European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00054.20K.0522.000
Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Aus deren Anlass wird festgestellt, dass S***** A***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Gründe:
Mit Beschluss vom 13. März 2020 verhängte das Landesgericht Feldkirch über S***** A***** die Untersuchungshaft wegen Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO (ON 14 der HR‑Akten).
Mit Schriftsatz vom 19. März 2020 gab der Beschuldigte durch seinen Verteidiger bekannt, gegen den genannten Beschluss „keine Beschwerde einzubringen, sondern den nachfolgenden Enthaftungsantrag per 27. März 2020, also anlässlich der nächsten Haftprüfung, zu stellen“ (ON 17).
Mit Beschluss vom 26. März 2020 setzte das Landesgericht Feldkirch die über den Beschuldigten verhängte Untersuchungshaft aus dem bisher angenommenen Haftgrund fort (ON 23).
Die gegen den erstgenannten Beschluss vom Beschuldigten erhobene Beschwerde wies das Oberlandesgericht zurück. Der gegen den zweitgenannten Beschluss erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem vom Erstgericht angenommenen Haftgrund fort.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht den Beschuldigten dringend verdächtig, er habe am 8. März 2020 „in F***** K***** T***** mit Gewalt, indem er sie mit den Worten, sie müsse jetzt 'arbeiten', sie müsse 'blasen' und 'ficken', an den Haaren aus dem PKW zerrte, sie zu Boden warf, ihr Schläge gegen den Körper versetzte sowie ihre Strumpfhose und ihre Unterhose zerriss, zur Duldung des Beischlafes und zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht“ (BS 15). In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Oberlandesgericht diese dringende Verdachtslage als Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten ist nicht berechtigt.
Betreffend die Zurückweisung der Beschwerde durch das Oberlandesgericht führt der Beschuldigte aus, die Annahme der Unwiderruflichkeit des Verzichts verletzte ihn „in seinen Grundrechten“ (vgl jedoch § 1 Abs 1 GRBG), er „wollte eine schnelle Entscheidung, die er schneller vom Erstgericht als vom Obergericht bekommen konnte“. Damit verkennt er, dass ein erklärter Rechtsmittelverzicht unwiderruflich ist und dessen Motiv keine Bedeutung zukommt (vgl RIS-Justiz RS0099945 [T29]).
Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsgrundlagen der Haftentscheidung in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden; eine am Gesetz orientierte Beschwerde hat somit einen Darstellungs- oder Begründungsmangel aufzuzeigen oder anhand deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (RIS‑Justiz RS0110146 [T23]). Diesen Kriterien wird die vorliegende Grundrechtsbeschwerde nicht gerecht:
Soweit der Beschwerdeführer seine Verantwortung als plausibel bezeichnet, er hätte zwischen den Beinen des Opfers Geld gefunden, das dieses ihm zuvor gestohlen hätte, wird bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt (vgl dazu BS 16).
Dass Verletzungen im äußeren Genitalbereich des Opfers nicht diagnostiziert werden konnten und dass dieses zunächst die Vornahme eines vaginalen Abstrichs verweigerte, haben die Tatrichter berücksichtigt (BS 17). Dass das Opfer die „Pille danach“ verweigert habe, steht der konstatierten dringenden Verdachtslage nicht erörterungsbedürftig entgegen (Z 5 zweiter Fall).
Die Behauptung, die Unsicherheit des Oberlandesgerichts äußere sich darin, dass dieses bloß versuchte Vergewaltigung angenommen habe, übt neuerlich unzulässige Beweiswürdigungskritik.
Das Vorbringen, die Zeugenaussage des Opfers hätte im Hinblick auf dessen Alkoholisierung zur Tatzeit ohne Einholung eines – vom Beschwerdeführer beantragten – psychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht verwendet werden dürfen, zeigt keinen Fall des § 281 Abs 1 Z 5 oder Z 5a StPO auf.
Soweit der Beschwerdeführer auf seinen Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens verweist, ist ihm zu entgegnen, dass eine analoge Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0122321).
Die Grundrechtsbeschwerde übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik, indem sie unter Hinweis auf die Alkoholisierung die Glaubwürdigkeit der Angaben der Belastungszeugin T***** bezweifelt. Sie lässt überdies die Erwägungen des Beschwerdegerichts außer Acht, wonach sie bei ihrer Vernehmung trotz der erheblichen Alkoholisierung detaillierte Angaben zum Verlauf des Abends und zu den Aufenthaltsorten machen konnte, wobei ihre objektivierten Verletzungen ihre Schilderungen untermauerten und ihre Angaben überdies durch Zeugen, welche sie nach der Tat aufgefunden und Erste Hilfe geleistet hatten, gestützt würden (BS 15 ff). Damit orientiert sich die Grundrechtsbeschwerde aber prozessordnungswidrig nicht an der Gesamtheit der Erwägungen des Beschwerdegerichts (RIS‑Justiz RS0110146 [T24]).
Der Beschuldigte kritisiert, dass bei den Vernehmungen der Zeugin T***** sein Verteidiger nicht anwesend war. Dabei übersieht er, dass gemäß § 160 Abs 1 StPO in der Regel jeder Zeuge einzeln und in Abwesenheit der Verfahrensbeteiligten zu vernehmen ist (vgl § 165 StPO zur kontradiktorischen Vernehmung).
Soweit die Beschwerde moniert, dass bei der Vernehmung der – bloß über geringe Deutschkenntnisse verfügenden – Zeugin ein Dolmetscher nicht anwesend war, lässt sie außer Acht, dass dies nur für die erste Vernehmung vor der Polizei gilt, während am 4. April 2020 eine Vernehmung des Opfers unter Beiziehung einer Dolmetscherin nachgeholt wurde (vgl BS 17 f). Im Übrigen begründet die Unterlassung der Beiziehung eines Dolmetschers bei der polizeilichen Vernehmung kein Beweisverbot (RIS‑Justiz RS0124168 [T1, T2]).
Das Oberlandesgericht räumte dem Beschuldigten rechtliches Gehör gemäß § 6 Abs 2 StPO ein, indem es dem Verteidiger Gelegenheit zur Äußerung zu dem Protokoll vom 13. März 2020 und zu dem vom Erstgericht im Nachhang übersandten Protokoll vom 4. April 2020 jeweils über die Vernehmung der Belastungszeugin T***** gab (vgl RIS‑Justiz RS0120050 [T4]). Die Behauptung, es verletze Art 5 MRK, dass das Oberlandesgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, ist nicht am Gesetz orientiert.
Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806). Indem die Beschwerde die Sozialisierungsperspektive des Beschuldigten als „optimall“ bezeichnet, weil dieser bei seiner Familie wohnen und auch arbeiten könne, zeigt er Willkür der Beschwerdeentscheidung nicht auf. Die Behauptung, die Tatbegehungsgefahr werde „nirgends konkretisiert, sondern nur pauschal‑abstrakt mit den früheren Vorstrafen begründet, die Jahrzehnte zurückliegen“, orientiert sich nicht an der Entscheidung des Oberlandesgerichts (BS 18 ff). Im Übrigen stammen die Vorverurteilungen des Angeklagten aus den Jahren 2006 und 2018 (BS 19).
Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht, das diese verneint hat, insofern ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]). Dem entspricht die vorliegende Beschwerde nicht, indem sie behauptet, das Oberlandesgericht hätte nicht begründet, weshalb „etwa das Gelöbnis, zu Hause zu bleiben, nicht ausreichend sein“ solle (vgl demgegenüber BS 20).
Beim elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO) handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, jedoch nicht um ein gelinderes Mittel. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen, kann die Ablehnung des Begehrens, die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0126401).
Aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde war jedoch zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der in der Beschwerde nicht gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen das Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB begründet wurde. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue – reformatorische – Entscheidung darzustellen (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0116421). Nach § 174 Abs 3 Z 4 StPO iVm § 174 Abs 4 zweiter Satz StPO hat jede solche Entscheidung „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht“ für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten (RIS‑Justiz RS0120817).
Vorliegend lässt der angefochtene Beschluss jegliche Ausführungen zur subjektiven Tatseite vermissen, womit er in Betreff der Sachverhaltsgrundlagen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise unklar geblieben ist.
Damit ist eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung erforderlich (§ 7 Abs 2 GRBG). Mit Blick auf die sonstigen Verfahrensergebnisse war jedoch eine Aufhebung des Haftfortsetzungsbeschlusses nicht erforderlich (§ 7 Abs 1 GRBG).
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