OGH 15Os60/10b

OGH15Os60/10b30.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Roland S***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 27. Jänner 2010, GZ 11 Hv 181/09w-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch II./2./ und demnach auch im Straf- und Privatbeteiligtenausspruch aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 15 StGB (II./1./ und 2./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Zeitraum Juli 2009 bis September 2009 in A*****

I./ in mehreren Angriffen mit der am 14. August 2000 geborenen, mithin unmündigen Adriana K***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, indem er jeweils seinen Finger in ihre Vagina einführte;

II./ an der am 14. August 2000 geborenen, mithin unmündigen Adriana K***** geschlechtliche Handlungen teilweise vorgenommen, teilweise vorzunehmen versucht, indem er

1./ ihr Geschlechtsteil über der Kleidung intensiv betastete sowie

2./ ihre nicht entwickelte Brust betastete bzw zusammendrückte, wobei die Tat aufgrund der noch nicht vorhandenen Brustentwicklung beim Versuch geblieben ist.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Das Vorbringen zur Tatsachenrüge (Z 5a) verlässt den Anfechtungsrahmen dieses Nichtigkeitsgrundes, dessen Wesen und Ziel es ist, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487). Er wird demgemäß durch eigene Beweiswerterwägungen, welche jenen der Tatrichter entgegengesetzt werden, nicht prozessordnungsgemäß dargestellt. Gerade dies unternimmt der Beschwerdeführer jedoch, indem er die vom Erstgericht angenommene Glaubwürdigkeit der Zeugin Adriana K***** (US 3 f) in Frage stellt, um seiner Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Konstatierungen entscheidender Tatsachen werden damit nicht erweckt (RIS-Justiz RS0099649; 15 Os 105/05p).

In seiner Aufklärungsrüge (ebenfalls Z 5a) macht der - im ganzen Verfahren anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer nicht deutlich, wodurch er an der Ausübung seines Rechts, ein Sachverständigengutachten „betreffend die Glaubwürdigkeit der Aussagen des unmündigen Opfers“ zu beantragen, gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt die Unterstellung des dem Schuldspruch I./ zugrunde liegenden Sachverhalts unter § 207 Abs 1 StGB an. Indem die Beschwerde allerdings zur rechtlichen Einordnung digitaler Vaginalpenetration bloß auf einzelnen Entscheidungen zugrunde liegende, nicht vergleichbare Sachverhalte und auf einen Justizausschussbericht verweist, lässt sie den vom Gesetz verlangten Vergleich von festgestellten Tatsachen und darauf angewendetem Gesetz vermissen und leitet die begehrte rechtliche Konsequenz mit der bloßen Behauptung, im vorliegenden Fall liege von den Auswirkungen und Begleitumständen her nach allgemeinem Verständnis des Geschehens keine einem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vor (vgl aber US 4 iVm ON 5/S 3: „... einen Finger gespürt habe und es ihr wehgetan habe.“), nicht aus dem Gesetz ab (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588). Im Übrigen kommt der Intensität der digitalen Penetration aufgrund des Alters des Tatopfers ohnedies keine Bedeutung zu (vgl RIS-Justiz RS0095004, dort vor allem T6, T7 und T13).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch eine Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO in Bezug auf den Schuldspruch II./2./ geboten:

Das Erstgericht stellte fest, dass der Angeklagte mehrmals mit seiner Hand unter die Oberbekleidung der acht- bzw neunjährigen Zeugin fuhr und sie an ihrer noch nicht entwickelten Brust berührte (US 3). Das Betasten der noch nicht entwickelten weiblichen Brust eines (bereits pubertierenden) Mädchens kann eine geschlechtliche Handlung iSd § 207 Abs 1 StGB darstellen, wenn das betreffende Mädchen insgesamt eine solche körperliche Reife erreicht hat, dass ihr Brustbereich ohne Rücksicht auf die Ausbildung der Brustdrüsen biologisch bereits der Geschlechtsregion zuzurechnen ist (Schick in WK2 § 207 Rz 7; Fabrizy, StGB10 § 207 Rz 3; RIS-Justiz RS0095113). Feststellungen dahingehend, ob sich Adriana K***** zu den Tatzeitpunkten bereits in einem solchen - in Ausnahmefällen auch bei acht- bzw neunjährigen Mädchen möglichen - körperlichen Zustand befand, bzw - zumal das Erstgericht die Taten als im Versuchsstadium geblieben beurteilte - eine solche Entwicklungsstufe vom Vorsatz des Angeklagten umfasst war (vgl Schick in WK2 § 207 Rz 21), fehlen, sind aber für die rechtliche Unterstellung des Sachverhalts als Verbrechen des (versuchten) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB unerlässlich.

Das Urteil war daher in seinem Schuldspruch II./2./ und demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch über den Privatbeteiligtenanspruch aufzuheben und dem Erstgericht die Neudurchführung des Verfahrens in diesem Umfang aufzutragen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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