OGH 15Os161/10f

OGH15Os161/10f19.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2011 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jahn als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers R***** N***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH wegen § 7a Abs 1 MedienG, AZ 95 Hv 32/09k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. April 2010, AZ 18 Bs 51/10x (ON 25) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Vertreters des Antragstellers Dr. Rami sowie jenes der Antragsgegnerin Dr. Gingold, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers R***** N***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. August 2009, GZ 95 Hv 32/09k-14, zur Zahlung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG verurteilt, weil im periodischen Druckwerk „w*****“ Nr 24/08 vom 21. November 2008 auf den Seiten 214 bis 215 unter dem Titel „Ich habe kein Kind belästigt“ die Information verbreitet worden ist, dass gegen R***** N***** ein Strafverfahren wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen geführt wird.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichts brachte der Antragsteller als freiberuflicher Fotograf im Frühjahr 2008 einen „künstlerisch hochwertigen“ Wien-Reiseführer mit dem Titel „*****“ heraus. Auch um sein Werk zu bewerben führte er mit Petra K*****, einer Redakteurin der Antragsgegnerin, ein Interview, welches unter dem Titel „Ich bin Vaters enfant terrible“ in der Zeitschrift „w*****“ Nr 12/08 vom 6. Juni 2008 erschien. Das Interview bezog sich auf den Reiseführer und auch das Privatleben des Antragstellers, insbesondere dessen Verhältnis zu seinem Vater, dem bekannten ehemaligen Unternehmer C***** N*****.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 24 Hv 93/07f ein Verfahren gegen den Antragsteller wegen §§ 202 Abs 1, 207 Abs 1, 15 und 212 Abs 1 Z 2 StGB anhängig, ein Umstand, den der Antragsteller beim Interview verständlicherweise nicht erwähnte.

Petra K***** erfuhr durch Leserreaktionen auf den Artikel vom 6. Juni 2008 von diesem Verfahren und besuchte gemeinsam mit einem Fotografen die Hauptverhandlung am 17. Juni 2008. In der Folge machte der Antragsteller im persönlichen Gespräch und durch ein anschließend von einem Rechtsanwalt übersandtes Schreiben deutlich, mit einer Berichterstattung über das gegen ihn geführte Strafverfahren nicht einverstanden zu sein.

In der Ausgabe der Zeitschrift „w*****“ Nr 24/08 vom 21. November 2008 wurde auf den Seiten 214 und 215 in der Rubrik „Society“ ein Artikel mit der Überschrift „Ich habe kein Kind belästigt“ und dem Subtitel R***** N., der Sohn eines Promi-Privatiers, steht vor Gericht. Er soll vor zwei Jahren acht minderjährige Buben sexuell belästigt haben. Ein Urteil ist ausständig, der Fall wird zur „Verwechslungsfarce“. W***** hat exklusiv die Details. Für N. gilt die Unschuldsvermutung! veröffentlicht. Der Fließtext - soweit gegenständlich von Bedeutung - lautet:

Der Akt. W***** liegt der Akt (24 Hv 93/07f) vor, worin N. bezichtigt wird, als Betreuer bei einem Kinderferienlager das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und das Vergehen der Nötigung begangen zu haben. R***** N. weist die Vorwürfe von sich, für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Feriencamp-Helfer . … Laut Anklageschrift war R***** N. in der Zeit von 7. bis 15. August 2006 einer von acht Helfern eines katholischen Feriencamps in F*****/S***** im W***** (V*****), das vom Wiener Peter L***** unter dem Titel „T*****“ organisiert wurde.

R***** N. fuhr seit 2001 jeden Sommer für ein bis zwei Wochen zu dem Zeltlager und betreute mit einem Kollegen eine Gruppe von acht bis zehn Kindern. „Er war nie auffällig, sondern bei den Kindern sogar beliebt“, schwört Lagerleiter L***** vor dem Schöffengericht.

