Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland V***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (1./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach (richtig:) § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er im Zeitraum von 1998 bis August 2010 in P***** und an anderen Orten
1./ vorschriftswidrig anderen Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen, indem er rund 9.570 Gramm Cannabiskraut, beinhaltend eine Reinsubstanzmenge von zumindest 950 Gramm Delta-9-THC, 12 Gramm Heroin, beinhaltend eine Reinsubstanzmenge von zumindest 0,24 Gramm Diacetylmorphin, sowie 6 Gramm Kokain, beinhaltend eine Reinsubstanzmenge von zumindest 1,2 Gramm Cocain, an Rene A***** und Martin L***** gewinnbringend verkaufte, und
2./ überdies ausschließlich zum persönlichen Gebrauch über die oben angeführten Mengen hinaus Cannabiskraut, Heroin, Kokain und Amphetamin erworben und besessen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4, 5, 8 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.
Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung am 30. Juni 2011 und am 14. Juli 2011 „zum Beweis der Tatsache, dass, auch bei Annahme der angeklagten Menge [Suchtgift], die Menge des weitergegebenen Suchtgifts nicht das 15-fache im Sinne des SMG erreicht, die Einholung eines Gutachtens aus dem Bereich der Chemie. Es wird beantragt, das beschlagnahmte Suchtgift auf THCA zu untersuchen. Im bisher eingeholten Gutachten ist eine Umwandlung von THCA in Delta-9-THC durchgeführt worden, dies durch das Verfahren der Gaschromatographie. Dieses Verfahren führt eine Umwandlung von einem Suchtgift in ein anderes durch. Der Angeklagte hat jedoch nicht die Übergabe von Delta-9-THC zu verantworten, sondern von THCA, da Delta-9-THC erst durch das Gutachten selbst entsteht. Das ist insbesondere auch von großer Bedeutung, da die Grenzmenge des THCA doppelt so hoch ist wie von Delta-THC“ (ON 321 S 5 iVm ON 309 S 9).
Die gegen die Abweisung dieses Antrags gerichtete Verfahrensrüge (Z 4) geht fehl.
Der Beweisantrag legt nämlich nicht dar, weshalb die Einholung eines chemischen Gutachtens ein für den Angeklagten günstigeres Ergebnis haben sollte, sodass er auf einen (unzulässigen) Erkundungsbeweis hinausläuft (RIS-Justiz RS0099453 und RS0099189). Allein der Hinweis auf die unterschiedlichen Grenzmengen für THC und THCA in der Suchtgift-Grenzmengenverordnung wird den Erfordernissen an einen Beweisantrag nicht gerecht, weil offen bleibt, in welchem Ausmaß eine Umwandlung bei der angewandten Untersuchungsmethode erfolgte. Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelwerbers liegt ihm keineswegs nur die Übergabe von THCA zur Last, enthält Cannabis neben der genannten Substanz doch jedenfalls auch THC (vgl RIS-Justiz RS0087895; RS0111350 [T1]; ON 63 S 7). Im Übrigen lässt der Antragsteller offen, warum angesichts der zwischenzeitigen Lagerdauer die Ermittlung des Gehalts an THC und an THCA zu den Übergabezeitpunkten noch möglich sein sollte.
Zutreffend zeigt die Mängelrüge jedoch betreffend die Annahme der Reinsubstanzmenge von insgesamt 950 Gramm Delta-9-THC Nichtigkeit aus Z 5 vierter Fall auf.
Die Tatrichter gründeten die Feststellung des (hier mit rund 10 % zudem weit überdurchschnittlich hoch angenommenen [gerichtsnotorisch sind 0,25 % bis 8 %; RIS-Justiz RS0111350 [T1], RS0087895]) Reinheitsgehalts des vom Schuldspruch 1./ umfassten Cannabiskrauts nicht nur auf die Auswertung der beim Angeklagten am 24. August 2010 sichergestellten 2,9 Gramm, sondern auch auf „Erfahrungswerte“ (US 5), ohne diese als gerichtsnotorische Tatsachen in der Hauptverhandlung erörtert zu haben. Der Angeklagte hat jedoch ein aus dem fair-trial-Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Hat aber das Erstgericht die Feststellung einer durchschnittlichen Wirkstoffkonzentration - wie hier - auch auf eine von ihm angenommene Gerichtsnotorietät gestützt, über die der Angeklagte nicht informiert wurde, so hat es gegen seine aus Z 5 vierter Fall relevierbare Erörterungspflicht verstoßen (RIS-Justiz RS0119094; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463).
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs 1./ bereits bei nichtöffentlicher Beratung.
Da nach Aufhebung eines Schuldspruchs nach § 28a SMG, weil die Beurteilung der Suchtgiftmenge als groß (§ 28b SMG) oder übergroß (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG) fraglich ist, auch jene Annahmen, die einen - insoweit nicht erfolgten - Schuldspruch nach § 27 SMG allenfalls zu tragen vermögen, nicht bestehen bleiben, ist die Kassation des gesamten Schuldspruchs 1./ erforderlich (RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18). Mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35, 37 SMG war zudem gemäß § 289 StPO auch der Schuldspruch 2./ aufzuheben (13 Os 99/09x uva).
Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich daher.
Hingewiesen wird darauf, dass bezüglich des im Referat zum Schuldspruch 1./ (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) inkriminierten Überlassens von Heroin und Kokain in den Urteilsgründen keinerlei Feststellungen getroffen wurden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 606).
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie gemäß § 289 StPO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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