OGH 16Ok5/16w

OGH16Ok5/16w7.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Haas und Mag. Tritscher als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, 2. Bundeskartellanwalt, 1011 Wien, Schmerlingplatz 11, gegen die Antragsgegner 1. P***** GmbH, *****, 2. Verein Ö*****, 3. U***** Versicherungen AG, *****, alle vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Prüfung eines Zusammenschlusses, über den Rekurs des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 9. Februar 2016, GZ 27 Kt 2/16w, 27 Kt 3/16t-68, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst :

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0160OK00005.16W.0707.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

I.  Gegenstand der Anmeldung:

Am 31.7.2015 meldete der Erstantragsgegner die Übernahme von mindestens 75 % der Anteile an der G***** Privatklinik Betriebs GmbH („Zielunternehmen“) vom Zweitantragsgegner an. Parallel dazu soll der Erstantragsgegner durch einen Managementvertrag zwischen dem Zielunternehmen und der P***** GmbH die strategische und operative Führung der Privatklinik G***** übernehmen.

II. Die Antragsteller beantragten fristgerecht eine Prüfung des Zusammenschlusses.

III. Festgestellter Sachverhalt:

Der Erstantragsgegner hat seinen Sitz in Wien, wo er zwei Privatspitäler betreibt. Außerhalb von Wien betreibt er in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark Ambulatorien, Kliniken und Rehabilitationszentren. Sein Alleingesellschafter ist der Drittantragsgegner. Dieser bietet als Allsparten-Versicherungsunternehmen auch private Krankenzusatzversicherungen an.

Das Zielunternehmen betreibt die Wiener Privatklinik G*****, die auf Frauenmedizin und Geburten spezialisiert ist. 100 % der Anteile am Zielunternehmen werden vom Zweitantragsgegner gehalten.

In Wien gibt es sechs Privatkrankenanstalten.

Die am angemeldeten Zusammenschluss beteiligten Unternehmen erzielten im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse (Prämieneinnahmen) weltweit von insgesamt mehr als 300 Millionen EUR, im Inland von insgesamt mehr als 30 Millionen EUR und mindestens zwei Unternehmen weltweit von jeweils mehr als fünf Millionen EUR.

Krankenhausdienstleistungen sind in wirtschaftswissenschaftlicher Terminologie sogenannte „Vertrauensgüter“, deren Hauptproblem in den asymmetrischen Informationen zwischen dem Arzt als Experten und den Patienten als Konsumenten bestehen. Der Arzt kann ex ante besser als der Patient einschätzen, welche Behandlung angemessen oder erforderlich ist, und ex post, in welcher Qualität die Behandlung durchgeführt worden ist. Dies kann einerseits dazu führen, dass der Arzt unter Umständen zu viele oder zu teure Behandlungen vorschreibt und damit der Grenznutzen geringer ist als die Grenzkosten („Overtreatment-Phänomen“). Andererseits kann es auch zu einem „Undertreatment“ kommen, wenn etwa ein Arzt eine insuffiziente Behandlungsmethode wählt, oder zum „Overcharging“, wenn ein Krankenhaus qualitativ minderwertige Inputs benützt, aber vorgibt, höherwertige Inputs verwendet zu haben, oder Leistungen verrechnet, die nicht angefallen sind. Der Patient kann auch nach Durchführung der Behandlung nicht feststellen, ob die Qualität zu hoch gewählt wurde. Das Problem verschärft sich weiter, wenn der Patient sehr preisunelastisch nachfragt, weil er keine oder nur unwesentliche Zusatzkosten trägt, da ein großer Teil der Behandlungskosten bereits versunken ist und/oder diese Kosten über Versicherungssysteme sozialisiert sind.

