OGH 15Os136/14k

OGH15Os136/14k18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Humer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Momir R***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 8. Juli 2014, GZ 38 Hv 26/14m‑55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00136.14K.0218.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II. und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Momir R***** (zu I.) zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und (zu II.) des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 21. Jänner 2014 in St. A***** Spomenka R*****

I. durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar

1. „indem er sie in ihr Personalzimmer drängte, die Zimmertür absperrte, den Schlüssel an sich nahm und ihr das Handy abnahm und es ausschaltete, wobei er äußerte 'Jetzt ist dein Ende, jetzt ist dein Ende, jetzt ist dein Ende. Ich bringe dich jetzt um', sie sodann auf das Bett drückte und auszuziehen begann, die Äußerung von Spomenka R***** 'Ich kann nicht. Bitte, lass mich in Ruhe. Ich kann nicht' ignorierte, sich auf sie legte und an ihr gegen ihren Willen (und ohne Verwendung eines Kondoms) den Vaginalverkehr vollzog;

2. nach einer gewissen Zeitspanne und sohin aufgrund eines neuerlichen Tatentschlusses, indem er sich nach deren Rückkehr von der Toilette abermals mit Spomenka R***** in deren Personalzimmer einsperrte, wiederum den Schlüssel an sich nahm und die aufgrund der vorangegangenen Tathandlung total verängstigte und eingeschüchterte Frau, die ihm nochmals sinngemäß erklärte, er solle sie in Ruhe lassen, erneut entkleidete und nochmals ungeschützt gegen ihren Willen den Vaginalverkehr mit ihr vollzog“;

II. durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie umbringen, wenn sie jemandem von den zuvor stattgefundenen, unter I. angeführten Tathandlungen erzähle, zum Verschweigen der Ereignisse gegenüber anderen Personen zu nötigen versucht.

Dagegen wendet sich die auf Z 4, 5, 5a,  9 lit a und lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

In der Hauptverhandlung am 8. Juli 2014 stellte der Verteidiger nach Vorführung der Bild‑ und Tonaufzeichnung der kontradiktorischen Vernehmung der Spomenka R***** den Antrag (ON 54 S 13), das schriftliche Protokoll dieser Vernehmung dahin zu ergänzen, dass (auf ON 27 S 7) der Satz: „Ich hatte schon die Vermutung, dass er [der Angeklagte] kommen würde.“ eingefügt werde. Gegen die Abweisung dieses Antrags (ON 54 S 13) richtet sich die Verfahrensrüge (Z 4) des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit dieser Antrag auf die Ergänzung des über die kontradiktorische Vernehmung aufgenommenen Protokolls (ON 27) gerichtet war, konnte ihm kein Erfolg beschieden sein, weil eine Protokollergänzung oder -berichtigung grundsätzlich (vgl aber § 18 VerhindV, RGBl 1915/372; s auch § 89 Abs 2b StPO) durch den Leiter der betreffenden Amtshandlung zu erfolgen hat, ist er doch der für seine Richtigkeit Verantwortliche, was er auch mit seiner Unterschrift bestätigt (§§ 96 Abs 4, 97 Abs 2 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0093026; Fabrizy , StPO 12 § 96 Rz 4; zur konstitutiven Wirkung der Unterschrift vgl Danek , WK‑StPO § 271 Rz 38). Somit kommt dem Schöffengericht keine Kompetenz zu, Protokolle des Ermittlungsverfahrens zu berichtigen oder zu ergänzen.

Soweit der Beschwerdeführer damit sicherstellen wollte, dass die reklamierte Aussage in der Hauptverhandlung vorgekommen und damit zum (zulässigen) Gegenstand der Beweiswürdigung geworden war (§§ 13 Abs 1, 258 Abs 1 StPO), ist er darauf zu verweisen, dass ‑ ausgehend von seinem Vorbringen ‑ die Angaben der Zeugin schon durch die Vorführung der Bild‑ und Tonaufzeichnung (ON 54 S 13) prozessförmig in der Hauptverhandlung vorkamen und es einer Ergänzung des Protokolls über die kontradiktorische Vernehmung daher nicht bedurfte. Durch die Abweisung seines Antrags wurden somit Verteidigungsrechte nicht verletzt. Im Übrigen hätte der Verteidiger einen Antrag stellen können, im Hauptverhandlungsprotokoll festzuhalten, dass der in Rede stehende Satz von der Zeugin in der kontradiktorischen Vernehmung geäußert wurde (§ 271 Abs 1 letzter Satz StPO).

