Spruch:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Gegen Andreas S***** ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen Verdachts des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 3 Z 3 SGG und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG anhängig. Am 27.April 1993 brachte die Staatsanwaltschaft gegen den Genannten wegen der erwähnten strafbaren Handlungen die Anklageschrift ein.
Nachdem der Beschuldigte am 1.März 1993 festgenommen worden war, wurde über ihn am 4.März 1993 vom Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungsgefahr und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO verhängt. Im Anschluß an die Kundmachung des Beschlusses auf Verhängung der Untersuchungshaft beantragte der Beschuldigte die sofortige Übernahme in Strafhaft, weil er zu 6 U 687/92 des Strafbezirksgerichtes Wien noch eine Freiheitsstrafe in der Dauer eines Monates zu verbüßen habe (S. 85). Aus dem Akt ergibt sich darüber hinaus, daß zu diesem Zeitpunkt überdies auch eine vom Beschuldigten zu verbüßende Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von vierzig Tagen zu U 52/91 des Bezirksgerichtes Tulln noch nicht vollzogen war (S. 133). Dem Begehren des Beschuldigten auf Übernahme in Strafhaft wurde erst am 24.März 1993 Rechnung getragen, an welchem Tag er in Strafhaft übernommen wurde (S. 313, 315).
Rechtliche Beurteilung
In seiner mit 7.April 1993 datierten und am 8.April 1993 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangten Grundrechtsbeschwerde erachtet sich Andreas S***** durch die Verhängung der Untersuchungshaft im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, weil die Haftzwecke durch eine gleichzeitige Strafhaft hätten erreicht werden können, weshalb die zwingende Bestimmung des § 180 Abs 4 StPO verletzt worden sei.
Die Generalprokuratur hält die Beschwerde für berechtigt; in ihrer schriftlichen Stellungnahme hat sie hiezu ausgeführt:
"Trotz des aktenkundigen Umstandes, daß der Beschuldigte Andreas S***** noch zwei Freiheitsstrafen zu verbüßen hatte (und zwar eine Freiheitsstrafe in der Dauer eines Monats zu 6 U 687/92 des Strafbezirksgerichtes Wien und eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von vierzig Tagen zu U 52/91 des Bezirksgerichtes Tulln; vgl. S. 131, 133 und 141 dA), verhängte der Untersuchungsrichter am 4.März 1993 unter Verletzung der Vorschrift des § 180 Abs 4 StPO über den Beschuldigten Andreas S***** die Untersuchungshaft. Ein unmittelbar nach Verhängung der Untersuchungshaft vom Beschuldigten S***** am 4. März 1993 gestellter Antrag auf sofortige Übernahme in Strafhaft (vgl. S. 85 dA) blieb zunächst unerledigt. Erst am 24.März 1993, demnach mit 20-tägiger Verspätung, wurde Andreas S***** in Strafhaft genommen. Diese endet voraussichtlich am 3.Juni 1993 (vgl. S. 313 und 315 dA).
Gemäß dem § 180 Abs 4 StPO darf die Untersuchungshaft unter anderem nicht verhängt oder aufrecht erhalten werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft erreicht werden können. Diese Voraussetzung lag hier eindeutig vor. Zufolge der Definition des § 2 Abs 1 GRBG ist das Grundrecht auf persönliche Freiheit im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit vom 29.November 1988, BGBl. Nr. 684/1988, und des Artikel 5 Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, unter anderem auch dann verletzt, wenn sonst bei einer Anhaltung das Gesetz unrichtig angewendet wurde. Somit bewirkt schon jede Verletzung einer einfachgesetzlichen Vorschrift (hier des § 180 Abs 4 StPO) eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit und wird demnach vom Schutz des Grundrechtsbeschwerde-Gesetzes (BGBl. Nr. 864/1992) erfaßt.
