European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0170OS00016.18H.0803.000
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann W***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 21. September 2017 in W***** als Beamter des Zollamts S***** mit dem Vorsatz, dadurch Robert H***** an dessen Grundrecht auf Freiheit zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich allgemeine Maßnahmen der Zollaufsicht nach § 22 Abs 2 und 3 Zollrechts‑DurchführungsG, vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne Grund zur Annahme, dass H***** Waren transportierte, die der zollamtlichen Überwachung unterliegen, dessen Pkw anhielt und durchsuchte.
Dagegen richtet sich die aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil ein nicht geltend gemachter Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Dem Beschwerdeführer liegt nach dem Urteilssachverhalt zur Last, das Fahrzeug des H***** durch Querstellen des eigenen Dienstfahrzeugs am Weiterfahren gehindert zu haben. Grund sei eine vorangegangene Auseinandersetzung der beiden im Straßenverkehr gewesen. Auf diese Weise habe der Beschwerdeführer die bloß aus Ärger ohne Verdachtslage im Sinn des § 22 Abs 3 Zollrechts‑DurchführungsG, mithin missbräuchlich, durchgeführte Kontrolle des Fahrzeugs von H***** erzwungen. Zum Tatbestandsmerkmal des Schädigungsvorsatzes stellte das Erstgericht fest, der Beschwerdeführer habe (nur) mit dem Vorsatz gehandelt, H***** an dessen (Grund‑)Recht auf persönliche Freiheit zu schädigen.
Ein Eingriff in dieses Grundrecht (Art 1 BundesverfassungsG über den Schutz der persönlichen Freiheit [kurz: PersFrG]; Art 5 MRK) liegt jedoch nicht bei jeder Beeinträchtigung, sondern nur bei einer qualifizierten Beschränkung, einem Entzug, der persönlichen Freiheit vor. Darunter sind im Wesentlichen Festnahme und Anhaltung (Letzteres im Sinn einer Aufrechterhaltung des durch Festnahme erfolgten Freiheitsentzugs) zu verstehen. Freiheitsbeschränkungen unterhalb dieser Schwelle, die auch keine Allseitigkeit der Bewegungsbeschränkung darstellen ( Kopetzki in Korinek/Holoubek , B‑VG PersFrG Art 1 Rz 21), tangieren den Schutzbereich des Grundrechts von vornherein nicht.
Der Verfassungsgerichtshof prüft in ständiger Rechtsprechung anhand der Zielsetzung des Eingriffs. Nur wenn die Intention primär auf die Freiheitsbeschränkung gerichtet ist, liegt ein Eingriff in das Grundrecht vor, nicht jedoch, wenn die Freiheitsbeschränkung bloß ein Mittel zur Durchführung einer anderen Maßnahme (etwa einer Sicherheitskontrolle, Identitätsfeststellung, Fahrzeugkontrolle oder der Kontrolle der Alkoholisierung eines Fahrzeuglenkers) darstellt ( Kopetzki in Korinek/Holoubek , B‑VG PersFrG Art 1 Rz 18 bis 21, 38 und 40; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer , Grundriss 11 Rz 1405; Öhlinger/Eberhard , Verfassungsrecht 11 Rz 836 und 838, jeweils mwN). Der EGMR wiederum unterzieht in seiner Spruchpraxis zu Art 5 MRK die Umstände des Einzelfalls (Art, Dauer und Auswirkungen der Maßnahme) einer Gesamtwürdigung nach Art eines beweglichen Systems (RIS‑Justiz RS0127935; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 21 Rz 6 ff; Meyer‑Ladewig/Herrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Rauner [Hrsg], EMRK 4 Art 5 Rz 10 f; Renzikowski in Pabel/Schmahl IntKommEMRK Art 5 Rz 46 ff).
Dass das Verhalten des Beschwerdeführers darauf abgezielt hätte, H***** über das für die Durchführung der Fahrzeugkontrolle (vgl § 22 Abs 3 Zollrechts‑DurchführungsG) erforderliche Ausmaß hinaus festzuhalten, ist dem Urteilssachverhalt gerade nicht zu entnehmen (vgl US 3 f). Die Konstatierung eines auf Schädigung am Grundrecht auf persönliche Freiheit gerichteten Vorsatzes bleibt daher – nach Maßgabe sämtlicher zuvor genannter Kriterien – ohne den nötigen Sachverhaltsbezug (17 Os 51/14z, EvBl 2015/102, 708; RIS‑Justiz RS0119090).
Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Urteils samt Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Auf diese Entscheidung war der Angeklagte mit seinen Rechtsmitteln, die demnach keiner Erörterung bedurften, zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird zu prüfen sein, ob der Vorsatz des Beschwerdeführers bei der Durchführung der Amtshandlung allenfalls auf Schädigung des H***** an einem anderen Recht (vgl etwa RIS‑Justiz RS0127936; Tipold/Zerbes , WK‑StPO § 117 Rz 13 und 15; Wiederin in Korinek/Holoubek , B‑VG EMRK Art 8 Rz 43) gerichtet war.
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