OGH 15Os27/17k

OGH15Os27/17k28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamad Z***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. November 2016, GZ 142 Hv 63/16z‑33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00027.17K.0628.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Mohamad Z***** – abweichend von der zu I./ auf einen Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG gerichteten Anklage (ON 27) – des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 achter Fall SMG (I./) sowie – anklagekonform – des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – von Mitte April bis 23. Juli 2016 in W***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich zumindest 28 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 8,51 % THCA und 0,65 % Delta-9-THC unbekannt gebliebenen Abnehmern in wiederholten Angriffen teils durch gewinnbringenden Verkauf weitergegeben und teils unentgeltlich überlassen (I./).

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Nichtannahme von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG, in eventu die Nichtannahme der Qualifikation nach § 27 Abs 3 SMG zu I./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

Undeutlich (Z 5 erster Fall) ist ein Urteil, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache festgestellt wurde oder aus welchen konkreten Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS-Justiz RS0117995).

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ, wobei dem Rechtsmittelgericht nur die Kontrolle obliegt, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte berücksichtigt wurde, nicht aber die Würdigung des herangezogenen Beweismaterials, wie dies im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts die Schuldberufung ermöglicht (RIS-Justiz RS0118316).

Mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen, wenn zwischen Feststellungen und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehr Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen oder zwischen in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch besteht (RIS-Justiz RS0119089).

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Kriterien logischen Denkens und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist. Eine darauf gestützte Rüge darf sich jedoch nicht auf einzelne beweiswürdigende Erwägungen betreffend eine entscheidende Tatsache beschränken, sondern muss alle einbeziehen (RIS‑Justiz RS0099413, RS0119370 [T1]).

Bei der Feststellung der Menge des weitergegebenen Suchtgifts haben sich die Tatrichter entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) mit dem unterschiedlichen Aussageverhalten der zunächst als Beschuldigte, zuletzt aber als Zeugen vernommenen Haitham A*****, Naser B*****, Helmi K***** und Hiali Az***** im Ermittlungsverfahren einerseits und in der Hauptverhandlung andererseits sehr wohl auseinandergesetzt, weshalb von Unvollständigkeit der Urteilsbegründung nicht gesprochen werden kann (US 4 ff).

Soweit die Anklagebehörde eine (deutliche bzw eingehendere) Begründung (Z 5 erster bzw vierter Fall) dafür vermisst, weshalb das Erstgericht den mit Blick auf die Überschreitung der Grenzmenge nach § 28b SMG relevanten und nach dessen Beurteilung auch richtig protokollierten Angaben des Zeugen Haitham A***** vor der Polizei, wonach der Angeklagte seit drei bis vier Monaten ca 150 g Cannabiskraut pro Woche bekommen und verkauft habe (ON 2 S 63), keinen Glauben geschenkt hat, beschränkt sie sich auf eine im schöffengerichtlichen Verfahren jedoch in dieser Form unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatrichter.

Gleiches gilt für die Beschwerdekritik, im Urteil sei die Darlegung der Gründe dafür unterblieben, warum das Erstgericht der Aussage von Naser B*****, wonach der Angeklagte „wie wir alle Cannabiskraut verkauft“ habe, „um zu überleben“ (ON 3 S 52), und den im Kern gleichlautenden Angaben von Helmi K***** (ON 2 S 131) nicht gefolgt ist.

Die aus Sicht der Beschwerdeführerin mangelnde Nachvollziehbarkeit der tatrichterlichen Erwägung, dass die nunmehr in der Hauptverhandlung unter Wahrheitspflicht vernommenen Zeugen ihre Aussagen im Ermittlungsverfahren als Beschuldigte, somit ohne damals unter Wahrheitspflicht zu stehen, getätigt haben, bewirkt unbeschadet dessen, dass die genannten Zeugen in der Hauptverhandlung bestritten haben, einzelne – den Angeklagten belastende – Angaben vor der Polizei oder dem Haft- und Rechtsschutzrichter überhaupt gemacht zu haben, weder eine Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) noch sonst einen Begründungsmangel.

Entgegen dem Rechtsmittelvorbringen blieb die Verneinung vorsätzlichen Handelns des Angeklagten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Urteil nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall). Das Schöffengericht stützte sich diesbezüglich vielmehr auf die Verantwortung des Angeklagten (US 6).

Für den Standpunkt der Anklagebehörde ist aus der dem in der Hauptverhandlung abgelegten (Teil‑)Geständnis entgegenstehenden Aussage des Angeklagten vor dem Haft- und Rechtsschutzrichter, nämlich „sicher nichts verkauft“ zu haben, nichts zu gewinnen. Der auf das Unterbleiben der Erörterung dieser Aussage abstellende Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) scheitert daher.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell- rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810).

Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines Feststellungsmangels erfordert die auf Basis des Urteilssachverhalts vorzunehmende Argumentation, dass sich aus einem nicht durch Feststellungen geklärten, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweise indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz ergebe, weil das Gericht ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580).

Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) unter Hinweis auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Aussagen der bereits erwähnten Zeugen im Ermittlungsverfahren die Feststellung des Überlassens von Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge begehrt (§ 28a Abs 1 fünfter Fall SMG), übergeht sie jedoch die– diesen Umstand nicht offenlassende, sondern implizit verneinende – Konstatierung, wonach der Angeklagte (nur) insgesamt zumindest 28 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 8,51 % THCA und 0,65 % Delta-9-THC weitergab (US 4), und verfehlt somit eine prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit.

Das gilt auch, soweit die Anklagebehörde auf die Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG abzielt, weil die das Handeln als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verneinenden tatrichterlichen Konstatierungen (US 6) außer Acht gelassen werden.

In eventu strebt die Staatsanwaltschaft die Annahme von Gewerbsmäßigkeit gemäß § 27 Abs 3 SMG an. Indem die Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, es wäre indiziert, dass der Angeklagte Suchtgift überließ, um sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteige, zu verschaffen, zumal die Bestreitung des Lebensunterhalts monatlich jedenfalls einen 400 Euro übersteigenden Betrag erfordere (§ 70 Abs 1 Z 3 iVm Abs 2 StGB), und auf Aussagen abgesondert Verfolgter vor der Polizei verweist, wonach der Rechtsmittelwerber Drogen verkaufte, „um zu überleben“, wird angesichts der Feststellung des Schöffengerichts, wonach der Angeklagte fallweise monatlich ca 5 bis 10 Gramm Cannabiskraut und ‑harz zu einem Grammpreis von 10 Euro weiterverkaufte (US 3), bloß auf Verfahrensergebnisse hingewiesen, die als ernst zu nehmendes Indiz für Gewerbsmäßigkeit von vornherein ausscheiden (RIS‑Justiz RS0118580 [T15, T21]), zumal die Tatrichter diese Angaben nicht für glaubwürdig erachteten (US 5).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte