OGH 15Os3/13z

OGH15Os3/13z20.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zellinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Bianca-Raluca P***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1 StGB, AZ 5 Hv 26/08b des Landesgerichts für Strafsachen Graz, (und anderen Verfahren) über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, und des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde sowie den zu AZ 6 Hv 178/09i des Landesgerichts für Strafsachen Graz gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend eine Beschlussfassung gemäß § 494a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I.1./ Der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, verletzt in Ansehung des Widerrufs der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.

I.2./ Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, verletzt, soweit darin (auch) der Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht ausgesprochen wurde, den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

II./ Der Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, wurde Bianca-Raluca P***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei nach § 43a Abs 3 StGB ein Teil von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Nach Verbüßung von vier Monaten wurde Bianca-Raluca P***** mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 14. Mai 2008, AZ 3 BE 199/08z (ON 52 der Hv-Akten), am 12. Juni 2008 nach § 46 Abs 2 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren aus dem unbedingten Teil dieser Freiheitsstrafe bedingt entlassen.

Aufgrund neuerlicher Delinquenz innerhalb der Probezeit wurde Bianca-Raluca P***** mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Aus Anlass dieser Verurteilung widerrief das Bezirksgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, AZ 5 Hv 26/08b, gewährte bedingte Strafnachsicht. Davon verständigte es das Landesgericht für Strafsachen Graz durch Übermittlung einer gekürzten Ausfertigung des Urteils und dieses Beschlusses, die (erst) am 28. Jänner 2010 dort einlangte (ON 126 des Aktes AZ 5 Hv 26/08b). Zur - bereits aktenkundigen (ON 2 S 21) - bedingten Entlassung der Angeklagten zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht traf es keine Entscheidung.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 2010, GZ 6 Hv 178/09i-8, wurde Bianca-Raluca P***** aufgrund von August 2007 bis August 2009 begangener Taten mehrerer Vergehen nach dem SMG schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, verhängten Strafe ebenso abgesehen wie vom Widerruf der zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht gewährten bedingten Entlassung, wobei gemäß § 494a Abs 6 StPO die Probezeit undifferenziert auf fünf Jahre verlängert wurde. Das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9 und der damit verbundene Widerrufsbeschluss waren zum Zeitpunkt der Urteilsfällung und Beschlussfassung nicht aktenkundig (vgl ON 2 S 11).

Aufgrund einer Mitteilung des Strafregisteramts betreffend den vom Bezirksgericht Graz-Ost zu AZ 216 U 460/09s gefassten Widerrufsbeschluss erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz mit Beschluss vom 22. Februar 2010 (ON 13) den Beschluss vom 14. Jänner 2010 in Ansehung des Absehens vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht für als „gegenstandslos“ aufgehoben.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 3. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-6, wurde über Bianca-Raluca P***** (wegen des Verdachts am 30. November 2010 begangener Verbrechen des qualifizierten Diebstahls und des qualifizierten Betrugs sowie des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel) gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO die Untersuchungshaft verhängt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, wurde Bianca-Raluca P***** wegen von Ende August bis 30. November 2010 begangener Taten des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall, 15 StGB sowie mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Unter einem fasste der Einzelrichter den Beschluss auf Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht sowie auf Widerruf der bedingten Entlassung zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht.

Rechtliche Beurteilung

Die Strafen sind bislang nicht vollzogen.

Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, und des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

I.1./ Nach dem durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, einfügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB können die bedingte Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Ein Widerruf der bedingten Strafnachsicht in Ansehung eines Strafteils ist daher nur zulässig, wenn zugleich in Ansehung des Strafrests des nicht bedingt nachgesehenen Strafteils die bedingte Entlassung widerrufen wird (vgl RIS-Justiz RS0125448).

Vorliegend hat das Bezirksgericht Graz-Ost entgegen § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB nur den Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht ausgesprochen und - angesichts der Unterlassung einer Beschlussfassung de facto (vgl 12 Os 143/11p) - vom Widerruf der zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht gewährten bedingten Entlassung aus dem unbedingten Teil der Freiheitsstrafe Abstand genommen.

Der bloß partielle Widerruf bedingter Nachsicht ein- und derselben Sanktion aber widerspricht dem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von - bedingt nachgesehenem - Strafteil und - nach bedingter Entlassung verbliebenem - Strafrest. Diese Gesetzesverletzung war festzustellen und der betreffende Beschluss ersatzlos aufzuheben.

