OGH 15Os27/11a

OGH15Os27/11a4.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. April 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mustafa K***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 38 Hv 27/10z des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Mustafa K***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 26. Jänner 2011, AZ 19 Bs 17/11f, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Mustafa K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mustafa K***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 15. Dezember 2010 (S 7 f des Protokolls über die Hauptverhandlung, ON 165) des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 1 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 1 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2 (gemeint: Abs 3) SMG schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Gegen diesen Schuldspruch meldete der Angeklagte fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 167).

Mit Beschluss vom 29. Dezember 2010 setzte die Vorsitzende des Schöffengerichts die am 12. November 2009 verhängte (ON 41) und in der Folge mehrfach verlängerte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO fort (ON 169).

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 26. Jänner 2011 nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem vom Erstgericht angenommenen Haftgrund an (ON 173).

Dabei ging es davon aus, dass Mustafa K***** nach dem Inhalt des erstinstanzlichen Schuldspruchs - zusammengefasst wiedergegeben - in Wiener Neustadt und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift

I. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge in wiederholten Angriffen zwischen Sommer 2008 und 10. November 2009

a) teils alleine, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit abgesondert verfolgten Mittätern in einer nicht mehr exakt feststellbaren, zumindest aber rund 192 Gramm Metamphetamin (zumindest 96 Gramm Reinsubstanz) betragenden Gesamtmenge nach Erwerb von unbekannten Tätern nach Österreich einführte, indem er das Suchtgift jeweils von der Slowakei nach Österreich schmuggelte;

b) von September bis November 2009 in siebzehn Angriffen teils bekannten, teils unbekannten Abnehmern im Zuge telefonischer Verkaufsverhandlungen Metamphetamin in einer nicht mehr feststellbaren Menge zumindest anbot,

wobei er die unter I. a) und b) angeführten Straftaten gewerbsmäßig beging und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden ist; sowie

II. zwischen Juni 2009 und Herbst 2009 in oftmals wiederholten Angriffen eine nicht mehr feststellbare Menge Metamphetamin teils durch gewinnbringenden Verkauf, teils durch unentgeltliche Weitergabe an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer überließ, wobei er die Straftat nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG gewerbsmäßig beging.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichteten Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Mit Bezugnahme auf § 182 Abs 3 StPO und der Argumentation, die mehr als einjährige Aufrechterhaltung der Haft aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr widerspreche schon deshalb dem Fairnessgebot des Art 6 Abs 1 MRK, „zumal dadurch die dem Angeklagten von der Strafprozessordnung eingeräumte Rechtsmittelbefugnis ad absurdum geführt würde“, und stehe überdies in offenem Widerspruch zu dem im Verfassungsrang stehenden Grundsatz der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK, „da einer derart langen Aufrechterhaltung dieser Haft zweifellos die Annahme einer Schuld zugrunde liegt“, behauptet der Beschwerdeführer im Ergebnis die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft.

Dabei übersieht er jedoch, dass § 182 StPO lediglich den Vollzug der Untersuchungshaft und nicht die Voraussetzungen für deren Aufrechterhaltung regelt, die Garantie eines fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK sich nur auf jenen Teil des Strafprozesses bezieht, in dem über eine strafrechtliche Anklage - über Schuld oder Nichtschuld - entschieden wird, nicht aber auf das Verfahren zur Überprüfung der Untersuchungshaft (RIS-Justiz RS0120049; 15 Os 111/09a; Grabenwarter EMRK3 § 24 Rz 26), und dass - wie das Oberlandesgericht der Ansicht des Beschwerdeführers zuwider zutreffend ausführt - die Dauer einer, wie hier aufgrund (wenngleich noch nicht in Rechtskraft erwachsener) erstinstanzlicher Verurteilung durch Art 5 Abs 1 lit a MRK gerechtfertigten Haft keiner Prüfung unter dem Gesichtspunkt von Unverhältnismäßigkeit nach Art 5 MRK bedarf (13 Os 9/10p mwN). Demnach ist bei Beurteilung der Angemessenheit der Dauer einer Untersuchungshaft das von der ersten Instanz verhängte Strafmaß heranzuziehen (RIS-Justiz RS0108401).

Weshalb der Aufrechterhaltung der Haft die Annahme einer Schuld zugrunde liege, wird von der Rüge bloß begründungslos behauptet. Der Einwand ist daher einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Worin jene vom angefochtenen Beschluss ins Treffen geführten, der Unschuldsvermutung eklatant widerstreitenden Argumente gelegen sein sollten, vermag die Beschwerde gleichfalls nicht darzulegen. Dies kann auch aus ihrem Hinweis auf in Betracht kommende, anlässlich des abgewiesenen Enthaftungsantrags angebotene gelindere Mittel und den Umstand, dass die aus dem Jahr 2002 herrührende Vorstrafe einen lediglich bedingt unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren nachgesehenen Strafausspruch enthalte, nicht erschlossen werden.

Die bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung etwas über ein Jahr währende Haft ist - gemessen an der vom Erstgericht gefundenen Sanktion und mit Blick auf die Bedeutung der Sache (der gewerbsmäßige Import und das anschließende Anbieten größerer Suchtgiftmengen in einem Zeitraum von über einem Jahr trotz einschlägiger Vorverurteilung; BS 6) - nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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