Laut Anklageschrift soll R***** N. am 13. und 14. August 2006 aber bei mehreren Buben straffällig geworden sein, indem er sie „massierte“ und „am Geschlechtsteil berührte“. Acht Kinder zwischen 10 und 14 belasteten N. „massiv und übereinstimmend“.

In der Mitte des Artikels findet sich ein Foto, auf dem der Antragsteller mit Petra K***** und Dr. Alfred B***** an einem Tisch sitzend zu sehen ist. Die Bildüberschrift lautet: Harte Vorwürfe gegen Promi-Filius. Darunter wurden Teile der Anklageschrift sowie ein Auszug aus einem (Polizei-)Bericht veröffentlicht. Daneben ist halbseitig ein Bild des Antragstellers zu sehen, darunter eine Abbildung der Seiten 180 bis 181 der Ausgabe der Zeitschrift „w*****“ Nr 12/08, auf der sowohl ein Bild des Antragstellers als auch dessen vollständiger Name zu erkennen sind.

Der Artikel hatte einschneidende Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen des Antragstellers als Fotograf. Seine Auftragslage verschlechterte sich dramatisch; bereits in Aussicht gestellte Förderungen und Zusagen wurden zurückgezogen. Mangels Aufträgen als Fotograf arbeitet der Antragsteller nunmehr als Lehrer für Business English.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht von einer Verwirklichung des Tatbestands des § 7a Abs 1 MedienG aus, weil durch die identifizierende Berichterstattung über den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs Unmündiger schutzwürdige Interessen des Antragstellers verletzt worden seien, ohne dass ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von identifizierenden Daten des Verdächtigen bestanden hätte. Das Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 7a Abs 3 Z 3 MedienG verneinte das Erstgericht.

Mit Urteil vom 12. April 2010, AZ 18 Bs 51/10x (ON 25), gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht der Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil auf und wies den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG ab.

Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts sei das angefochtene Urteil aus folgenden Gründen mit einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (richtig: Feststellungsmangel, vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602) gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet:

Zwar werde durch die Identitätsbekanntgabe im Zusammenhang mit den Kindesmissbrauchsvorwürfen das Fortkommen des Betroffenen unzweifelhaft unverhältnismäßig beeinträchtigt (§ 7a Abs 2 Z 2 letzter Fall MedienG), wodurch schutzwürdige Interessen des Antragstellers verletzt werden, jedoch habe das Erstgericht bei seiner Beurteilung außer Acht gelassen, dass der Antragsteller wenige Monate vor Erscheinen des verfahrensgegenständlichen Artikels selbst an die Öffentlichkeit gegangen sei, sich so erhöhter Kritik ausgesetzt und über seine sexuellen Vorlieben Auskunft gegeben habe.

Bei der Prüfung des Interesses der Öffentlichkeit an der Bekanntgabe der Identität im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen sei zunächst zu prüfen, ob sich ein überwiegendes Informationsinteresse aus der Person ergebe. Eine Person könne „eine Stellung in der Öffentlichkeit“ nach § 7a MedienG erlangt haben, wenn sie für einen kürzeren Zeitraum Bekanntheit erlangt habe. Ein Indiz dafür sei, dass ein Mensch auch sonst, das heißt losgelöst von der Straftat, über die berichtet wurde, Gegenstand öffentlicher medialer Aufmerksamkeit gewesen sei. Das Interesse an einer Person könne aber auch durch den Beruf begründet werden, wenn die Straftat, deren der Betroffene verdächtig ist oder deren er bereits schuldig erkannt worden ist, in einem auffälligen Widerspruch zu seiner beruflichen Verantwortung stehe.