I.2./ Auch der vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, gefasste Beschluss steht in Ansehung des Widerrufs der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Nachsicht eines Strafteils mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Er war angesichts des - aktenkundigen (ON 8) - Widerrufsbeschlusses des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, aufgrund des nicht mehr existenten Entscheidungsgegenstands verfehlt und verletzte so den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen (RIS-Justiz RS0101911). Zu einem Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof nach Beseitigung des vorangegangenen, die Wurzel der Gesetzesverletzung bildenden Widerrufsbeschlusses nicht veranlasst.

II./ In Ansehung der Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 2010, GZ 6 Hv 178/09i-8, und vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, bringt die Generalprokuratur weiters vor:

Bei Prüfung der Akten erweist sich die dem gemäß § 494 Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO gefassten Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 2010, GZ 6 Hv 178/09i-8, zugrunde gelegte tatsächliche Annahme einer zum Entscheidungszeitpunkt in Ansehung (auch nur) der bedingten Entlassung der Verurteilten zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht noch disponiblen Probezeit als objektiv unrichtig.

In diesem Verfahren hätte das Landesgericht für Strafsachen Graz selbst durch Einsichtnahme in den zu AZ 5 Hv 26/08b geführten Akt dieses Gerichts keine Kenntnis von dem vom Bezirksgericht Graz-Ost bereits am 28. Oktober 2009 zu AZ 216 U 460/09s gefassten Widerrufsbeschluss erlangen können, weil eine gekürzte Urteils- und Beschlussausfertigung des Bezirksgerichts Graz-Ost erst am 28. Jänner 2010 einlangte (ON 126). Auch der zum Urteilszeitpunkt am 14. Jänner vorliegenden Strafregisterauskunft vom 1. Dezember 2009 (ON 2 S 11) war der gegenständliche Widerruf der bedingten Strafnachsicht nicht zu entnehmen.

Der Widerrufsbeschluss war aber schon ab seiner Verkündung insoweit mit einer Bindungswirkung ausgestattet, als weder das erkennende Gericht noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene prozessordnungsmäßige Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (RIS-Justiz RS0101911), was das Landesgericht für Strafsachen Graz im Verfahren AZ 6 Hv 178/09i zumindest in Ansehung des ursprünglich bedingt nachgesehen Strafteils nachträglich auch erkannte und seinen Beschluss auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit in diesem Umfang (deklarativ) für gegenstandslos erklärte (ON 13).

Da gemäß § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB die bedingte Nachsicht des Teiles einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden dürfen, erstreckte sich die Sperrwirkung des gegenständlichen - wenngleich rechtswidrigen - Beschlusses des Bezirksgerichts Graz-Ost auch auf die vom Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht zu AZ 3 BE 199/08z gewährte bedingte Entlassung. Kam nämlich ein Widerruf dieser bedingten Entlassung nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB nicht (mehr) in Betracht, so erwies sich auch das - in der Folge allein verbliebene - Absehen von einem solchen unter Verlängerung der Probezeit nach § 53 Abs 3 (iVm Abs 1) StGB als unzulässig.

Da der vom Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 6 Hv 178/09i zu Grunde gelegte Sachverhalt nicht der wahren Sachlage entsprach, ist im verbliebenen Beschlussumfang die analoge Anwendung der Bestimmung über die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO angezeigt und wäre - im Hinblick auf die inzwischen abgelaufene Probezeit mit ersatzloser - Aufhebung des Probezeitverlängerungsbeschlusses vorzugehen (vgl RIS-Justiz RS0125225; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 15 bis 18).

Auch der vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, gefasste Beschluss auf Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht sowie der vom Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht zu AZ 3 BE 199/08z ausgesprochenen bedingten Entlassung steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

In Ansehung der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht scheitert er angesichts des - aktenkundigen - Beschlusses des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. Oktober 2009, GZ 216 U 460/09s-9, am nicht mehr existenten Entscheidungsgegenstand [siehe oben I.2./]. Dem Widerruf der zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht gewährten bedingten Entlassung steht einmal mehr entgegen, dass nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB die bedingte Nachsicht des Teiles einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden können. Da er daher auch in diesem Umfang nicht Bestand haben kann (§ 292 erster Satz StPO iVm § 289 StPO per analogiam), wäre auch dieser für die Angeklagte nachteilige Beschluss zur Gänze - im Hinblick auf die inzwischen abgelaufene Probezeit ersatzlos - aufzuheben.

