OGH 15Os13/24m

OGH15Os13/24m11.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Strafsache gegen * T* wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, AZ 17 U 168/22d des Bezirksgerichts Linz, über den Antrag derGeneralprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00013.24M.0311.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt, das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 9. August 2022, GZ 17 U 168/22d‑7, samt dem zugleich gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Linz verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 27. Juni 2022 legte die Staatsanwaltschaft Linz * T* ein dem Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB subsumiertes Verhalten zur Last.

[2] Die Ladung samt Strafantrag zu der für den 9. August 2022 anberaumten Hauptverhandlung wurde von ihm am 11. Juli 2022 eigenhändig übernommen (Zustellkarte in der VJ).

[3] T* erschien zur Hauptverhandlung unentschuldigt nicht. Nachdem die Bezirksrichterin die Zustellung der Ladung festgestellt hatte, verkündete sie den Beschluss auf Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gemäß § 427 Abs 1 StPO.

[4] Mit Urteil vom selben Tag wurde dieser in Abwesenheit des Vergehens des Betrugs nach § 146 StPO schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Zugleich fasste das Bezirksgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO den Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 60 Hv 55/18k und AZ 20 Hv 69/18z je des Landesgerichts Linz gewährten bedingten Strafnachsichten (ON 6 S 2 f, ON 7).

[5] Die Bezirksrichterin veranlasste die Zustellung des Abwesenheitsurteils an T* an dessen aktenkundigen Wohnsitz; die am 8. September 2022 zur Abholung hinterlegte Sendung wurde am 27. September 2022 als nicht behoben retourniert (ON 7 S 5, Rücklaufkuvert in der VJ).

[6] Die daraufhin am 11. Oktober 2022 durchgeführte Abfrage des Zentralen Melderegisters ergab, dass sich der Angeklagte seit 20. Juli 2022 in der Justizanstalt Linz aufhielt (ON 8 S 1).

[7] T* wurde das Abwesenheitsurteil samt Rechtsmittelbelehrung und Protokollausfertigung sodann am 14. Oktober 2022 in der Justizanstalt Linz eigenhändig zugestellt (ON 7 S 7, Zustellkarte in der VJ).

[8] Dieses erwuchs, weil er weder Einspruch noch Berufung erhob und auch die Staatsanwaltschaft das Urteil unbekämpft ließ, in Rechtskraft.

[9] Mit Eingabe vom 5. November 2022 entschuldigte sich T* für sein Fernbleiben von der Hauptverhandlung mit dem Hinweis, dass er sich seit 20. Juli 2022 „im LG Linz“ in Haft befinde (ON 11). In einem Amtsvermerk vom 2. Dezember 2022 hielt die Bezirksrichterin fest, dass er laut Auskunft der Justizanstalt Linz seit jenem Tag zu AZ 27 Hv 126/22i des Landesgerichts Linz in Untersuchungshaft angehalten werde (ON 12).

Rechtliche Beurteilung

[10] Wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt, bestehen gegen die Richtigkeit der der Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten zugrunde gelegten Tatsachenannahmen erhebliche Bedenken.

[11] Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt worden ist. Gegen ein Urteil des Bezirksgerichts, das gemäß § 427 StPO in Abwesenheit des Angeklagten verkündet wurde, kann dieser gemäß § 478 Abs 1 StPO binnen 14 Tagen von der Zustellung des Urteils beim erkennenden Bezirksgericht Einspruch erheben, wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist oder er nachweisen kann, dass er durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden ist.

[12] Ist für das Gericht bereits im Zeitpunkt der Durchführung der Hauptverhandlung ersichtlich, dass der Angeklagte durch ein unabwendbares Hindernis vom Erscheinen abgehalten worden ist, so ist die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit unzulässig (RIS‑Justiz RS0101569; Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 14). Die Anhaltung des Angeklagten in Haft stellt ein derartiges unabwendbares Hindernis dar (RIS‑Justiz RS0101569 [T5]).

[13] Ausgehend von der Aktenlage im Zeitpunkt der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 9. August 2022 ist die tatsächliche Annahme des Bezirksgerichts Linz, dass der ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht durch ein unabwendbares Hindernis vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abgehalten worden ist (und demnach sämtliche Voraussetzungen für das Abwesenheitsverfahren gemäß § 427 StPO vorlagen) rechtlich nicht zu beanstanden.

[14] Allerdings bestehen gegen die Richtigkeit dieser Tatsachenannahmen im Hinblick auf die am 11. Oktober 2022 eingeholte Auskunft aus dem Zentralen Melderegister, die Eingabe des Angeklagten vom 5. November 2022 und den Amtsvermerk vom 2. Dezember 2022, wonach sich dieser seit 20. Juli 2022 und somit auch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung in der Justizanstalt Linz zu einem anderen Verfahren in Untersuchungshaft befand, erhebliche Bedenken im Sinn des § 362 Abs 1 Z 2 StPO.

[15] Es ist daher eine rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts (vgl RIS‑Justiz RS0131086 [T1]) auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre. Da die so entstandene Benachteiligung des Angeklagten auf anderem Weg nicht behoben werden kann, war dies durch die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren (RIS‑Justiz RS0117416 [T4], RS0117312 [T3]).

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