Fallbezogen „ergeben sich folgende Umstände“ - das Berufungsgericht trägt hier die fehlenden Feststellungen nach -:

„Der Angeklagte gab bereits während des anhängigen Strafverfahrens wenige Monate vor Erscheinen des nunmehr inkriminierten Artikels der Zeitschrift ‚W*****' ein Interview, in dem er sich mit weit geöffnetem Hemd und entblößter Brust - wie der Artikel festhält ‚sexy' - ablichten ließ und in dem er unter anderem auch zu seinen sexuellen Vorlieben Stellung nahm. So wurde er zitiert mit ‚Mein Vater steht auf 30 Jahre jüngere Frauen, ich auf 30 Jahre ältere Männer!'“.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht weiters aus, schon aufgrund des Umstands, dass sich der Antragsteller in der Zeitschrift „w*****“ in einer Pose mit eindeutigem Sexualbezug ablichten lassen und über seine sexuellen Vorlieben Auskunft gegeben habe, bestehe ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, dass gegen ihn ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Buben) anhängig sei. Der Antragsteller habe sich selbst in die Öffentlichkeit gestellt und dabei auch genau jenen Themenbereich nicht ausgespart, der Gegenstand des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens sei, nämlich sein sexuelles Handeln. Deshalb überwiege das Interesse der Öffentlichkeit, von dem gegen den Antragsteller anhängigen Strafverfahren zu erfahren, das Interesse des Antragstellers an der Geheimhaltung seiner Identität bezüglich dieses Umstands.

Dazu komme, dass es sich um ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens handle (was die Identität des Antragstellers weniger schützenswert erscheinen lässt [§ 7a Abs 2 Z 2 zweiter Fall MedienG]), in dem dem Antragsteller vorgeworfen werde, er habe seiner „damaligen beruflichen Verpflichtung entgegen seiner Aufsichtspflicht über Kinder dazu genutzt, diese sexuell zu missbrauchen“.

Nach Meinung der Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde stehe das Berufungsurteil aus folgenden Gründen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 7a Abs 1 MedienG hat der Betroffene gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung, wenn in einem Medium der Name, das Bild oder andere Angaben veröffentlicht werden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist (Z 1) oder die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist oder wegen einer solchen verurteilt wurde (Z 2), und hiedurch schutzwürdige Interessen dieser Person verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen werden jedenfalls verletzt, wenn sich die Veröffentlichung im Fall des Abs 1 Z 2 leg cit bloß auf ein Vergehen bezieht oder das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann (Abs 2 Z 2 leg cit).

§ 7a MedienG ist seit der Mediengesetznovelle 1992 im Rechtsbestand, um den Rechtsschutz der von der Kriminalberichterstattung betroffenen Personen auszubauen. Dass Verdächtige oder Verurteilte in Form eines „Medienprangers“ anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren, soll hintangehalten werden (RV MedienGNov 1992, 11).

Während unter dem Titel „Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen“ § 7a Abs 1 MedienG einleitend Opfern strafbarer Handlungen und Personen, die solcher verdächtig sind bzw wegen solcher verurteilt wurden, bei Vorliegen schutzwürdiger Interessen Identitätsschutz gewährt und solcherart das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) beschränkt wird, trägt der zweite Teil dieser Bestimmung in Form eines negativen Tatbestandsmerkmals diesem Grundrecht wieder Rechnung:

Über einen Tatverdächtigen oder Verurteilten ist eine identifizierende Berichterstattung nämlich nur zulässig, wenn

- wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit,

- wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder

- aus anderen Gründen

ein sein Geheimhaltungsinteresse überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Preisgabe seiner Identität bestanden hat.

Das Veröffentlichungsinteresse muss sich also auf die Identität des Betroffenen beziehen. Zulässig ist die identifizierende Berichterstattung nur dann, wenn dem Namen bzw den sonstigen Identitätsmerkmalen des Betroffenen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Informationswert muss allerdings das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 7a Rz 26; vgl auch 15 Os 95/09y).

Ein solches überwiegendes Informationsinteresse kann sich aus der Person ergeben, über die berichtet wird. Das trifft auf jene Personen zu, die wie bekannte Politiker, führende Wirtschaftstreibende, Spitzenbeamte, prominente Künstler und Sportler regelmäßig Gegenstand öffentlicher medialer Aufmerksamkeit sind (Berka aaO Rz 28).

