mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Steuereinhebung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ‑ nachdem er in die Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung des Josef B***** für die Jahre 2000, 2001 und 2002 jeweils die Steuerbemessungsgrundlage mindernde Beträge, nämlich Pauschalbeträge für ein behindertes Kind mit erhöhter Familienbeihilfe samt Schulgeld und (für das Jahr 2002) für eine 70%ige Behinderung seiner Frau, ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aufgenommen hatte ‑ die Erklärungen nach deren Einreichung selbst bearbeitete und freigab, wodurch elektronisch entsprechende Bescheide erlassen und Steuern um insgesamt 8.615,97 Euro zu niedrig festgesetzt wurden.

Wolfgang K***** hat hiedurch und durch die bereits abgeurteilten Taten das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür ‑ unter Einbeziehung des (rechtskräftigen) Teils des Schuldspruchs ‑ zu einer Freiheitsstrafe von

fünfzehn Monaten

verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

III/ Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

IV/ Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang K***** ‑ neben einem Freispruch hinsichtlich des zuvor wiedergegebenen Anklagevorwurfs ‑ im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 17 Os 15/14f, EvBl 2014/122, 835) erneut des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er von 2004 bis 2008 in 39 Fällen als Beamter in der zuvor genannten Funktion und auf die oben beschriebene Weise seine Befugnis bei der Bearbeitung von ihm zuvor selbst erstellter Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung von zwölf (im Urteil namentlich genannten) Steuerpflichtigen durch gesetzwidrige Anerkennung von steuermindernden Beträgen (insbesondere Werbungskosten, außergewöhnlichen Belastungen und Sonderausgaben) wissentlich missbraucht, wobei er mit dem Vorsatz handelte, dadurch den Staat an dessen Recht auf Steuereinhebung zu schädigen und einen Steuerausfall von etwa 26.000 Euro herbeiführte.

Rechtliche Beurteilung

Mit jeweils aus Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffener Nichtigkeitsbeschwerde bekämpfen der Angeklagte den Schuldspruch, die Staatsanwaltschaft den Freispruch. Nur Letztere ist im Recht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Missbrauch der Amtsgewalt setzt tatsächliche Verursachung eines Schadens nicht voraus (RIS‑Justiz RS0130266), weshalb die Kritik, das Erstgericht habe bei der Schadensberechnung die „nachträgliche Beibringung von Unterlagen“ (welche ‑ ersichtlich gemeint ‑ zu einer Reduzierung von Rückforderungen gegen die Steuerpflichtigen in den wieder aufgenommenen Verfahren führten) „nicht berücksichtigt“, auf sich beruhen kann.

Der Einwand, der Beschwerdeführer sei „bei seinen Taten stets davon ausgegangen, dass eine richtige Bemessung erfolgt“, und habe daher nicht mit Schädigungsvorsatz gehandelt, bekämpft bloß die gegenteiligen Feststellungen (vgl etwa US 10) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Das Erstgericht traf hinsichtlich des vom Freispruch erfassten Anklagevorwurfs zwar sämtliche für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen (US 30 f), ging aber von Verjährung der von 2001 bis 2003 begangenen Taten aus (US 40).

Die Staatsanwaltschaft wendet zutreffend ein, dass die Tatrichter die in § 58 Abs 2 StGB normierte Ablaufhemmung unberücksichtigt ließen. Nach dem ‑ als Bezugspunkt der Rechtsrüge deutlich genug angesprochenen (verfehlte rechtliche Erwägungen begründen als solche nämlich keine Nichtigkeit; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 413 f) ‑ Urteilssachverhalt trat Verjährung dieser Taten aufgrund der bis ins Jahr 2008 andauernden Begehung weiterer, mit Strafe bedrohter Handlungen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, bis zur Verjährungshemmung gemäß § 58 Abs 3 Z 2 StGB (infolge Anordnung [vgl § 98 Abs 1 StPO] der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten zu vernehmen US 40) nicht ein.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft waren daher der Freispruch und die Subsumtionseinheit, demzufolge auch der Strafausspruch, aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO in der Sache selbst zu erkennen. Dabei war auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, nachdem eine amtswegige Prüfung keine Begründungs- oder Verfahrensmängel oder erhebliche Bedenken ergeben hatte und den Parteien vor dem Gerichtstag noch eine Frist für das deutliche und bestimmte Vorbringen solcher Einwände eingeräumt worden war (RIS‑Justiz RS0114638; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 415 und § 285 Rz 14), der im Urteilstenor ersichtliche Schuldspruch zu fällen.

Bei der Strafneubemessung wirkten die vielfache Tatwiederholung und der lange Tatzeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) erschwerend, der bisherige ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das teilweise reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und der Umstand, dass der Angeklagte die Taten vor längerer Zeit begangen und sich seither wohlverhalten hat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB), hingegen mildernd.

Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 3 StGB) schlägt der vom Angeklagten verursachte ‑ durch die erfolgreiche Freispruchsanfechtung nicht unwesentlich erhöhte ‑ beträchtliche Schaden zu dessen Nachteil aus. Dieser hat zudem (seinem Berufungsvorbringen zuwider) auch nach seiner eigenen Verantwortung (vgl ON 88 S 8 und 32; vgl auch US 11) nicht bloß aus altruistischen Motiven, sondern teilweise auch zu seinem eigenen Vorteil gehandelt.

Von diesen Erwägungen ausgehend hält der erkennende Senat eine Strafe von 18 Monaten für tat- und schuldangemessen sowie der Täterpersönlichkeit entsprechend. Allerdings hat das Strafverfahren unverhältnismäßig lange gedauert (§ 34 Abs 2 StGB). Der Angeklagte hat von der Tatsache, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wurde (vgl RIS‑Justiz RS0124901), anlässlich seiner Vernehmung durch die Kriminalpolizei im Jänner 2009 erfahren. Bis zur nunmehr rechtskräftigen Beendigung dauerte das Verfahren demnach ‑ ohne dass dies der Angeklagte oder seine Verteidigerin zu vertreten hätten ‑ mehr als sieben Jahre, was ungeachtet gewisser Komplexität des Straffalls nicht mehr angemessen ist. Die dadurch eingetretene Grundrechtsverletzung (Art 6 Abs 1 MRK) war daher anzuerkennen und durch Reduktion der Strafe auf 15 Monate zu kompensieren.

Im Hinblick auf die zuvor genannten Milderungsgründe und die 2008 erfolgte Beendigung des Dienstverhältnisses des Angeklagten zum Bund konnte die Strafe gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen werden.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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