Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In einem von der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 32 St 41/11x gegen Werner F***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren übermittelte die zuständige Staatsanwältin ein Schreiben vom 4. Jänner 2013 an die Verteidiger sämtlicher Beschuldigter, so auch an Dr. Meinhard N***** als Verteidiger des Beschuldigten Dr. Martin H***** (ON 263 S 3). Darin verlieh sie unter Bezugnahme auf einen in der Tageszeitung K***** erschienenen Artikel ihrer Überzeugung Ausdruck, einer der Angesprochenen habe zum „wiederholten Mal“ „Bestandteile des Ermittlungsaktes“ an die Printmedien weitergegeben. Konkret sprach sie dabei das Protokoll über die Vernehmung eines der Beschuldigten an, das der Zeitung nach dem ‑ wörtliche Zitate daraus enthaltenden ‑ Inhalt des Artikels zur Verfügung stehe, obwohl Kopien des im Akt erliegenden Originals nur an Verteidiger übermittelt worden seien. Die Staatsanwältin erinnerte daran, dass „staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren nicht öffentlich geführt werden“ und für sämtliche im gegenständlichen Verfahren Beschuldigte die Unschuldsvermutung gelte, und forderte die Verteidiger auf, „ein solches Vorgehen in Hinkunft zu unterlassen“, da „die Weitergabe von Aktenbestandteilen darüber hinaus einer zweckentsprechenden Führung des Ermittlungsverfahrens keinesfalls dienlich“ sei (ON 250).
Mit der Begründung, er sei durch diese Aufforderung ohne Rechtsgrundlage (§ 54 StPO) in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK beschränkt worden, erhob Dr. Meinhard N***** dagegen Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO (ON 254), dem das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 13. März 2013, GZ 316 HR 5/13z‑266, nicht Folge gab.
Ebensowenig war der dagegen gerichteten ‑ im Wesentlichen auf der selben Argumentation basierenden und zudem unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR (vom 28. Oktober 1999, Wille gegen Liechtenstein, Nr 28396/95) einen mittelbaren Grundrechtseingriff durch die abschreckende Wirkung der Aufforderung („chilling-effect“) behauptenden ‑ Beschwerde ein Erfolg beschieden (Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Mai 2013, AZ 17 Bs 125/13a [ON 282]).
Gegen beide Beschlüsse richtet sich der auf § 363a Abs 1 StPO gestützte Antrag des Dr. Meinhard N*****, in dem er eine Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 MRK) behauptet.
Rechtliche Beurteilung
Indem er sich auf angebliche Einschränkung seiner Befugnisse als Verteidiger beruft, übt er Verfahrensrechte des von ihm vertretenen Beschuldigten aus (§ 57 Abs 2 erster Satz StPO), zeigt jedoch keine Ausübung von Befugnissen der Staatsanwaltschaft in Vollziehung der Strafprozessordnung als Leiterin des Ermittlungsverfahrens auf. Nur gegen rechtsfehlerhafte Befugnisausübung dieser Art (§ 101 Abs 1 erster Satz StPO) aber steht Einspruch wegen Rechtsverletzung und damit Erneuerung des Strafverfahrens ohne Befassung des EGMR offen (zu Befugnis und Rechtseingriff instruktiv Wiederin , WK-StPO § 5 Rz 39 ff [im Druck]; zu den hoheitlichen Handlungsformen der Staatsanwaltschaft auch Schroll , WK-StPO Vor §§ 19 bis 24 Rz 10 ff; zur Irrelevanz bloßer Äußerungen ohne Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt vgl auch 13 Os 70/06b).
Inwiefern aus der Entscheidung des EGMR vom 28. Oktober 1999, Wille gegen Liechtenstein, Nr 28396/95, ein Argument für den im Antrag ‑ zudem ohne Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Oberlandesgerichts (ON 282 S 6 f; vgl RIS-Justiz RS0124359) ‑ vertretenen Standpunkt eines mittelbaren Grundrechtseingriffs zufolge abschreckender Wirkung der Aufforderung („chilling-effect“) zu gewinnen sein sollte, erklärt der Erneuerungswerber nicht. Der EGMR hatte ausdrücklich auf „exercise of sovereign powers … by an organ which was competent to act in the manner it did“ abgestellt und davon gesprochen, dass der in Beschwerde gezogene Akt des Staatsoberhaupts als „reprimand“ für vorangegangene Meinungsäußerung des Beschwerdeführers aufzufassen gewesen sei.
Auf mangelnde Erkennbarkeit des Umstands, dass die Staatsanwältin bei ihrem Appell keine Befugnis als Leiterin des Ermittlungsverfahrens ausgeübt hat, kann sich ein Verteidiger nicht berufen, weil das Gesetz bei den in § 48 Abs 1 Z 4 StPO genannten, als Verteidiger zugelassenen Personen ausreichende Kenntnis strafprozessualer Vorschriften unterstellt.
Dass die Nichtbefolgung der „Aufforderung“ der Staatsanwaltschaft „keine Sanktionen nach sich zieht, sodass die rechtliche Position des Adressaten nach wie vor unverändert bleibt“, und demzufolge mit dem Schreiben mangels Beschränkung einer grundrechtlich gewährleisteten Position durch eine bestimmte Maßnahme kein unmittelbarer Eingriff (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 18 Rz 5) in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (durch „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen“, vgl Art 10 Abs 2 MRK) verbunden war, hat der Antragsteller in der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien im Übrigen selbst eingeräumt (ON 269 S 5, ON 282 S 4).
Hat die Staatsanwaltschaft gar nicht hoheitlich in das Recht nach § 54 erster Satz StPO eingegriffen, erübrigt sich die Frage nach einer Rechtfertigung nach Art 10 Abs 2 MRK.
Zu Recht hat demnach das Oberlandesgericht von einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Appells der Staatsanwältin abgesehen.
Der Antrag war schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
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