Ist eine Person in diesem Sinn nicht als prominent zu bezeichnen, so kann ein Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben zur Aufhebung ihres Identitätsschutzes führen. Der Begriff des öffentlichen Lebens iSd § 7a Abs 1 MedienG bezeichnet grundsätzlich den Bereich des öffentlichen Handelns in gemeinschaftswichtigen Angelegenheiten. Dazu gehören jedenfalls der staatliche Bereich, das heißt das Handeln der Organwalter in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ferner das politische Leben einschließlich der Tätigkeit politischer Parteien, die Aktivitäten der Interessenvertretungen, volkswirtschaftlich bedeutsamer Unternehmen und der Massenmedien. Tätigkeiten in den „staatsfernen“ Bereichen der Kunst und des (Leistungs-)Sports werden auch zum öffentlichen Leben gerechnet (vgl Berka aaO § 7 Rz 26; 15 Os 175/08m, 11 Os 144/07x). Der Begriff des öffentlichen Lebens in diesem Sinn ist demnach nicht mit einem bloßen Auftritt in der Öffentlichkeit gleichzusetzen.

Sonstige Gründe iSd § 7a Abs 1 MedienG, die zu einem überwiegenden Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung führen können, müssen den beiden erstgenannten Gründen zumindest gleichwertig sein, um die Durchbrechung des Anonymitätsschutzes zu rechtfertigen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verschaffte der einmalige mediale Auftritt des bis dahin der Öffentlichkeit nicht bekannten Sohnes eines prominenten früheren Wirtschaftsunternehmers, der (ua) der Werbung für ein von ihm verfasstes Buch diente, diesem keine derart herausragende Stellung in der Öffentlichkeit, dass auf Grund eines berechtigten öffentlichen Interesses an seiner Person eine Aufhebung seines Identitätsschutzes gerechtfertigt wäre. Die Herausgabe eines Reiseführers, mag dieser auch - wie vom Erstgericht festgestellt - „künstlerisch hochwertig“ sein, ist nicht dem allgemein interessierenden Bereich der Kunst, also dem öffentlichen Leben iSd § 7a MedienG zuzuordnen.

Dass der Antragsteller im Rahmen eines in der Zeitschrift „w*****“ Nr 12/08 veröffentlichten Interviews von sich aus seine homosexuelle Orientierung angesprochen und damit Einblick in seinen höchstpersönlichen Lebensbereich gegeben hat, ist bei der Prüfung seines Entschädigungsanspruchs nach § 7a Abs 1 Z 2 MedienG ohne Belang. Dieser Tatbestand knüpft nämlich an einen identifizierenden Bericht über kriminelles Verhalten an; ein allfälliger Bezug zum Sexualleben des Tatverdächtigen oder Verurteilten ist dabei - anders als in Ansehung des Opfers (vgl § 7a Abs 2 Z 1 MedienG, wonach schutzwürdige Interessen des Opfers einer gerichtlich strafbaren Handlung jedenfalls verletzt werden, wenn die Veröffentlichung geeignet ist, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich des Opfers oder dessen Bloßstellung herbeizuführen) - bedeutungslos.

Im Übrigen löst ein solches „Outing“ nicht den Anspruch der Öffentlichkeit aus, auch Informationen über den Verdacht der kriminellen Implikation dieser Veranlagung zu erhalten, und zwar auch dann nicht, wenn das strafbare Verhalten in diametralem Gegensatz zu der vom Antragsteller bekanntgegebenen Vorliebe für erheblich ältere Männer steht.

Homosexualität wird heutzutage gesellschaftlich neutral bewertet und ist per se frei von jeglichem Strafrechtsbezug. Der vom Oberlandesgericht Wien eingenommene Standpunkt, wer sich zu seinen „sexuellen Vorlieben“ öffentlich bekannt habe, müsse auch die Bekanntgabe seiner aus dieser Veranlagung resultierenden kriminellen Verfehlungen hinnehmen, lässt sich mit den modernen Grundsätzen des gesetzlich gebotenen Identitätsschutzes nicht in Einklang bringen.