Eine mögliche Antwort des Marktes auf diese Problematik der Vertrauensgüter ist die vertikale Integration. Privatversicherungen haben einen Anreiz, Behandlungskosten zu reduzieren, da dadurch ihre Gewinne steigen. Diese Anreize bestehen weder beim Patienten, dem die Behandlung durch die Versicherung bezahlt wird, noch beim Arzt, für den ähnliches gilt, oder in vollem Ausmaß beim Spital, dessen Kosten ebenfalls zu einem Großteil über die Versicherung sozialisiert werden. Die vertikale Integration ermöglicht daher das Heben von signifikanten Effizienzpotentialen durch das Vergrößern des Kontrollpotentials der Privatversicherungen über die Spitäler und Ärzte. Andererseits eröffnet die vertikale Integration jedoch potentiell Möglichkeiten der Marktabschottung.

Der Zusammenschluss betrifft den Markt für akutstationäre Krankenhausbehandlung in der Sonderklasse und im Privatspital mit Ausnahme der im Privatspital nicht angebotenen medizinischen Leistungen, eingeschränkt auf privatversicherte Patienten, in Wien.

Der gemeinsame Anteil der Zusammenschlussparteien am Markt für Krankenhausdienstleistungen in Wien belief sich im Jahr 2014 auf zumindest 32,4 %. Der Zusammenschluss führt zu einer signifikanten Konzentration im relevanten Markt.

Der im Zusammenhang mit dem angemeldeten Zusammenschluss sachlich und räumlich relevante Markt, auf dem der Drittantragsgegner als Versicherungsunternehmen tätig ist, ist der Markt für private Krankenzusatzversicherungen in Wien. Der Anteil des Drittantragsgegners an diesem Markt beträgt knapp ***** %. Der gemeinsame Anteil der vier größten Unternehmen am österreichischen Markt für Krankenzusatzversicherungen beträgt beinahe 96 %, wovon etwas mehr als die Hälfte auf den Drittantragsgegner entfällt.

Auf dem Markt für „akutstationäre Krankenhausbehandlungen der Sonderklasse und im Privatspital mit Ausnahme der im Privatspital nicht angebotenen medizinischen Leistungen“ würde der Erstantragsgegner durch den Zusammenschluss von etwa 25 % der Umsätze auf etwa 33 % umsatzbasiert wachsen. Damit liegt eine signifikante Marktanteilsaddition vor, die nicht mehr als per se unbedenklich gelten kann. Markteintritte von Privatkliniken oder Ordensspitälern würden etwaige negative wettbewerbliche Auswirkungen der Fusion nicht kompensieren, da jede wesentliche Veränderung des Leistungsangebots der Bewilligung der Landesregierung iSd § 7 Wiener KAG bedarf. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Bedarfsprüfung innerhalb einer kurzen oder mittleren Frist positiv ausgehen würde.

Der Herfindahl-Hirschmann-Index (HHI; zum Begriff: Hoffer, Kartellgesetz 179 f) vor der Fusion liegt bei einem Wert >1000 und nach der Fusion mit 1516 bzw 1586 deutlich darüber. Die entsprechenden Deltas übersteigen 250.

Klassische negative horizontale Effekte wie Preiserhöhung oder Qualitätsreduzierung bei gleichen Preisen durch unilaterales Agieren der Fusionsparteien sind im Fusionsfall nicht zu erwarten. Es gibt in Wien drei sehr starke und unmittelbare Wettbewerber, die bei etwaigen unilateralen Preiserhöhungen oder Qualitätsreduzierungen mehr Patienten behandeln und diese Verschlechterungen verhindern helfen könnten. Auch die restlichen Ordensspitäler und die öffentlichen Spitäler würden – etwa durch den Ausbau der Sonderklasse – als Wettbewerber nicht ausgeschlossen werden können. Weiters gibt es mit den Versicherungsunternehmen, die im Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) zusammengeschlossen sind, eine starke Marktgegenseite. Die Zahlungen des VVO sind die Hauptfinanzierungsquelle der Fusionsparteien und machen insgesamt mehr als 50 % der Erlöse der Spitäler aus. Diese starke Marktgegenseite kann Preiserhöhungen bzw Qualitätsreduzierungen durch die Privatspitäler entgegenwirken.

