OGH 15Os157/96

OGH15Os157/967.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Mayrhofer, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Berger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Saban S***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 3 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. Juli 1995, GZ 4 b Vr 2871/95-82, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, und des Verteidigers Dr. Maurer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juli 1995, GZ 4 b Vr 2871/95-82, verletzt durch den Schuldspruch des Saban S***** wegen des Finanzvergehens nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG als Beteiligter nach § 11 zweiter Fall FinStrG (Punkt I letzter Absatz des Urteilsspruches) das Gesetz im Artikel 14 Abs 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320, iVm Artikel 5 des Übereinkommens (in der Fassung des Artikels 2 des zweiten Zusatzprotokolls vom 17. März 1978, BGBl 1983/297) und mit Artikel I des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn vom 27. Oktober 1993, BGBl 1994/802.

Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in dem das Finanzvergehen nach §§ 11 zweiter Fall, 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG betreffenden Teil des Schuldspruches zu I, und demnach auch im auf § 38 Abs 1 lit a FinStrG gegründeten Teil des Strafausspruches, (ersatzlos) aufgehoben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Am 10. November 1994 erließ der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien einen (internationalen) Haftbefehl gegen den mazedonischen Staatsangehörigen Saban S***** (GZ 26 a Vr 8436/92-34). Demnach soll Saban S***** im Frühjahr 1991 eine unbekannte Menge Heroin nach Wien gebracht und weitergegeben, weiters vom Februar 1992 bis Juli 1992 in Wien 250 bis 300 g Heroin verkauft, zwischen Sommer 1992 und November 1994 mehrere Lieferungen mit insgesamt mindestens 3,5 kg Heroin von Ungarn nach Wien in Auftrag gegeben haben und darüber hinaus noch Heroin nach Österreich und durch Österreich in die Schweiz und in die Bundesrepublik Deutschland verbringen lassen haben. Diesen Sachverhalt qualifizierte das Gericht ausschließlich nach § 12 (der Sache nach § 12 Abs 1, 2 und 3) SGG.

Auf der Basis dieses (internationalen) Haftbefehles wurde Saban S***** am 3. März 1995 in Ungarn festgenommen (447/I). Zufolge einer am 2. Juni 1995 beim österreichischen Bundesministerium für Justiz eingegangenen Note bewilligte sodann der Justizminister der Republik Ungarn die Auslieferung des Saban S***** "zwecks Durchführung des gegen ihn wegen der im Haftbefehl des Wiener Landesgerichtes für Strafsachen Nr 26 a Vr 8436/92 vom 11. November 1994 angeführten Straftaten anhängigen Strafverfahren(s)" (105 ff/II). Am 8. Juni 1995 wurde Saban S***** nach Österreich überstellt (375/I).

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juli 1995, GZ 4 b Vr 2871/95-82, wurde Saban S***** (wegen der im Haftbefehl ON 34 erwähnten Tathandlungen) nicht nur des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall und Abs 3 Z 3 SGG, sondern auch (wegen des im Punkt I des Schuldspruches bezeichneten Teiles jener Handlungen) des (in Tateinheit mit dem Suchtgiftdelikt begangenen) Finanzvergehens (des Schmuggels) nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG als Beteiligter nach § 11 zweiter Fall FinStrG schuldig erkannt und nach § 12 Abs 3 SGG zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren sowie gemäß § 12 Abs 5 SGG zu einer Geldstrafe von 700.000 S, im "Nichteinbringungsfall" zu zwei Monaten Ersatzfreiheitsstrafe, ferner gemäß § 38 Abs 1 lit a (richtig: §§ 35 Abs 4, 38 Abs 1 lit a) FinStrG zu einer Geldstrafe von 320.000 S, im "Nichteinbringungsfall" zu einem Monat Ersatzfreiheitsstrafe, schließlich gemäß § 13 Abs 2 SGG und - verfehlt, jedoch ohne Nachteil für den Angeklagten (Dorazil/Harbich § 19 FinStrG E 26 a) - auch nach § 19 Abs 1 lit a und Abs 3, 4 FinStrG zu einer Wertersatzstrafe von 800.000 S, im "Nichteinbringungsfall" zu drei Monaten Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. November 1995, AZ 21 Bs 341/95 (= GZ 4 b Vr 2871/95-95), wurde der (ausschließlich) auf Herabsetzung der Freiheitsstrafe abzielenden Berufung des Angeklagten nicht Folge gegeben.

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juli 1995, GZ 4 b Vr 2871/95-82, verletzt - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Gesetz im Artikel 14 Abs 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320, in Verbindung mit Artikel 5 dieses Abkommens (in der Fassung des Artikels 2 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 17. März 1978, BGBl 1983/297) und mit Artikel I des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn vom 27. Oktober 1993, BGBl 1994/802:

Der Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. November 1994, auf welchen sich die Bewilligung der Auslieferung des Saban S***** durch den Justizminister der Republik Ungarn inhaltlich bezieht (105 ff/II), umschreibt ausschließlich das Verbrechen nach § 12 SGG, ohne auf das durch die illegale Einfuhr von Suchtgift - nach der Rechtslage zur Tatzeit (vgl 13 Os 55/96) - idealkonkurrierend mitbewirkte Finanzvergehen Bezug zu nehmen. Nur der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß selbst die Anklagebehörde das Strafverfahren - trotz Ankündigung einer Qualifikation der ausschließlich wegen § 12 SGG eingebrachten Anklage in Richtung eines auch nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG strafbaren Verhaltens (vgl S 3 j verso) - stets nur nach § 12 Abs 1, 2 und 3 Z 3 SGG betrieb (vgl 477 ff/I und 46 f/II).

