OGH 15Os96/21p

OGH15Os96/21p15.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lampret als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 34 Hv 128/19i des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 11. Mai 2020 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Stani, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132925

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 34 Hv 128/19i des Landesgerichts Innsbruck verletzt der am 11. Mai 2020 ergangene Beschluss auf Abtretung des Verfahrens an das Bezirksgericht Innsbruck § 488 Abs 3 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem am 11. November 2019 beim Landesgericht Innsbruck zu AZ 34 Hv 128/19i eingebrachten Strafantrag (ON 4) legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck * K* das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und *M* das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB subsumierte Handlungen zur Last.

[2] Nach Durchführung der Hauptverhandlung am 12. Dezember 2019 (ON 11) und am 10. Jänner 2020 (ON 16) holte das Landesgericht ein gerichtsmedizinisches Gutachten zur Schwere der Verletzung des Tatopfers ein. Als die Expertise des Sachverständigen einlangte, wonach es sich bei der Verletzung um eine „aus medizinischer Sicht gerade noch leichte Verletzung“ verbunden mit einer weniger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung handle (ON 19 S 12), verfügte die Einzelrichterin am 24. April 2020 die Übermittlung des Aktes an die Staatsanwaltschaft „zur Einsicht in das GA ON 19 und weiteren Veranlassung“ (ON 23).

[3] Am 8. Mai 2020 tauschte die Staatsanwaltschaft den Strafantrag gegen einen hinsichtlich * K* lediglich in der Subsumtion in Richtung § 83 Abs 1 StGB modifizierten Strafantrag (ON 24) aus und beantragte unter einem die Abtretung „an das zuständige Bezirksgericht Innsbruck“ (ON 25).

[4] Darauf fasste die Einzelrichterin am 11. Mai 2020 den (nicht ausgefertigten) Beschluss „auf Abtretung des Verfahrens an das Bezirksgericht Innsbruck gemäß § 36 Abs 4 StPO zuständigkeitshalber“ und verfügte die Aktenübermittlung an das Bezirksgericht (ON 26).

[5] Nach Durchführung der Hauptverhandlung sprach das Bezirksgericht Innsbruck mit Unzuständigkeitsurteil vom 12. Februar 2021, GZ 8 U 153/20k‑45, seine sachliche Unzuständigkeit aus.

[6] Gegen dieses Urteil richtet sich eine Berufung des Angeklagten K*, über die das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht noch nicht entschieden hat.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der am 11. Mai 2020 ergangene Beschluss auf Abtretung des Verfahrens steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[8] Während die sachliche Unzuständigkeit des Landesgerichts als Einzelrichter bei (a‑limine‑)Prüfung des Strafantrags vor Anordnung der Hauptverhandlung gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO uneingeschränkt – somit auch in Betreff einer Zuständigkeit des Bezirksgerichts – wahrzunehmen ist, bestimmt § 488 Abs 3 StPO für die Hauptverhandlung, dass das Landesgericht als Einzelrichter seine Unzuständigkeit nur im Fall einer von ihm erachteten Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht – somit nicht auch des Bezirksgerichts – mit Urteil auszusprechen hat.

[9] Nach dieser auf dem Grundsatz der Prozessökonomie beruhenden Konzeption der Strafprozessordnung, derzufolge nach Eröffnung der Hauptverhandlung das mit der Sache bereits befasste Gericht – sofern nicht die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung gegeben erscheint – das Urteil schöpft, schließt die Zuständigkeit des – erkennenden – Gerichts höherer Ordnung die niedrigere sachliche Gerichtskompetenz in sich ein, weil auch ein bezogen auf den Gegenstand der Anklage qualifizierter Spruchkörper mit Blick auf die Systematik der verfahrensrechtlichen Vorschriften und ungeachtet unterschiedlicher Anfechtungsmöglichkeiten stets auf dem Gesetz beruht. Erachtet daher der Einzelrichter des Landesgerichts in der Hauptverhandlung, dass die abzuurteilende Tat in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fällt, so bleibt es bei seiner Entscheidungskompetenz und er hat ein Sachurteil zu fällen, nicht aber seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen (RIS‑Justiz RS0132703; zum Ganzen vgl 12 Os 123/13z; siehe auch 12 Ns 42/16x; Bauer, WK‑StPO § 488 Rz 6; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 488 Rz 2). Dies gilt auch für den – hier aktuellen – Fall, dass der Strafantrag nach Eröffnung der Hauptverhandlung ausgetauscht wurde.

[10] Der Beschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck auf Abtretung des Verfahrens an das Bezirksgericht Innsbruck verletzt daher das Gesetz in der Bestimmung des § 488 Abs 3 StPO. Er ist – als der Strafprozessordnung fremd – wirkungslos (RIS‑Justiz RS0116267 [T14]) und war daher zur Klarstellung zu beseitigen (vgl 12 Os 123/13z; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 496; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren, Rz 8.223).

[11] Einer förmlichen Aufhebung des davon rechtslogisch abhängigen (Unzuständigkeits‑)Urteils des Bezirksgerichts Innsbruck bedarf es nicht (RIS‑Justiz RS0100444).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte