OGH 15Os5/17z

OGH15Os5/17z15.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Februar 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian L***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, AZ 16 U 62/15x des Bezirksgerichts Hallein, über den auf das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 1. April 2016, AZ 43 Bl 12/16a, bezogenen Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00005.17Z.0215.000

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens verfügt, das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 1. April 2016, AZ 43 Bl 12/16a, aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 3. Dezember 2015, GZ 16 U 62/15x‑17, sowie über dessen Beschwerde gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 3. Dezember 2015, GZ 16 U 62/15x‑17, wurde Christian L***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 8 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 35 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde mit Beschluss vom Widerruf der zu AZ 37 Hv 91/11a des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf vier Jahre verlängert (§ 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO).

Der Angeklagte meldete gegen dieses Urteil Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie gegen den Beschluss gemäß § 494a StPO Beschwerde an (ON 16 S 9), führte diese jedoch nach Zustellung des Urteils am 30. Dezember 2015 nicht aus.

Zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vor dem Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht, AZ 43 Bl 12/16a, am 1. April 2016 erschien der Angeklagte nicht (ON 9 S 2 der Bl-Akten). Zuvor war am selben Tag ein Telefax des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Viktor S***** bei Gericht mit der Mitteilung eingelangt, dass der Angeklagte an dem Gerichtstag „aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen“ könne (ON 10 der Bl-Akten), welches dem Vorsitzenden jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Kenntnis gelangte. Auf seine Teilnahme an der Berufungsverhandlung hatte der Angeklagte nach dem Akteninhalt nicht verzichtet.

In Unkenntnis der ärztlichen Verständigung führte das Berufungsgericht die Berufungsverhandlung unter Hinweis auf die durch persönliche Übernahme am 18. März 2016 erfolgte Zustellung der Ladung des Angeklagten (ON 7 der Bl-Akten) in dessen Abwesenheit durch (ON 9 S 2 der Bl-Akten; vgl § 471 StPO iVm §§ 286 Abs 1 und 287 Abs 3 StPO), wies die Berufung wegen Nichtigkeit zurück und gab der Berufung im Übrigen wie auch der Beschwerde nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Bei einer Prüfung der Akten ergeben sich – wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt – erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Beschluss auf Durchführung der Berufungsverhandlung und den Sachentscheidungen des Landesgerichts Salzburg zugrunde gelegten Tatsachenannahmen.

Gemäß § 471 StPO gelten für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über Berufungen gegen Urteile der Bezirksgerichte unter anderem – soweit hier von Relevanz – die §§ 286 Abs 1, 294 StPO sinngemäß. Nach § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO sind die Bestimmungen der §§ 286 und 287 StPO dem Sinn nach mit der Maßgabe anzuwenden, dass der nicht verhaftete Angeklagte vorzuladen und die Vorführung des verhafteten Angeklagten zu veranlassen ist, es sei denn, dieser hätte durch seinen Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet.

Ist der nicht verhaftete Angeklagte durch ein unabwendbares Hindernis am Erscheinen verhindert, ohne ausdrücklich auf die Teilnahme am Gerichtstag verzichtet zu haben, kommt eine Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0124107 [T2]).

Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte am Tag der Berufungsverhandlung nach dem Inhalt einer ärztlichen Bestätigung aus gesundheitlichen Gründen am Erscheinen verhindert war und keinen ausdrücklichen Verzicht auf die Teilnahme am Gerichtstag erklärt hatte, bestehen erhebliche Bedenken im Sinn des § 362 Abs 1 Z 2 StPO gegen die Richtigkeit der der Berufungsentscheidung des Landesgerichts Salzburg zugrunde gelegten Tatsachenannahmen, wonach die Voraussetzungen für eine Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des (gehörig geladenen) Angeklagten gegeben gewesen wären.

Es ist also eine letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre. Da die so entstandene Benachteiligung des Angeklagten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war dies durch die analoge Anwendung der Bestimmung über die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 StPO zu sanieren (RIS‑Justiz RS0117416; RS0117312 [T3]).

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