Dass die Tat in auffallendem Widerspruch zu den seinerzeitigen beruflichen Verpflichtungen des Verdächtigen oder Verurteilten steht, genügt für sich allein nicht, um ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der jeweiligen Person zu begründen, ist doch nicht erkennbar, weshalb die durch mediale Verbreitung der Identität bewirkte Verringerung der Rehabilitierungs- bzw Resozialisierungschancen des Einzelnen ganz allgemein von den spezifischen Integritätserfordernissen seines - in keinem Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben stehenden - Berufs abhängen sollte (abzulehnen daher Oberlandesgericht Wien 17 Bs 180/02 = MR 2002, 286 betreffend einen Steuerberater, der im Verdacht der Beteiligung an einem Finanzvergehen steht; zutreffend aber grundsätzlich Brandstetter/Schmid Komm zum MedienG² § 7a Rz 28: Anknüpfungspunkt ist hier nämlich der [öffentliche] Rang bzw die gehobene öffentliche Position des Verdächtigen oder Täters).

Die Bevölkerung vor bestimmten, namentlich genannten Verdächtigen oder Verurteilten zu warnen, ist zur Vermeidung einer medialen Hetzjagd und eines medialen Prangers grundsätzlich nicht Aufgabe der Medien, sondern der Strafverfolgungsbehörden und der Sicherheitspolizei, die sich in besonderen Fällen den Verbreitungsgrad eines Mediums nutzbar machen können (vgl § 169 Abs 1 StPO; § 7a Abs 3 Z 2 MedienG, wonach der Anspruch nicht besteht, wenn die Veröffentlichung der Angaben zur Person amtlich veranlasst war, insbesondere für Zwecke der Strafrechtspflege oder der Sicherheitspolizei). Eine mediale Durchbrechung des Anonymitätsschutzes Verdächtiger oder Verurteilter aus eigenem Antrieb (nämlich jenem des Mediums) ist unter diesem Aspekt allenfalls bei eklatanten behördlichen Versäumnissen in diesem Bereich (öffentliches Handeln) denkbar (zum Ganzen vgl Berka aaO § 7a Rz 30).

Im Allgemeinen kommt daher den Medien auch keine Kompetenz zur Warnung vor Personen zu, die im Verdacht in ihrem beruflichen Umfeld begangener strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung stehen oder solcher bereits schuldig erkannt wurden. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der § 9a Abs 2 StRegG zugrunde liegenden Wertung, wonach - abgesehen von Gerichten, Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden - nur den dort genannten Behörden, wie Jugendwohlfahrtsträgern, Schulbehörden usw, jedoch keineswegs jedermann Auskunft über Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (§ 2 Abs 1a StRegG) zu erteilen ist (abzulehnen daher Oberlandesgericht Graz 10 Bs 258/94 = MR 1994, 193).

Zusammenfassend verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. April 2010, 18 Bs 51/10x (ON 25), das Gesetz in der Bestimmung des § 7a Abs 1 MedienG, weil im vorliegenden Fall weder wegen der Stellung des Antragstellers in der Öffentlichkeit noch wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung des Namens und des Bildes des Antragstellers im Zusammenhang mit dem Bericht über die ihm zur Last liegenden gerichtlich strafbaren Handlungen bestanden hat.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von identifizierenden Angaben kann 1) aus der Stellung des Antragstellers in der Öffentlichkeit, 2) wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder 3) aus - diesen gleichwertigen -anderen Gründen bestehen. Demgemäß kann das Überwiegen des öffentlichen Interesses - was die Generalprokuratur mit ihrer isolierten Argumentation zu jedem einzelnen, von ihr für sich allein als nicht tragend angesehenen vom Oberlandesgericht angeführten Gründe des § 7a Abs 1 Z 2 MedienG vernachlässigt - auch, wie vom Oberlandesgericht gegenständlich der Sache nach angenommen, (erst) durch das Zusammentreffen mehrerer dieser Gründe zustande kommen. Dies entspricht dem Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung über die Ausnahme vom Identitätsschutz und lässt sich auch aus der Verwendung des Plurals anstelle des Singulars bei der Gesetzesformulierung des drittgenannten Falls ableiten. Die Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an der Identitätsbekanntgabe bei wertender Betrachtung als überwiegend anzusehen sei, ist somit nach den zu 1) bis 3) genannten Kriterien in ihrer Gesamtschau einzelfallbezogen zu prüfen.

