OGH 15Os81/22h

OGH15Os81/22h18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger im Verfahren zur Unterbringung des * B* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. Juni 2022, GZ 51 Hv 7/22d‑37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00081.22H.1018.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * B* nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 10. Mai 2021 in W* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistig‑seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10, F20), einem Zustand nach Tranquilizermissbrauch (ICD 10, F13), einem schädlichen Alkoholgebrauch (ICD 10, F10) sowie einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (ICD 10, F60) beruhte,

I./ die Polizeibeamten S*, St*, L* und G* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Identitätsfeststellung und seiner Festnahme zu hindern versucht hat, indem er wild mit den Händen auf Höhe der Gesichter der Beamten „herumfuchtelte“ und gegen die am Boden liegenden Sachen trat, sodann, nachdem ihm gegenüber die Festnahme ausgesprochen worden war, mit der rechten geballten Faust zum Schlag gegen den unmittelbar vor ihm stehenden G* ausholte, wobei dieser dem Schlag aber ausweichen konnte, nachdem er von G* und S* festgehalten, zu Boden gebracht und dort fixiert worden war, sich mit aller Kraft dagegen wehrte, mit den Füßen wild herumzutreten begann, dadurch St* seitlich am Schienbein traf, sich sodann kurzzeitig mit der linken Hand aus der Fixierung löste und versuchte, S*, der im Begriff stand, seinen Arm erneut zu fixieren, durch Bisse daran zu hindern, und nachdem er von S*, G* und St* am Boden fixiert worden war, sich mit aller Kraft dagegen wehrte, wobei ihm letztlich die Handschellen angelegt und er festgenommen werden konnte, er jedoch bei der Verbringung in den Arrestantenwagen erneut mit einem Fuß gegen den linken Oberschenkel des St* trat, wobei er letztlich in die PI V* verbracht werden konnte;

II./ durch die zu I./ genannte Tat Beamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben, am Körper zu verletzen versucht hat, und zwar

A./ G*, welcher dem Schlag ausweichen konnte;

B./ St*, welcher durch den Tritt gegen das Schienbein und den Tritt gegen den Oberschenkel nicht verletzt wurde;

C./ S*, welcher nicht gebissen wurde,

sohin Taten beging, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (Ⅰ./) und der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (Ⅱ./) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, die ihr Ziel verfehlt.

[3] Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermisst eine Begründung der Feststellungen zu dem „äußerst agressiven Verhalten“ und den „unflätigen Beschimpfungen“ durch den Betroffenen vor dem Ausspruch seiner Festnahme, spricht damit aber mit Blick auf die Feststellungen zu den Gewaltakten gegen die Beamten (US 6 f) keine entscheidenden Tatsachen an (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399).

[4] Auch das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a) wendet sich nicht gegen entscheidende Tatsachen, indem es sich neben den erwähnten Feststellungen auf jene bezieht, wonach der Betroffene, als die Beamten ihn zu Rede stellten, mehrfach „Sieg heil“ rief und erklärte Adolf Hitler zu verherrlichen.

[5] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) die erstgerichtlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 7) bloß bestreitet, verfehlt sie den Rahmen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS‑Justiz RS0119583).

[6] Hinsichtlich der für die Sanktionsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) entscheidenden Tatsachen lässt die Rechtsprechung neben der Berufung auch eine Bekämpfung mit Verfahrensrüge, Mängelrüge und Tatsachenrüge zu (Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a des § 281 Abs 1 StPO). Die Gefährlichkeitsprognose ist dann mit Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) bekämpfbar, wenn sie nicht auf sämtlichen gesetzlichen Prognosekriterien (das sind die Person des Täters, sein Zustand und die Art der Tat) basiert. Bloße Ermessensentscheidungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose können nur mit Berufung bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0113980, RS0118581, RS0116498).

[7] Das Vorbringen, das Schöffengericht hätte die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose nicht begründet (nominell Z 5), stellt demnach inhaltlich ein Berufungsvorbringen dar.

[8] Das gilt auch für das nominell aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO erstattete und sich auf die Gefährlichkeitsprognose beziehende Vorbringen, wonach „niemand zu Schaden kam, niemand verletzt wurde“, „tatsächlich keine schweren Folgen eintraten“ und der Einzuweisende unbescholten sei.

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

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