Auf dem vorgelagerten Versicherungsmarkt entsteht durch den Zusammenschluss keine marktbeherrschende Stellung oder wird eine solche nicht verstärkt. Die vertikalen Aspekte des Zusammenschlusses verstärken aber potentiell mögliche negative wettbewerbliche Auswirkungen. Durch die Verstärkung der vertikalen Integration entsteht auf horizontaler Ebene eine marktbeherrschende Stellung oder wird diese verstärkt. Dieser Entstehung oder Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung wirken allerdings Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen als Folgen des Zusammenschlusses entgegen. In einer ökonomischen Gesamtschau überwiegen die prokompetitiven Effekte die antikompetitiven. Erstens wirkt die vertikale Integration einem Overtreatment entgegen und führt zu einem besseren Monitoring der Privatspitäler und Ärzte. Zweitens hat eine profitorientierte Versicherung einen höheren Anreiz, technologischen Fortschritt zu implementieren, als eine Privatklinik. Drittens ist der Anreiz zur Gesundheitsvorsorge für eine Versicherung höher, da sie Interesse daran hat zu verhindern, dass kostenintensive Spitalsaufenthalte notwendig werden. Dieser Anreiz ist bei einer Privatklinik geringer. Viertens kann der Drittantragsgegner durch die Zusammenlegung der Privatkliniken C***** und G***** eine optimale Betriebsgröße erreichen, die bei etwa 150-200 systemisierten Betten liegt.

Diese Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen treten aber nur dann ein, wenn es durch den Zusammenschluss zu keiner Abschottung der noch verbleibenden drei Privatkliniken in Wien kommt.

Es besteht die realistische Gefahr einer Abschottung der verbliebenen drei Privatspitäler in Wien, wenn Direktverrechnungsvereinbarungen überhaupt nicht, unter diskriminierenden Bedingungen oder unter den Kosten abgeschlossen werden. Ein solches Verhalten würde den verbleibenden Privatspitälern signifikanten Schaden zufügen.

Die vom Erst- und vom Drittantragsgegner angebotenen Verpflichtungszusagen (1. weitgehende Nichtdiskriminierungszusagen; 2. Kontrahierungszwang für eine Direktverrechnungsvereinbarung auf unbestimmte Zeit; 3. Mindestsicherung [die Zahlungen an das jeweilige Sanatorium müssen bei gleichbleibender Leistung im Hinblick auf Anzahl und Art der zu behandelnden Fälle in Summe auf Jahresbasis mindestens gleich bleiben; Wertsicherung dieser Zahlungen auf Basis des Verbraucherpreisindexes 2010 für fünf Jahre]) haben drei potentielle Effekte:

1. die Verhinderung der Abschottung,

2. eine nicht auszuschließende Weitergabe der Preissteigerung bei Versicherungsprämien für die Dauer der garantierten Wertsicherung und

3. eine allenfalls disruptive Kraft im VVO. Diese drei Effekte sind in ihrer Dimension generell eher gering. Die Punkte 1. und 3. sind als positiv, der Punkt 2. als negativ zu bewerten. Da durch die Auflagen die Abschottungswirkung hintangehalten werden kann, kann es in weiterer Folge aber auch zu einem besseren Upstream-Produkt der Versicherungen kommen.

Eine längere Dauer der Wertsicherung als fünf Jahre wäre nicht adäquat, da eine sehr lang andauernde garantierte Valorisierung wie jede Input-Preissteigerung auch potenziell preiserhöhend wirkt. Demgegenüber würde eine längere Dauer der Wertsicherung einen längeren Schutz der betroffenen Privatkliniken bewirken. In der Abwägung dieser Vor- und Nachteile ist eine Wertsicherung für die Dauer von fünf Jahren angemessen, da die Sanatorien ausreichend Zeit haben, um auf die sich ändernden Wettbewerbsbedingungen zu reagieren. Überdies fällt nur die Valorisierung der Mindestsicherung weg, die etwa 50 % der Umsätze der Sanatorien ausmacht.

Die Aufnahme von Sonderklassen der gemeinnützigen Spitäler oder der Ordensspitäler in Wien in die Auflagen ist nicht erforderlich, da eine Abschottungs- oder Verdrängungsstrategie gegen die Sonderklassen dieser Spitäler nicht erfolgreich sein kann. Die Sonderklasse stellt einen viel geringeren Anteil an den Einnahmen dieser Spitäler dar. Zudem herrscht zwischen den Privatspitälern eine engere Substitutionsbeziehung als zwischen Privat- und Ordensspitälern oder zwischen Privat- und gemeinnützigen Spitälern.

IV. Das Erstgericht sprach mit dem angefochtenen Beschluss aus, dass der Zusammenschluss nicht untersagt wird, und verband mit diesem Ausspruch Auflagen, die den Verpflichtungszusagen des Erst- und des Drittantragsgegners entsprechen und die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

1. Verpflichtung des Drittantragsgegners, den übrigen drei Wiener Privatkliniken („Sanatorien“) bis 30. 11. eines jeden Kalenderjahres Direktverrechnungsvereinbarungen („DVVB“) anzubieten, die in Form und Umfang den derzeit mit dem jeweiligen Sanatorium bestehenden DVVB entsprechen; Verbot der Schlechterstellung der Sanatorien im Vergleich zu DVVB, die der Drittantragsgegner mit jenen Privatkliniken in Wien abgeschlossen hat, die mit ihm im Sinn von § 7 Abs 1 und Abs 2 KartG 2005 verbunden sind;

2. Beschreibung der Umstände, die ein Abweichen des Angebots des Drittantragsgegners von bestehenden DVVB erlauben;

3. Valorisierung der in einer Anlage zur DVVB angeführten Tarifpositionen;

4. Meistbegünstigung: Soweit der Drittantragsgegner mit anderen privaten Krankenanstalten in Wien für gleiche Leistungen höhere Preise vereinbart, erhöhen sich die davon betroffenen Preise für die Sanatorien im selben Ausmaß;

5. Verpflichtung des Drittantragsgegners, bei der Beschreibung von Wiener Privatkliniken im Informationsmaterial für Versicherungsnehmer die Sanatorien mit jenen Privatkliniken gleich zu behandeln, die mit ihm im Sinn von § 7 Abs 1 und Abs 2 KartG 2005 verbunden sind.

 

Mit Ausnahme der Verpflichtung zur Wertsicherung gelten die Auflagen auf unbestimmte Zeit.

Die – zuvor unter Punkt III. auszugsweise wiedergegebenen – Feststellungen beurteilte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht dahin, dass der angemeldete Erwerbsvorgang einen Zusammenschluss nach § 7 Abs 1 Z 1 KartG begründe, weil die Schwellenwerte des § 9 Abs 1 KartG 2005 überschritten seien. Die Umsatzschwellen des Art 1 der Europäischen Fusionskontrollverordnung Nr 139/2004 würden nicht erreicht. Nach den Feststellungen komme es durch die Fusion am Markt für akut stationäre Krankenhausbehandlungen der Sonderklasse und im Privatspital mit Ausnahme der nicht im Privatspital angebotenen medizinischen Leistungen zu einer Überschreitung der Marktanteilsschwellen des § 4 Abs 1 KartG 2005. Damit werde die Vermutung der Einzelmarktbeherrschung nach § 4 Abs 2 Z 1 KartG 2005 begründet. Negative horizontale Effekte, nämlich eine Preiserhöhung oder bei gleichen Preisen Qualitätsreduzierung durch unilaterales Agieren der Fusionsparteien seien nicht zu erwarten. Auf dem vorgelagerten Versicherungsmarkt entstehe auch keine marktbeherrschende Stellung oder werde eine solche nicht verstärkt. Durch die Verstärkung der vertikalen Integration entstehe jedoch auf horizontaler Ebene eine marktbeherrschende Stellung oder werde diese verstärkt. Die Vermutung der Einzelmarktbeherrschung nach § 4 Abs 2 Z 1 KartG 2005 habe daher von den Antragsgegnern nicht entkräftet werden können.