Der Wahrungsbeschwerde zuwider ist eine prominente Stellung in der Öffentlichkeit iSd erstgenannten Falls nicht auf Personen beschränkt, die regelmäßig Gegenstand öffentlicher medialer Aufmerksamkeit sind (so auch nicht der zitierte Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG2 § 7a Rz 28, der diesen Umstand lediglich als Indiz für erlangte Prominenz bezeichnet). Naturgemäß kann auch einer Person eine prominente Stellung zukommen, die nicht regelmäßig, sondern nur unregelmäßig Gegenstand von Medienberichterstattung ist, ebenso kann bereits ein erstmaliges öffentliches Bekanntwerden einer Person theoretisch dazu führen, dass sie schon ab diesem Moment eine Stellung in der Öffentlichkeit erlangt hat, die sie als „prominent“ erscheinen lässt. So kann auch die bloß einmalige Berichterstattung in einer weit verbreiteten Zeitschrift über den Sohn eines Prominenten ua darüber, dass und in welcher Weise sich sein Sexualverhalten von dem seines Vaters unterscheide, zum (jedenfalls im weiten Kreis der Leser dieser Zeitschrift gegebenen) öffentlichen Bekanntwerden und somit zu einer gewissen Prominenz (minderen Grades) des - denselben bekannten Familiennamen wie sein prominenter Vater tragenden - „Promi-Sohns“ führen.

Einer der „anderen Gründe“ im Sinn des dritten Falls leg cit wiederum kann - unabhängig von der Frage, ob er für sich allein bereits den Ausschlag gibt - nach hM grundsätzlich auch darin liegen, dass zwischen der angeblichen Tat und dem Beruf des Verdächtigen ein „unvereinbarer Gegensatz“ besteht (in diesem Sinn auch Berka aaO; Brandstetter/Schmid, MedienG2 § 7a Rz 28; Rami in WK2 MedienG § 7a Rz 9 mwN).

Schließlich kann auch der Umstand, dass ein der Begehung mehrerer als Verbrechen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zum Nachteil Unmündiger zu unterstellender Taten Verdächtiger erst kurze Zeit zuvor gerade demselben Teil der Öffentlichkeit, der auch durch die inkriminierte Veröffentlichung angesprochen wurde, freiwillig sein - zu diesem Tatvorwurf in Widerspruch stehendes - vorgebliches Sexualverhalten präsentiert hat, grundsätzlich einen bei Überprüfung eines Überwiegens des öffentlichen Interesses relevanten „anderen“ Grund darstellen, wobei im Übrigen - der dies der Sache nach behauptenden Wahrungsbeschwerde zuwider - im konkreten Fall durch die Formulierung der Entscheidungsbegründung des Oberlandesgerichts keineswegs eine Diskriminierung homosexuellen Verhaltens erfolgt ist.

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aber nur isoliert jeden einzelnen der vom Oberlandesgericht genannten verschiedenen Gründe für sich allein einer Prüfung unterzieht und als nicht tragfähig dafür bezeichnet, ein Überwiegen des Interesses der Öffentlichkeit zu begründen, unterlässt sie die (vom Oberlandesgericht vorgenommene) nach § 7a Abs 1 Z 2 MedienG gebotene Gesamtbetrachtung aller Gründe.

In die inhaltliche Prüfung der Frage, ob im konkreten Einzelfall aufgrund der vom Oberlandesgericht genannten Gründe in ihrer Gesamtheit tatsächlich ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit anzunehmen war, hatte der Oberste Gerichtshof somit nicht einzutreten, weil diese nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin (§ 290 Abs 1 StPO) entschieden worden ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher zu verwerfen.

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