OGH 15Os152/15i

OGH15Os152/15i25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Isep als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Thomas S***** gegen die Antragsgegnerin Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) – Landesgruppe Niederösterreich wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 35 Hv 28/14p des Landesgerichts St. Pölten, über den Antrag der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) – Landesgruppe Niederösterreich auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Thomas S***** gegen die Antragsgegnerin Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) – Landesgruppe Niederösterreich wegen §§ 6 ff MedienG wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 3. November 2014, GZ 35 Hv 28/14p‑17, ausgesprochen, dass durch die Veröffentlichung eines Berichts auf dem von der Antragsgegnerin abrufbar gehaltenen Facebook‑Profil „FPÖ Niederösterreich“, der sich mit einer Anzeige der FPÖ Niederösterreich gegen den Antragsteller wegen dessen Gehalts als Vorstand der F***** AG im Jahr 2012 beschäftigt, der objektive Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt (§ 6 Abs 1 MedienG) und schutzwürdige Anonymitätsinteressen des Antragstellers verletzt wurden (§ 7a Abs 1 MedienG), die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Entschädigung von 4.000 Euro an den Antragsteller verpflichtet und nach § 8a Abs 6 MedienG die Urteilsveröffentlichung angeordnet.

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 7. Mai 2015, AZ 18 Bs 30/15s (ON 26 des Hv‑Akts), der dagegen erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit und Schuld nicht, hingegen jener wegen Strafe dahin Folge, dass die aufgetragene Urteilsveröffentlichung in näher bezeichneter Weise korrigiert wurde.

Gegen die Urteile des Landesgerichts St. Pölten und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützte Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG. Ihm kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Für einen – wie hier vorliegenden – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737). Dem solcherart auch hier geltenden Erfordernis der horizontalen Rechtswegerschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK) wird nur dann entsprochen, wenn die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (Grabenwarter/Pabel EMRK6 § 13 Rz 36; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]).

Bei der mit Blick auf die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK gebotenen deutlichen und bestimmten Darlegung einer behaupteten Grundrechtsverletzung hat der Erneuerungswerber, soweit er nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag, seiner Argumentation die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu Grunde zu legen (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

Aus dem Gebot zu substantiierter und schlüssiger Behauptung der Opfereigenschaft (Art 34 MRK) folgt auch, dass prozessförmiges Aufzeigen von Rechtsfehlern als Grund für eine Verfahrenserneuerung methodengerechter Ableitung der aufgestellten Rechtsbehauptung aus der reklamierten Grundrechtsverheißung (hier mit Beziehung auf deren Gewährleistung auf innerstaatlicher Ebene) bedarf; dabei gilt nichts anderes als für die prozessförmige Darstellung einer Rechts‑ oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9, 10 StPO; RIS‑Justiz RS0128393).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht:

Der Ausschlussgrund des erbrachten Wahrheitsbeweises (§ 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG) wurde von der Erneuerungswerberin in der Berufung (ON 19) nicht (entgegen dem Vorbringen in der Äußerung gemäß § 24 StPO auch nicht der Sache nach) geltend gemacht, sodass der vorliegenden Reklamierung desselben das Prozesshindernis der (horizontalen) Nichterschöpfung des Instanzenzugs (Art 35 Abs 1 MRK) entgegensteht.

Im Übrigen orientiert sich die Erneuerungswerberin – ohne Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen deren Richtigkeit hervorzurufen – nicht an den (auch der Entscheidung des Berufungsgerichts zu Grunde gelegten, ON 26 S 3 ff) Urteilsfeststellungen des Landesgerichts St. Pölten (ON 17 S 4 ff) zu dem im Vorwurf des Verdachts der gerichtlich strafbaren Handlung der Untreue gelegenen Bedeutungsinhalt der Veröffentlichung und zum Fehlen eines Tatsachensubstrats für dessen Wahrheit, nämlich zum Unterbleiben eines Nachweises von Umständen, welche die Schlussfolgerung eines entsprechenden Tatverdachts zuließen (ON 17 S 7 iVm 4 f; RIS‑Justiz RS0127028).

Mit der Argumentation, die vorliegende Veröffentlichung falle wegen des Öffentlichkeitsbezugs des Gegenstands der Berichterstattung in den qualifizierten Schutzbereich des Art 10 MRK, weil die Diskussion über die Höhe des Gehalts des Antragstellers „die Gebarung einer Tochtergesellschaft zweier Körperschaften öffentlichen Rechts (der Hochschülerinnen‑ und Hochschülerschaften der Universität Wien und der Wirtschaftsuniversität Wien) betrifft, die unter anderem von den Zwangsgebühren der Studierenden finanziert“ werden, verfehlt die Erneuerungswerberin neuerlich die gebotene Ausrichtung am konstatierten Bedeutungsinhalt, der Antragsteller sei der gerichtlich strafbaren Handlung der Untreue verdächtig. Solcherart versagt die Berufung auf eine durch das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 Abs 1 MRK) gedeckte sanktionslose Kritik auch bei (zutreffender) Einstufung der berichteten Angelegenheit als solche von öffentlichem Interesse, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf nicht als wahr erwiesenen, mithin unwahren Tatsachenbehauptungen beruhende negative Werturteile – hier ein ohne Sachsubstrat vorgebrachter Tatverdachtsvorwurf – nicht unter den Schutzbereich des Art 10 MRK fallen (vgl RIS‑Justiz RS0107915, RS0075601, RS0032201; Rami in WK2 MedienG Präambel Rz 10).

Auch zur Frage der Zulässigkeit identifizierender Berichterstattung (§ 7a Abs 1 MedienG) wird mit der bloßen (wenngleich der Sache nach durchaus zutreffenden) Behauptung eines Zusammenhangs des Gegenstands der Berichterstattung mit dem öffentlichen Leben ohne Abwägung mit den – nach den Urteilsannahmen des Landesgerichts mit Blick auf den unsubstantiierten Verdachtsvorwurf beträchtlichen – schutzwürdigen Anonymitätsinteressen des Antragstellers (US 9) und ohne Darlegung eines spezifisch auf die Identifizierung des Betroffenen durch Namensnennung gerichteten öffentlichen Informationsinteresses (vgl RIS‑Justiz RS0125775) kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK prozessförmig zur Darstellung gebracht.

Das Vorbringen der Erneuerungswerberin ist damit insgesamt nicht geeignet, eine Fehlbeurteilung der hier befasst gewesenen Gerichte über die Reichweite des Art 10 MRK aufzuzeigen. Die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zum Schutz des vorliegend prävalierenden Rechts auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens (Art 8 MRK) war im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK gesetzlich, nämlich in den §§ 6 Abs 1 und 7a Abs 1 Z 2 MedienG, vorgesehen und im konkreten Fall auch erforderlich. Da mit der Bestimmung eines mit 4.000 Euro (auch im Hinblick auf die Verwirklichung mehrerer Entschädigungstatbestände [§ 8 Abs 2 MedienG]) maßvollen Entschädigungsbetrags (ein Fünftel des gesetzlichen Höchstbetrags; §§ 6 Abs 1, 7a Abs 1 MedienG) auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wurde, kann eine Verletzung des Art 10 MRK nicht festgestellt werden.

Der offenbar unbegründete Erneuerungsantrag war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

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