Diese Gesetzesverletzungen bzw objektiv unrichtigen Sachverhaltsannahmen berühren auch rechtslogisch hievon abhängige Entscheidungen und Verfügungen (vgl RIS-Justiz RS0100444), im vorliegenden Fall daher den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Jänner 2011, GZ 12 Hv 186/10m-27, mit welchem der Verurteilten Bianca-Raluca P***** auch hinsichtlich des (ursprünglich) bedingt nachgesehenen, in der Folge widerrufenen Teiles der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, verhängten Strafe sowie hinsichtlich des nach dem Widerruf der bedingten Entlassung zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht zu vollziehenden Strafrests gemäß § 39 Abs 1 SMG Strafaufschub gewährt worden ist, und die wiederum darauf basierenden (Rechtsmittel-)Entscheidungen.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Anordnung des Gesetzes, wonach die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden dürfen (§ 53 Abs 1 zweiter Satz StGB), setzt begriffslogisch voraus, dass beide bedingten Nachsichten im Beurteilungszeitpunkt noch Bestand haben. Denn das hinter dieser Regelung stehende gesetzgeberische Konzept des Ausschlusses der - grundsätzlich (vgl Jerabek in WK2 § 53 Rz 4a) - eigenständigen Behandlung von - bedingt nachgesehenem - Strafteil und - nach bedingter Entlassung verbliebenem - Strafrest will nur eine bloß partielle Widerrufsentscheidung von bedingten Nachsichten ein- und derselben Sanktion bei identer Beurteilungsgrundlage verhindern. Das Gericht soll im Rahmen einer Gesamtverfügung eine einheitliche Entscheidung über die beiden Sanktionsteile treffen, die so ein gemeinsames Schicksal erfahren, und nicht in einem Beschluss divergierende Rechtsfolgen anordnen.

Ist aber - aus welchem Grund immer - zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nur noch eine bedingte Nachsicht offen, ist der Wortlaut der Bestimmung teleologisch so zu reduzieren, dass jene - bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen - isoliert widerrufen oder die betreffende Probezeit verlängert werden kann. Sonst könnte zB im Fall, dass die urteilsmäßig bestimmte Probezeit zum Zeitpunkt der bedingten Entlassung bereits abgelaufen war, keine Entscheidung mehr über die bedingte Entlassung ergehen (s auch ErläutRV 302 BlgNR 23. GP, 9; Jerabek in WK2 § 49 Rz 2b, wonach eine bereits abgelaufene Probezeit nicht neu zu laufen beginnt). Die Normen über die bei der bedingten Entlassung zwingend zu bestimmende Probezeit (§ 46 Abs 1 StGB) und über deren Verlängerung und den Widerruf der bedingten Entlassung (§ 53 StGB) hätten keinen Anwendungsbereich. Ein solches Auslegungsergebnis widerspräche augenscheinlich dem telos der Bestimmungen über das Verfahren bei bedingter Strafnachsicht und Entlassung.

Der gemäß § 494 Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO gefasste Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 2010, GZ 6 Hv 178/09i-8, entsprach daher in Ansehung des Absehens vom Widerruf der zu AZ 3 BE 199/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht gewährten bedingten Entlassung den gesetzlichen Bestimmungen, der darauf bezogene Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens war demgemäß abzuweisen. Zum Beschluss auf Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. April 2008, GZ 5 Hv 26/08b-34, gewährten bedingten Strafnachsicht und Probezeitverlängerung, die keine Rechtswirksamkeit entfalten konnte, hat die Generalprokuratur - einer klarstellenden Beseitigung bedarf es nicht (Jerabek in WK-StPO § 494a Rz 13; 13 Os 64/09z) - keine Anträge gestellt.

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2010, GZ 12 Hv 186/10m-17, auf Widerruf der vom Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht zu AZ 3 BE 199/08z ausgesprochenen bedingten Entlassung stand ebenfalls mit dem Gesetz im Einklang. Eine von der Generalprokuratur intendierte, jedoch nicht explizit beantragte Maßnahme nach § 292 iVm § 289 StPO kam daher nicht in Betracht.

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