Gemäß § 12 Abs 3 KartG 2005 könne das Kartellgericht den Ausspruch, dass der Zusammenschluss nicht untersagt wird, mit Beschränkungen und Auflagen verbinden. Diese könnten einerseits so gewählt werden, dass sie schon keine marktbeherrschende Stellung entstehen lassen oder verhindern, dass eine solche verstärkt wird. Andererseits könnten sie aber auch eine derartige Abfederung der Marktbeherrschungseffekte bewirken, dass durch den Zusammenschluss der Eintritt von Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen, die die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen, zu erwarten sei und damit der Rechtfertigungsgrund nach § 12 Abs 2 Z 1 KartG 2005 vorliege. Diese Voraussetzungen lägen hier vor, da nach den Feststellungen die positiven Effekte der Fusion überwögen, nämlich die vertikale Integration, die einem Overtreatment entgegenwirke und zu einem besseren Monitoring der Privatspitäler und Ärzte führe, der Anreiz der Implementierung technologischen Fortschritts, der höhere Anreiz einer Krankenversicherung zur Gesundheitsvorsorge sowie die Erreichung einer optimalen Betriebsgröße. Die verbesserten Wettbewerbsbedingungen wirkten sich damit auch auf die Struktur des Marktes für private Krankenversicherungen aus. Bei einer Gesamtbetrachtung seien die Auswirkungen auf sämtliche Wettbewerbsbedingungen zu berücksichtigen. Diese Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen träten jedoch nur dann ein, wenn es zu keiner Abschottungswirkung der Privatkliniken komme; solches werde durch die Auflagen erreicht.

V. Gegen diesen Beschluss richtet sich der von den Antragsgegnern beantwortete Rekurs des Bundeskartellanwalts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, dass der Zusammenschluss untersagt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Rekurswerber macht eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Rechtfertigungs- bzw Abwägungsklausel des § 12 Abs 2 Z 1 KartG geltend. Diese setze voraus, dass der Zusammenschluss strukturelle Verbesserungen bewirke, die Dritten zugute kommen müsse. Das Kartellgericht habe jedoch eine Verbesserung der Marktstruktur nicht geprüft, sondern sei pauschal davon ausgegangen, dass die positiven Effekte der Fusion überwögen. Tatsächlich werde durch den Zusammenschluss keine Verbesserung der Marktstruktur erreicht; vielmehr erlange ein bereits auf dem vorgelagerten Markt für private Krankenversicherungen marktbeherrschendes Unternehmen durch den Zusammenschluss auch auf dem Markt für akutstationäre Krankenhausbehandlung in der Sonderklasse und im Privatspital mit Ausnahme der im Privatspital nicht angebotenen medizinischen Leistungen eine marktbeherrschende Stellung. Der Erstantragsgegner sei schon vor dem Zusammenschluss umfassend vertikal integriert gewesen. Das Erstgericht habe nicht dargelegt, inwieweit der Erwerb einer weiteren Klinik kausal sei für die vertikale Integration (die einem Overtreatment entgegenwirke und zu einem besseren Monitoring der Privatspitäler und Ärzte führe), für den Anreiz der Implementierung technologischen Fortschritts und für den höheren Anreiz einer Krankenversicherung zur Gesundheitsvorsorge, und ob sich diese Ziele nicht bereits unter Einbeziehung der bisherigen Akquisitionen verwirklichen ließen. Dass der Drittantragsgegner durch die Zusammenlegung der vom Zielunternehmen betriebenen Privatklinik mit einer vom Erstantragsgegner in Wien betriebenen Klinik eine optimale Betriebsgröße erreichen könne, komme – ebenso wie die übrigen vom Erstgericht genannten Verbesserungen –ausschließlich dem Drittantragsgegner zugute. Das Erstgericht habe auch nicht geprüft, wie und inwieweit andere Anbieter privater Krankenzusatzversicherungen von der vertikalen Integration eines Versicherungsunternehmens (mit einem Marktanteil deutlich über der Marktbeherrschungsvermutung) profitieren könnten. Kein anderer Anbieter privater Krankenzusatzversicherungen habe eine Beteiligung an Privatkrankenhäusern im untersuchten Markt; durch den Erwerb eines dritten Krankenhauses (von insgesamt sechs Krankenhäusern) werde dieses dem Erwerb durch Wettbewerber auf dem Versicherungsmarkt entzogen und den Wettbewerbern damit die Möglichkeit zur Erlangung der im Beschluss genannten Vorteile verwehrt.

Der Senat hat hierzu erwogen:

1. Die Zusammenschlusskontrolle zielt auf die Erhaltung einer Marktstruktur ab, die einen funktionierenden Wettbewerb verspricht (vgl 16 Ok 11/13 = SZ 2014/5; RIS‑Justiz RS0117535).

2. Ein Zusammenschluss ist zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass dadurch eine marktbeherrschende Stellung (§ 4 KartG 2005) entsteht oder verstärkt wird (§ 12 Abs 1 Z 2 KartG 2005). Trotz Vorliegens dieser Untersagungsvoraussetzungen ist der Zusammenschluss nicht zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass „durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen“ (§ 12 Abs 2 Z 1 KartG 2005). Wenn die Voraussetzungen sonst nicht gegeben sind (also die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch den Zusammenschluss zu erwarten ist und auch die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach § 12 Abs 3 KartG 2005 fehlen), kann das Kartellgericht den Ausspruch, dass der Zusammenschluss nicht untersagt wird, „mit entsprechenden Beschränkungen oder Auflagen verbinden“ (§ 12 Abs 3 Satz 1 KartG 2005).

3. § 12 Abs 1 KartG 2005 entspricht inhaltlich § 42b Abs 2 KartG 1988, § 12 Abs 2 KartG 2005 entspricht § 42b Abs 3 KartG 1988, und § 12 Abs 3 KartG 2005 entspricht § 42b Abs 4 KartG 1988.

4. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1096 BlgNR 18. GP 20) bemerken zu § 42b Abs 4 KartG 1988:

„Die im § 42b Abs 4 vorgesehene Regelung bedeutet, dass gegen den Zusammenschluss, wenn er entsprechend den ausgesprochenen Beschränkungen und Auflagen durchgeführt wird, kein Untersagungsgrund spricht, also entweder die Erwartung nach § 42b Abs 2 überhaupt beseitigt oder zumindest eines der beiden Kriterien nach § 42b Abs 3 verwirklicht wird. Solche Beschränkungen und Auflagen können auch in der Form ausgesprochen werden, dass sie die beteiligten Unternehmer für bestimmte oder auch unbestimmte Zeit zu einem wiederholten oder dauernden Verhalten verpflichten. Für diesen Fall sieht § 42b Abs 4 letzter Satz eine Möglichkeit vor, geänderten Verhältnissen Rechnung zutragen.“

 

5. „Auflage“ ist eine Anordnung, mit der den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht³ 272; Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 71). Ausweislich der zitierten Gesetzesmaterialien müssen sie so beschaffen sein, dass sie entweder eine marktbeherrschende Stellung nicht entstehen lassen oder deren Verstärkung verhindern oder die Marktbeherrschungseffekte derart abfedern, dass einer der Rechtsfertigungsgründe nach § 12 Abs 2 KartG 2005 verwirklicht wird (vgl Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 66 f). Sie dürfen auf unbestimmte Zeit erlassen werden. Den möglichen Inhalt einer Auflage gibt das Gesetz nicht vor. Auflagen können bloße Verhaltensauflagen oder strukturelle Auflagen sein (vgl Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 72).

