OGH 15Os140/15z

OGH15Os140/15z21.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Redzep H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Redzep H*****, Bledar C***** und Gjulin R***** sowie über die Berufungen der Angeklagten Bledar D***** und Zuber I***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. März 2015, GZ 16 Hv 111/14t‑159, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00140.15Z.1221.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Gjulin R***** und Bledar C***** sowie aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil in den Schuldsprüchen aller Angeklagter, somit auch in den Strafaussprüchen einschließlich der Vorhaftanrechnung und des Ausspruchs der Konfiskation aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Der Angeklagte Redzep H***** wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung, die Angeklagten Bledar C*****, Gjulin R*****, Bledar D***** und Zuber I***** werden mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Redzep H*****, Bledar C*****, Gjulin R*****, Zuber I***** und Shaban I***** jeweils der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./) und nach (gemeint:) § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B./) und Bledar D***** „der Verbrechen“ (richtig: des Verbrechens; vgl RIS‑Justiz RS0117464) nach (gemeint:) § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B./) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar 3.981,1 Gramm Kokain (Reinsubstanz mindestens 1.433,81 Gramm Cocain-Base),

A./ zwischen 7. und 8. November 2014 eingeführt, und zwar

1./ Zuber I***** und Shaban I***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in S*****, indem sie das Suchtgift aus Deutschland ins österreichische Bundesgebiet verbrachten;

2./ Redzep H*****, Bledar C***** und Gjulin R***** als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB), indem sie an der zu A./1./ beschriebenen Einfuhr „durch Überwachung, Freigabe der Lieferung aus dem Ausland nach der Kaufpreisbesichtigung und Absprachen mitwirkten“;

B./ am 8. November 2014 einem anderen überlassen, und zwar

1./ Bledar C*****, Bledar D***** und Zuber I***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in G*****, indem sie das zu A./ genannte Suchtgift einem verdeckten Ermittler übergaben;

2./ Redzep H*****, Gjulin R***** und Shaban I***** als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) in L*****, indem sie an der zu Punkt (richtig:) B./1./ beschriebenen Übergabe „durch Bereithalten zur Geldübergabe, Redzep H***** darüber hinaus durch Übergabe einer geringen Menge an Kokain als Probe am 4. November 2014 an den verdeckten Ermittler“, mitwirkten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die von Redzep H***** auf Z 5, von Bledar C***** auf Z 3, 4, 5, 9 lit a und 11 und von Gjulin R***** auf Z 4, 5 und 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bledar C*****:

Die Verfahrensrüge (Z 3) zeigt zutreffend auf, dass die in der Hauptverhandlung vorgenommene Verlesung (ON 158 S 26) des Gutachtens des Sachverständigen Martin S***** über den Reinheitsgehalt des Suchtgifts (ON 45) § 252 Abs 1 StPO verletzt. Gutachten von Sachverständigen dürfen nach der genannten Bestimmung nur in den Fällen der Z 2 und 4 verlesen werden (Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 39 mwN). Eine Vorführermächtigung nach § 252 Abs 1 Z 2 StPO steht hier ‑ mangels Vernehmung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung ‑ nicht in Rede. Ebensowenig war der Rechtsmittelwerber iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO mit der Verlesung einverstanden. Dass dieser Verfahrensfehler auf die Entscheidung einen für den Angeklagten nachteiligen Einfluss übte, kann nicht ausgeschlossen werden (§ 281 Abs 3 StPO). Die Urteilsbegründung nimmt zwar auf das Gutachten nicht Bezug, das Schöffengericht führt im Urteil jedoch überhaupt keine Begründung für die Feststellungen zum Reinheitsgehalt des Suchtgifts an. Für den Obersten Gerichtshof ist evident, dass das gegenständliche Gutachten (ON 45) für die Tatrichter stillschweigend den Ausschlag für die angesprochenen Konstatierungen gab (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 740).

Da schon dieser Verfahrensfehler die Kassation des Schuldspruchs des Angeklagten C***** erforderlich macht und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich ist (§ 285e StPO), können die übrigen Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde auf sich beruhen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gjulin R*****:

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer zu B./2./ eine Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) der Begründung. Dem bezughabenden Vernehmungsprotokoll ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte C***** den Angeklagten R***** vor der Polizei dahingehend belastet hätte, dass dieser „auch eine Aufgabe bei der Übergabe gehabt habe“ (US 9). C***** gab vielmehr lediglich an, R*****, der nach eigenen Angaben auf dem Weg nach Serbien gewesen sei und in G***** lediglich kurz Pause gemacht habe, aus S***** gekannt zu haben, aber nicht zu wissen, ob und wenn ja welche Rolle dieser gespielt habe (ON 25 S 367, 373).

Zur Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO:

Zu A./2./ haftet dem Urteil ein ‑ vom Angeklagten R***** nicht geltend gemachter ‑ Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) an, der die Aufhebung dieses Teils des Schuldspruchs erforderlich macht. Denn dem Satz, „der Viertangeklagte“ wäre „das Begleitfahrzeug gewesen“, ist nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, welchen konkreten Beitrag dieser Angeklagte zur Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich geleistet habe, zumal offen blieb, ob die unmittelbaren Täter durch ein solches Begleitfahrzeug in irgendeiner Form unterstützt wurden.

Da somit auch betreffend den Schuldspruch des Angeklagten R***** gemäß § 285e StPO (iVm § 290 StPO) vorzugehen war, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Überdies überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitbeschwerde des Angeklagten C*****, dass die in der Verlesung des Sachverständigengutachtens liegende Formverletzung auch den Angeklagten H*****, D*****, Z*****, I***** und S***** I***** die diesen Umstand nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpfen, zustatten kommt, sodass deren Schuldsprüche ebenfalls aufzuheben waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz iVm § 285e StPO).

Die Aufhebung der Schuldsprüche hat notwendigerweise auch die Kassation der Aussprüche über die Freiheitsstrafen und die Konfiskation zur Folge.

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der nach § 19a Abs 1 StGB erfolgte Ausspruch über die Konfiskation der „von den Beschuldigten zur Begehung der ihnen vorgeworfenen Straftaten verwendeten Mobiltelefone und des beschlagnahmten Kfz“ mit von den Angeklagten nicht geltend gemachter Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist. Das Erstgericht hat die konfiszierten Gegenstände nämlich weder konkret bezeichnet noch Feststellungen zum Eigentümer dieser Gegenstände getroffen (vgl 14 Os 96/15x).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte