European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00180.15G.0113.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 16 U 159/14p des Bezirksgerichts Wels verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung am 17. Dezember 2014 in Abwesenheit der Angeklagten Simone Me***** § 427 Abs 1 StPO.
Das Abwesenheitsurteil vom 17. Dezember 2014, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Simone Me***** betreffenden Schuld‑ und Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Wels verwiesen.
Gründe:
In der Strafsache gegen Roland M***** und Simone Me***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 16 U 159/14p des Bezirksgerichts Wels, legte die Staatsanwaltschaft St. Pölten den Genannten mit Strafantrag vom 11. Juni 2014 zur Last, am 19. Dezember 2013 in Wels Gewahrsamsträgern des Unternehmens E***** mit Bereicherungsvorsatz zwei Internetkarten im Wert von 29,80 Euro wegzunehmen versucht sowie ein Stabfeuerzeug im Wert von vier Euro weggenommen zu haben (ON 9).
Zum in diesem Strafantrag enthaltenen Vorwurf wurde Simone Me***** lediglich informell befragt, eine förmliche Vernehmung (gemäß §§ 164 oder 165 StPO) erfolgte hingegen nicht (ON 2 in ON 4 S 35 und 69).
Die Ladung zur Hauptverhandlung am 17. Dezember 2014 wurde der Angeklagten an die ‑ sich aus einer Meldeanfrage ergebende (ON 12) und von der Angeklagten regelmäßig frequentierte (ON 20) ‑ Adresse eines Suchtberatungszentrums durch Hinterlegung zugestellt (ON 16).
Nachdem Simone Me***** am 16. Dezember 2014 zwar telefonisch angekündigt hatte, wegen Krankheit nicht zur Hauptverhandlung kommen zu können, der Aufforderung des Bezirksgerichts Wels, eine ärztliche Krankmeldung bis spätestens unmittelbar vor der Verhandlung vorzulegen (ON 1 S 1 f), aber nicht nachgekommen war, führte die Einzelrichterin die Hauptverhandlung am 17. Dezember 2014 in Abwesenheit der Angeklagten Simone Me***** (wie auch des Angeklagten Roland M*****) durch (ON 21 S 2).
Simone Me***** wurde (lediglich in Ansehung der Wegnahme des Stabfeuerzeugs) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt (ON 21 S 4 f und ON 23).
Erst nach Schluss der Verhandlung langte beim Bezirksgericht Wels per Fax eine Krankenstandsbestätigung ein (ON 22).
Das Urteil wurde Simone Me***** ‑ nach mehreren Zustellversuchen ‑ schließlich am 6. September 2015 zu eigenen Handen zugestellt (ON 38 S 3). Hiebei teilte das Bezirksgericht Wels der Angeklagten ausdrücklich mit, „dass die Voraussetzungen für ein Verfahren in Abwesenheit nicht vorlagen“ (ON 35).
Rechtliche Beurteilung
Die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit der Angeklagten stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung unter anderem nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und in dieser ein Urteil gefällt werden, wenn der Angeklagte zuvor gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde. Nur eine dem Abwesenheitsverfahren vorangegangene, den gesamten Anklagevorwurf erfassende förmliche Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigter trägt dem durch Art 6 MRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des beiderseitigen Gehörs hinreichend Rechnung (Bauer/Jerabek, WK‑StPO § 427 Rz 8; 14 Os 179/10w).
Da eine förmliche Vernehmung der Angeklagten zum Anklagevorwurf im Ermittlungsverfahren unterblieben war, verstießen die dennoch in ihrer Abwesenheit erfolgte Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung gegen § 427 Abs 1 StPO.
Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, das Urteil im Simone Me***** betreffenden Schuld‑ und Strafausspruch aufzuheben und dem Bezirksgericht Wels die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).
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