6. Das Erstgericht hat angenommen, dass das in den Auflagen angeordnete Verhalten dazu führt, dass die festgestellten Vorteile einer vertikalen Integration deren Nachteile überwiegen und deshalb der Rechtfertigungsgrund nach § 12 Abs 2 Z 1 KartG 2005 vorliegt. Ob – was der Rekurs bezweifelt – die vom Erstgericht festgestellten positiven Effekte des Zusammenschlusses „Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen“ iSd § 12 Abs 2 Z 1 KartG 2005 sind (vgl dazu Wessely, Das Recht der Fusionskontrolle 219 f; Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht³ 182; Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 56 ff), muss allerdings aus nachfolgenden Überlegungen nicht erörtert werden:

7. Nach der Systematik des Gesetzes ist im Falle der Nichtuntersagung eines Zusammenschlussvorhabens wegen Auflagen und Beschränkungen in einem ersten Prüfungsschritt festzustellen, ob die Auflagen und Beschränkungen so gewählt wurden, dass sie schon keine marktbeherrschende Stellung entstehen lassen oder verhindern, dass eine solche verstärkt wird (§ 12 Abs 1 Z 2 KartG 2005; Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 66). Solches ist dann der Fall, wenn die Auflagen hinreichend wirksam und nachhaltig und damit geeignet sind, eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen durch den Zusammenschluss zu verhindern oder auszugleichen (vgl BGH 7.2.2006 KVR 5/05 = BGHZ 166/17 – DB Regio/üstra). Wird diese Vorgabe erreicht, kann der Zusammenschluss nicht untersagt werden.

Lässt hingegen die Prognose der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Markt das Entstehen oder Verstärken einer marktbeherrschenden Stellung erwarten, bleibt in einem zweiten Prüfungsschritt zu fragen, ob die Auflagen und Beschränkungen trotz Vorliegens der Untersagungsvoraussetzungen nach § 12 Abs 1 KartG 2005 einen der Rechtfertigungsgründe des § 12 Abs 2 KartG 2005 verwirklichen (idS auch Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 67).

8. Der Senat geht aufgrund des festgestellten Sachverhalts – anders als das Erstgericht, das diese Frage nicht geprüft hat – davon aus, dass die verfügten Auflagen bereits zu einer Beseitigung des Untersagungsgrundes nach § 12 Abs 1 Z 2 KartG 2005 führen. Die rechtlichen und tatsächlichen Wirkungen der dem Drittantragsgegner auferlegten Verpflichtungen sind nach den Feststellungen nämlich hinreichend, um nachhaltig eine mit dem Zusammenschluss infolge der Marktanteilsaddition erwartete Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen zu kompensieren und so eine Marktstruktur zu erhalten, die einen funktionierenden Wettbewerb verspricht. Die Auflagen (nicht diskriminierende Direktverrechnungsvereinbarungen, Wertsicherung der Auszahlungen des Drittantragsgegners bis 2021; Meistbegünstigung; Gleichbehandlung von Wiener Privatkliniken im Informationsmaterial) stellen sicher, dass die übrigen Wiener Privatkrankenanstalten als verbleibende Mitbewerber ihre Leistungen zu nicht schlechteren Bedingungen als die vom Erstantragsgegner Privatversicherten offerierten auch Personen anbieten können, die beim Drittantragsgegner (der den bei weitem größten Anteil am österreichischen Markt für Krankenzusatzversicherungen hat) krankenversichert sind. Gegenteiliges wird auch im Rekurs nicht aufgezeigt.

9. Nicht entscheidungswesentlich ist die im Rekurs aufgeworfene Frage, ob Auflagen oder Beschränkungen das Einverständnis der beteiligten Unternehmen voraussetzen (bejahend: Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 12 Rz 70), sodass dazu nicht abschließend Stellung genommen werden muss. Hier wurden die vom Erstgericht verfügten Auflagen von den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen allerdings selbst angeboten. Gegen eine Pflicht des Kartellgerichts, von Amts wegen die Möglichkeit einer Freigabe des Zusammenschlusses mit Beschränkungen oder Auflagen zu prüfen, spricht, dass es wohl nicht Aufgabe des Kartellgerichts ist, den antragstellenden Unternehmen vorzugeben, wie sie sich zur Ausräumung von Untersagungsgründen zu verhalten haben.

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