Der Beschuldigte Andreas S***** wurde erst am 24.März 1993 durch Übernahme in die Strafhaft - entsprechend seinem bereits am 4.März 1993 unmittelbar nach Verhängung der Untersuchungshaft gestellten Antrag - klaglos gestellt. Bis dahin wurde über seinen Antrag (auf Übernahme in Strafhaft) nicht entschieden. Die Übernahme in Strafhaft erfolgte sohin verspätet, da einer solchen bereits am 4.März 1993 nichts im Wege gestanden wäre.
Der Sache nach stützt sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Andreas S***** auf die Bestimmung des § 2 Abs 2 GRBG, erachtet er sich doch dadurch für beschwert, daß er nicht sogleich am 4. März 1993 (statt in Untersuchungshaft) in Strafhaft genommnen wurde, womit er im Ergebnis eine Grundrechtsverletzung durch eine verspätete Entscheidung oder Verfügung des Gerichtes mit Recht geltend macht.
Da über den bereits am 4.März 1993 vom Beschuldigten gestellten Antrag auf Übernahme in Strafhaft bis zum 24.März 1993 vom Gericht nicht entschieden und diesem Antrag erst am 24.März 1993 (durch Übernahme des Beschuldigten in Strafhaft) entsprochen wurde, hatte der Beschuldigte bis dahin keine Rechtsmittelmöglichkeit; denn die Übernahme des Beschuldigten in Strafhaft am 24.März 1993 bedeutete im Ergebnis eine Aufhebung der über ihn am 4.März 1993 verhängten Untersuchungshaft (wenn auch eine bezügliche [formelle] Verfügung des Untersuchungsrichters dem Vr-Akt nicht zu entnehmen ist). Ein Rechtsschutzinteresse des Beschuldigten an der Anfechtung der solcherart die Untersuchungshaft beendenden Maßnahme ist mangels Beschwer nicht gegeben. Ein Instanzenzug bzw. die Ausschöpfung desselben im Sinne des § 1 Abs 1 GRBG kam demnach dieser Fallgestaltung von vornherein nicht in Betracht, sodaß sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Andreas S***** und eine unmittelbare Anrufung des Obersten Gerichtshofes als zulässig erweisen.
Die Beschwerdefrist des § 4 Abs 1 GRBG ist gleichfalls gewahrt, konnte doch diese im vorliegenden Fall erst ab Kenntnis des Betroffenen von der ihm klaglos stellenden (wenn auch verspäteten) Verfügung auf Übernahme in Strafhaft, somit ab 24.März 1993, zu laufen beginnen. Die am 7.April 1993 zur Post gegebene Grundrechtsbeschwerde (vgl. S. 323 dA) wurde somit innerhalb der vierzehntägigen Beschwerdefrist eingebracht.
Die Verletzung der Vorschrift des § 180 Abs 4 StPO (hier durch verspätete Übernahme des Beschuldigten in Strafhaft) kann sich bei einer abstrakten, vom Einzelfall losgelösten Betrachtung aber für den (gedachten) Fall eines späteren Freispruchs, aber auch im Falle eines Schuldspruchs, wenn die ausgesprochene Strafe bedingt nachgesehen wird, durchaus zum Nachteil des Betroffenen auswirken."
Diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer in seiner Äußerung beigetreten.
Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:
Gemäß § 1 Abs 1 GRBG steht dem Betroffenen wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nach Erschöpfung des Instanzenzuges die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Daher muß, damit rechtswirksam Grundrechtsbeschwerde ergriffen werden kann, zuvor der Instanzenzug erschöpft worden sein.
In den Erläuterungen zum Initiativantrag vom 22.Oktober 1992 betreffend ein Bundesgesetz über die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshofes wurde zu § 1 GRBG zwar die Auffassung vertreten, daß nicht nur die Aufsichtsbeschwerde gemäß § 15 StPO oder der Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG keine Rechtsmittel iS des § 1 GRBG seien, sondern auch die Beschwerde an die Ratskammer gemäß § 113 StPO gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters; diese Rechtsbehelfe könnten, müßten aber nicht vom Betroffenen ergriffen werden; ergreife er sie nicht, so stehe das der Beschwerdeberechtigung nicht im Weg.
Der Justizausschuß hat sich jedoch, soweit es die Beschwerde gemäß § 113 StPO betrifft, dieser Auffassung nicht angeschlossen; im JAB 852 BlgNR 18. GP heißt es hiezu:
"Abweichend von der Antragsbegründung vertritt der Justizausschuß die Auffassung, daß zur Erschöpfung des Instanzenzuges auch die gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters durch § 113 StPO eingeräumte Beschwerde an die Ratskammer erforderlich ist, die, obwohl unbefristet, im Gesetz (Überschrift zu § 113 StPO) und in der Lehre (Lohsing-Serini, Österreichisches Strafprozeßrecht4 526) als Rechtsmittel bezeichnet wird. Die Alternative zu dieser Rechtsauffassung, die auf ein Wahlrecht des Betroffenen zwischen der Beschwerde an die Ratskammer und der Anrufung des Obersten Gerichtshofes hinausliefe, erscheint nicht akzeptabel. Gegen eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters muß also (als Prozeßvoraussetzung für die Grundrechtsbeschwerde) die Beschwerde an die Ratskammer nach § 113 StPO und in den im § 114 StPO vorgesehenen Fällen auch die weitere Beschwerde an das Oberlandesgericht ergriffen werden."
Übereinstimmend mit dieser Interpretation des Begriffes "Erschöpfung des Instanzenzuges" gemäß § 1 Abs 1 GRBG durch den Justizausschuß vertritt auch der Oberste Gerichtshof - der schon zu 13 Os 26/93, 13 Os 47/93 u.a. ausgesprochen hat, daß gegen Verfahrensverzögerungen im Stadium der Voruntersuchung ausschließlich die Beschwerde an die Ratskammer (§ 113 StPO) vorgesehen ist, und daß von der Erschöpfung des Instanzenzuges erst gesprochen werden kann, wenn dieses Rechtsmittel genützt worden ist - die Auffassung, daß eine verspätete Entscheidung oder Verfügung des Untersuchungsrichters betreffend die Haft erst dann zum Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde gemacht werden kann, wenn zuvor Beschwerde gemäß § 113 StPO ergriffen worden ist. Diese Beschwerdemöglichkeit läßt die Generalprokuratur außeracht, wenn sie vermeint, der Beschuldigte habe, nachdem das Gericht über seinen am 4.März 1993 gestellten Antrag auf Übernahme in Strafhaft bis zum 24.März 1993 nicht entschieden hat und diesem Antrag erst an diesem Tag (durch effektive Übernahme des Beschuldigten in Strafhaft) entsprochen wurde, bis dahin keine Rechtsmittelmöglichkeit gehabt.
Der Beschuldigte hat, wie sich sowohl aus dem Akteninhalt als auch aus seinem Vorbringen in der Grundrechtsbeschwerde ergibt, gegen die Unterlassung seiner unverzüglichen Übernahme in Strafhaft keine Beschwerde an die Ratskammer ergriffen; er hat sich im übrigen auch nicht gegen die Verhängung der Untersuchungshaft beschwert.
Sowohl in Ansehung der vom Beschwerdeführer als grundrechtswidrig gerügten Verhängung der Untersuchungshaft als auch in Ansehung der von der Beschwerde der Sache nach als Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit geltendgemachten verspäteten Entscheidung über die Übernahme in Strafhaft fehlt es demnach an der gemäß § 1 Abs 1 GRBG erforderlichen Erschöpfung des Instanzenzuges, weshalb die Grundrechtsbeschwerde, ohne daß es eines Eingehens auf das Beschwerdevorbringen bedurfte, als unzulässig zurückzuweisen war.
Demnach entfällt im Hinblick auf § 8 GRBG eine Entscheidung über das Begehren auf Zuerkennung der Beschwerdekosten.
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