Artikel 14 Abs 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens läßt zwar zu, daß der Ausgelieferte wegen einer rechtlich anders als im Auslieferungsbegehren gewürdigten strafbaren Handlung verfolgt und verurteilt wird (womit grundsätzlich auch der Fall eines kraft Idealkonkurrenz sich ergebenden zusätzlichen Schuldspruches in Ansehung des dem Auslieferungsbegehren zugrunde liegenden Sachverhaltes erfaßt wäre); dies jedoch nur insoweit, als die Tatbestandsmerkmale der rechtlich neu gewürdigten strafbaren Handlung die Auslieferung gestatten würden.

Die Prüfung, inwieweit die im ersuchenden Staat sich ergebende Änderung der rechtlichen Würdigung des der Auslieferung zugrunde liegenden Sachverhalts die Auslieferung auch unter den neuen Gesichtspunkten zuläßt, steht jedenfalls dann, wenn von der nunmehrigen rechtlichen Beurteilung eine besondere Deliktskategorie betroffen ist, für die der ausliefernde Staat eigenständige und über die grundsätzliche Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit hinausgehende Erfordernisse vorsieht, ausschließlich dem ersuchten Staat zu (vgl Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, 123, 181 f). Auf der Basis der mit der Republik Ungarn geltenden Auslieferungsvoraussetzungen ist nun bei fiskalischen Delikten die - im vorliegenden Fall unterbliebene - besondere Abklärung solcher zusätzlichen Voraussetzungen erforderlich, die grundsätzlich der ersuchte Staat - und zwar im Falle bereits durchgeführter Auslieferung wegen anderer Delikte in sinngemäßer Anwendung des Artikel 14 Abs 1 lit a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens - vornimmt, um seine Rechtsvorstellungen im Strafverfahren einfließen lassen zu können (Schwaighofer, aaO 181).

Die Ergänzung des Artikels 5 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (in der Fassung des Zweiten Zusatzprotokolls) durch Artikel I des bilateralen Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn vom 27. Oktober 1993, BGBl 1994/802 (der am 1. Dezember 1994, somit vor der Auslieferungsbewilligung in Kraft getreten ist) sieht zwar eine Auslieferung auch in Abgaben-, Steuer- und Zollstrafsachen vor, jedoch nur unter der Voraussetzung gerichtlicher Strafbarkeit der dem Ersuchen zugrunde liegenden Handlung nach dem Recht des ersuchten Staates (als Delikt derselben Art, wobei die Ablehnung der Auslieferung nicht allein auf das Fehlen gleichartiger Abgaben, Steuern, oder Abgaben-, Steuer-, Zoll- oder Devisenbestimmungen im Recht des ersuchten Staates gegründet werden darf; siehe Artikel 2 Abs 2 des Zweiten Zusatzprotokolls). Mag nun auch das Übergabeprotokoll des Polizeipräsidiums von Ungarn den vom Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erlassenen internationalen Haftbefehl als solchen wegen "Rauschgiftschmuggels" bezeichnen (447/I), kann doch die Auslieferungsbewilligung (105 ff/II) nicht ausdehnend dahin interpretiert werden, daß sie auch die im österreichischen Auslieferungsbegehren unerwähnt gebliebene rechtliche Beurteilung der Tat (auch) als Finanzvergehen mitumfaßt. Aus dem Akt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Republik Ungarn die Erfüllung der besonderen Voraussetzungen des Artikels I des bilateralen Vertrages mit der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens angenommen und die Auslieferung des Saban S***** auch wegen allenfalls in Tateinheit mit dem Suchtgifttatbestand mitverwirklichter Fiskaldelikte bewilligt oder ihre Zustimmung analog Artikel 14 Abs 1 lit a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens erklärt haben könnte. Die Verurteilung des von der Republik Ungarn demnach ausschließlich zur Strafverfolgung wegen des Verbrechens nach § 12 SGG ausgelieferten Saban S***** auch wegen des mit jenem Verbrechen (im Umfang des Schuldspruchs I) idealkonkurrierenden (vgl Dorazil/Harbich FinStrG § 22 E 8 und 11) Finanzvergehens verstößt somit gegen den Grundsatz der Spezialität (Artikel 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens). Das unbeachtet gebliebene Verfolgungshindernis ist einer Sanierung durch nachträgliche Erwirkung der Zustimmung des ausliefernden Staates zur strafgerichtlichen Verfolgung des bereits Ausgelieferten nicht mehr zugänglich (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 9 lit b E 12). Die nur im Wege des § 292 letzter Satz StPO behebbare Urteilsnichtigkeit wirkt sich zum Nachteil des Verurteilten aus (das nur auf die Freiheitsstrafe wegen des Suchtgiftverbrechens bezügliche Berufungsurteil ist hievon jedoch ebensowenig betroffen wie die - unangefochten gebliebenen - Verurteilungen zu einer Geldstrafe gemäß § 12 Abs 5 SGG und einer Wertersatzstrafe gemäß § 13 Abs 2 SGG).

Es war daher wie im Spruch zu erkennen.

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