Aber auch in der Sache selbst erfolgte die Abweisung des Antrags zu Recht. Denn der reklamierte Satz steht mit der bekämpften Urteilspassage „Durch das plötzliche Auftauchen des Angeklagten erschrak Spomenka R*****, sodass sie vom Angeklagten überrumpelt wurde und in ihr Zimmer zurückgeschoben werden konnte“ (US 7) ‑ den Beschwerdeausführungen zuwider ‑ weder „in unauflösbarem“ noch in einem erörterungsbedürftigen Widerspruch; der Antrag bezog sich somit auf keine erhebliche Tatsache, weshalb durch seine Abweisung auch keine Verteidigungsrechte geschmälert wurden.

Die Begründung des abweisenden Beschlusses ist nicht Gegenstand der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof (RIS‑Justiz RS0121628), das dazu erstattete Vorbringen geht ins Leere.

Unter Bezugnahme auf den schriftlichen Beweisantrag ON 43 begehrte der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung am 3. Juni 2014 weiters die Vernehmung der Zeugen Günther B*****, Dragan Z*****, Drazana P*****, Gordana Z*****, Jovo P***** und Dr. Hugo J***** zusammengefasst zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die ihm angelasteten Tathandlungen zu I.1. und II.1. der Anklageschrift nicht begangen habe (ON 48 S 39).

Der Beschwerde zuwider wurden auch durch die Abweisung dieses Antrags Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil die Tatrichter ohnehin von dem unter Beweis zu stellenden Umstand ausgingen und demgemäß auch zu den in Rede stehenden Fakten der Anklageschrift einen Freispruch fällten (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO). Weshalb insoweit die „Beweisanträge zur Herstellung der Waffengleichheit mehr als geboten“ sein sollten, vermochte der Beschwerdeführer in seinem Antrag nicht darzustellen. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgereichten Gründe sind prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Eine unter Nichtigkeitsdrohung stehende Begründungspflicht (Z 5) besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen (RIS‑Justiz RS0099497). Entscheidend ist eine Tatsache nur dann, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens in den Urteilsgründen entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld‑ oder Freispruch oder ‑ im Fall gerichtlicher Strafbarkeit ‑ darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet werde (RIS‑Justiz RS0117264).

Die eigenständigen beweiswürdigenden Erwägungen und Spekulationen der Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) zu den Urteilsannahmen, wonach das Tatopfer vom Angeklagten überrumpelt worden sei, dieser vorsorglich das Mobiltelefon des Opfers abgeschaltet habe und jene nach dem ersten Angriff aus Angst nicht geflohen sei, beziehen sich auf keine entscheidenden Tatsachen, sodass mit dem diesbezüglichen Vorbringen kein Begründungsdefizit aufgezeigt werden kann.

Mit Überlegungen dazu, wie eine an die Zeugin R***** adressierte Zahlungsanweisung hinsichtlich der Gerichtsgebühren im Ehescheidungsverfahren (ON 48 S 17) in den Besitz des Angeklagten gelangen konnte, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Die von der Subsumtionsrüge (Z 10) vermissten Feststellungen zum „Konnex zwischen der Drohung und dem damit verbundenen Bestreben des Angeklagten, Spomenka R***** zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs zu nötigen“, befinden sich auf US 2 iVm 7, 8 und 12. Soweit sie diese Konstatierungen beweiswürdigend bekämpft, hält die Beschwerde nicht ‑ wie aber bei Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeiten erforderlich (RIS‑Justiz RS0099810) ‑ an den erstgerichtlichen Urteilsannahmen fest. Überdies lässt der Beschwerdeführer außer Acht, dass ihm Nötigung nicht nur durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, sondern auch ‑ von ihm unbekämpft, zur Tatbestandsverwirklichung aber ausreichend (RIS‑Justiz RS0116655) ‑ durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Last liegt.

Indem die Rüge zu I.2. meint, das Erstgericht sei zu Unrecht von zwei Verbrechen ausgegangen, dabei aber die Konstatierungen zum gesonderten Tatentschluss des Angeklagten übergeht (US 2, 8, 12; vgl 15 Os 134/05b), ist sie gleichfalls nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt.

Die Erklärung, „vorsorglich“ diesbezüglich auch die Nichtigkeitsgründe der Z 9 lit a, „hilfsweise“ Z 9 lit b geltend zu machen, entzieht sich mangels eines dazu erstatteten Vorbringens einer inhaltlichen Erwiderung. Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Zutreffend aber zeigt der Beschwerdeführer zu II. auf, dass die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite in Betreff des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB ganz unbegründet blieben (Z 5 vierter Fall). Im Umfang dieses Schuldspruchs war das Urteil daher aufzuheben und Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO).

Das Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11), das mit der Argumentation zur Anwendbarkeit des § 43a Abs 4 StGB ohnehin bloß einen Berufungsgrund geltend macht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 665, 728), kann demnach auf sich beruhen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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