OGH 15Os55/12w

OGH15Os55/12w30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richterin Mag. Weiß als Schriftführerin in der Strafsache gegen Leopold U***** wegen des Verbrechens nach § 3g VG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 15. Februar 2012, GZ 603 Hv 4/11f-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Leopold U***** des Verbrechens nach § 3g VG (1./) sowie des Verbrechens nach § 3g VG als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er sich am 20. April 2008 in Wien auf andere als die in den §§ 3a und (richtig: bis) 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er mit dem Vorsatz, Adolf Hitler zu verherrlichen sowie Wertvorstellungen und Ziele des Nationalsozialismus zu propagieren, das Lied „Adolfs Ehrentag“ von Frank Rennicke mit im Urteil angeführtem Text selbst sang (1./), sowie Marcus R***** und weitere unbekannte Personen dazu aufforderte, wobei zumindest ein Teil der Personen seiner Aufforderung folgte (2./).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 10a und 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet, das Erstgericht hätte die Zeugen Marcus R***** und Melanie G***** vor deren Vernehmung „über ihr Entschlagungsrecht“ nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO belehren und den Verzicht darauf protokollieren müssen, weil die Zeugen „an der dem Angeklagten vorgeworfenen strafbaren Handlung unter Umständen beteiligt gewesen“ seien oder in Zusammenhang mit dieser „andere strafbare Handlungen“ begangen haben könnten. Sie übersieht, dass das Unterlassen der rechtzeitigen Information über das Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO - wobei ein Verzicht auf dieses für das rechtmäßige Zustandekommen einer Aussage nicht erforderlich ist (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 159 Rz 10) - nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (§ 159 Abs 3 StPO; vgl RIS-Justiz RS0124907; Kirchbacher, WK-StPO § 159 Rz 24, 26). Im Übrigen wurde der Zeuge R***** ohnedies vor seiner Befragung zum anklagegegenständlichen Vorfall gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO belehrt (ON 37 S 11).

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung der Anträge auf „Beischaffung der medizinischen Unterlagen aus dem Krankenhaus“ und „Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens“ jeweils zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte am 20. April 2008 körperlich nicht in der Lage war zu singen“ (ON 37 S 17), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Anträge ließen nämlich nicht erkennen, warum zu erwarten sei, dass die Durchführung der begehrten Beweise die vom Antragsteller behaupteten Ergebnisse haben werde, sodass der Beschwerdeführer der Sache nach die im Hauptverfahren unzulässige Aufnahme von Erkundungsbeweisen anstrebte (RIS-Justiz RS0099453, RS0099353; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330).

Der weiteren Beschwerde zuwider durfte das Erstgericht auch den Antrag auf Vernehmung des Zeugen DI MMag. Günther Re***** zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte keinem nationalsozialistischen Gedankengut anhängt, niemals Reden gehalten hat und sich niemals politisch betätigt hat“ (ON 37 S 17), ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen, weil das Beweisthema keinen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand betraf (RIS-Justiz RS0116987, RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321, 327 f, 340 f).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) übersieht zunächst, dass sie nicht auf die Niederschrift der Geschworenen gestützt werden kann, weil letztere eine Begründung für die Beweiswürdigung darstellt und somit nicht gleichzeitig deren Gegenstand bilden kann (RIS-Justiz RS0115549, RS0104982; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16).

Mit der selektiven Wiedergabe von Angaben der Zeugen R***** und G***** in der Hauptverhandlung sowie im Ermittlungsverfahren und den daraus abgeleiteten eigenen Beweiswerterwägungen gelingt es der Rüge nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) vernachlässigt mit der Behauptung, der Angeklagte habe den objektiven Tatbestand des § 3g VG nicht verwirklicht, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ - einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens - auf der Feststellungsebene angesiedelt und daher allein den Geschworenen zur Beantwortung vorbehalten ist, sodass eine Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge ausscheidet (RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK2 VG § 3g Rz 17; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 618).

Die - teilweise im Rahmen der Berufung erhobenen - Einwände, der Vorsatz des Angeklagten sei nicht darauf gerichtet gewesen, die Person Adolf Hitlers zu verherrlichen sowie Wertvorstellungen und Ziele des Nationalsozialismus zu propagieren, und der Angeklagte sei nicht davon ausgegangen, dass „das Singen des Adolf Schärf Lieds überhaupt unter den Tatbestand des § 3g VG zu subsumieren ist“, weshalb er einem „Rechtsirrtum/Tatbestandsirrtum erlegen“ sei, vernachlässigen den im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Vorsatz auf Betätigung im nationalsozialistischen Sinn und entziehen sich ebenfalls einer meritorischen Erwiderung (vgl RIS-Justiz RS0101148, RS0101013, RS0101527 [T1]; Lässig in WK2 VG § 3g Rz 10).

Mit Überlegungen, wonach „Menschen die schon nationalsozialistischem Gedankengut anhängen vom Risikozusammenhang der Norm wohl nicht erfasst sein können“ verfehlt die Beschwerde abermals den Bezugspunkt prozessordnungsgemäßer Darstellung materiell-rechtlicher Nichtigkeit.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - ebenso wie die angemeldete, im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 283 Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (wegen Strafe) folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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