Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred V***** der Vergehen der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB (1. a und b), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (1. c), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 1989/242 und § 15 StGB (2.), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 und § 15 StGB (3.) sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (4.) schuldig erkannt.
Danach hat er in S*****, D***** und U***** (seine damalige Ehefrau) Gordana V*****
1) zu Handlungen genötigt bzw zu nötigen versucht, und zwar
a) „zwischen 1988 und 30. Juni 1989 mit Gewalt zur Duldung des Oral‑ bzw. Analverkehrs, indem er sie unzählige Male an den Haaren zog und dadurch ihren Kopf zu seinem Penis führte oder indem er sich auf ihre Brust setzte und sie an den Armen festhielt sowie indem er sie, wenn sie am Bauch lag, von hinten am Oberkörper umfasste und mit dem Penis oder einem Finger anal in sie eindrang bzw. dies versuchte;
b) am 24. August 1997 mit Gewalt, indem er mit der Faust auf sie einschlug und rief, sie solle aus dem Pkw aussteigen, zum Verlassen des Pkw;
c) etwa Mitte des Jahres 1998 durch gefährliche Drohung mit dem Tod, indem er äußerte: 'Wenn du jetzt nicht ufstohscht und mit mir gohscht, denn nimm i d´Axt und mach di hi!', wobei er zur Untermauerung seiner Äußerung eine Axt in der Hand andeutete und seine Hand zu einer Faust ballte, zum Aufstehen und zum Leisten einer Unterschrift beim Legalisator;
2) zwischen 1. Juli 1989 und 30. April 2004 viele Male außer dem Fall des § 201 Abs 1 (StGB) mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen, nämlich des Oral‑ sowie des Analverkehrs, genötigt bzw. zu nötigen versucht, indem er die zu 1.a) geschilderten Handlungen auch in diesem Zeitraum fortsetzte;
3) zwischen 1. Mai 2004 und 2011 viele Male mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen, nämlich des Oral‑ sowie des Analverkehrs genötigt bzw. zu nötigen versucht, indem er die zu 1.a) geschilderten Handlungen auch in diesem Zeitraum fortsetzte;
4) im Zeitraum von ca 1983 bis ins Jahr 2011 hineinreichend vorsätzlich am Körper verletzt, indem er sie in einer Vielzahl von Fällen mit Fäusten ins Gesicht und auf ihren Körper schlug, mit den Füßen gegen ihren Körper trat, sie gegen eine Wand oder zu Boden stieß, was Hämatome am ganzen Körper und teilweise Prellungen zur Folge hatte.“
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf Z 2, 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.
Zur kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Gordana V***** im Ermittlungsverfahren am 27. Jänner 2014 (ON 10) wurden Manfred V***** wie auch sein (damaliger) Verteidiger geladen (Verfügung vom 31. Dezember 2013; ON 2 S 5). Die Ladung an den Beschuldigten (Lad 55) enthielt den Hinweis, dass er die Gelegenheit habe, sich an der Vernehmung zu beteiligen und an die Zeugin Fragen zu stellen. Sollte die Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung nicht möglich sein, bestehe die Möglichkeit, dass der Beschuldigte sein Fragerecht in der Hauptverhandlung nicht mehr ausüben könne. Er könne auch einen Verteidiger mit der Wahrung seiner Rechte in der Vernehmung beauftragen.
Nach der Aktenlage erschien der Beschuldigte, der nicht mehr durch seinen vormaligen Wahlverteidiger vertreten war (ON 10 S 2), zum Termin am 27. Jänner 2014 ohne Verteidiger und erklärte, dass er der kontradiktorischen Vernehmung „ohne Verteidiger beiwohnen möchte“. In der Folge wurde er vom Ermittlungsrichter ausdrücklich über die Möglichkeit eines Verfahrenshilfeantrags und darüber belehrt, dass diese Vernehmung unter Umständen die einzige Möglichkeit sei, Fragen an die Zeugin zu stellen. Manfred V***** erklärte daraufhin, er wünsche ausdrücklich, dass die Vernehmung durchgeführt werde. Er benötige keinen Verteidiger und wolle auch keinen Antrag auf Verfahrenshilfe stellen (ON 10 S 2).
In der Hauptverhandlung am 26. Juni 2015 wurde die Bild- und Tonaufzeichnung der kontradiktorischen Vernehmung ‑ gegen den Widerspruch des Verteidigers ‑ vorgeführt sowie das Protokoll darüber vom Vorsitzenden „referiert“ (ON 28 S 6 f).
Gegen diesen Vorgang wendet sich der Beschwerdeführer aus Z 2 und 3 mit der ‑ zusammengefassten ‑ Argumentation, er habe sich nicht im Sinn des § 252 Abs 1 Z 2a StPO an der kontradiktorischen Vernehmung beteiligen können, weil ihm nicht erkennbar gewesen sei, dass durch diese das Beweisverfahren „gleichsam vorweggenommen werde“. Die Aussage sei daher „nichtig zustande gekommen“, die Vorführung der Bild- und Tonaufzeichnung in der Hauptverhandlung habe gegen § 252 Abs 1 Z 2a StPO verstoßen. Mit demselben Einwand kritisiert er aus Z 4 die Abweisung seines in der Hauptverhandlung am 26. Juni 2014 gestellten Antrags, die Vorführung der Bild- und Tonaufzeichnung wie auch die Verlesung des Protokolls der Vernehmung der Zeugin V***** zu unterlassen (ON 28 S 6, 8).
Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Nichtigkeit aufzuzeigen. Denn der Angeklagte wurde nicht nur ‑ den Anforderungen der oberstgerichtlichen Judikatur entsprechend (vgl RIS‑Justiz RS0125706, zuletzt 14 Os 124/14p) ‑ unter Verwendung des Formulars „Lad 55“ vom Termin dieser Beweistagsatzung verständigt und solcherart in einer für ihn verständlichen Weise auf den Wert, den ein zu diesem Termin beigezogener geschulter Rechtsbeistand darstellt, und das Recht, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu verlangen, hingewiesen, sondern er wurde auch anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung vom Gericht mündlich über die Bedeutung der Tagsatzung und seine Rechte belehrt. Einen Hinweis darauf, dass diese Information nicht rechtzeitig, ausdrücklich und in einer für ihn verständlichen Weise erfolgt sei, gibt die Beschwerde nicht.
Nichtigkeit nach Z 2 kann schon deshalb nicht gegeben sein, weil § 165 StPO nicht unter Nichtigkeitssanktion steht, sodass also auch dann keine nichtige Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren vorläge, wenn der Beschuldigte unbelehrt ohne Verteidiger an der kontradiktorischen Vernehmung teilgenommen hätte. Auch ein mit Nichtigkeit bedrohter Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 2a StPO (Z 3) oder eine durch die Antragsabweisung erfolgte Schmälerung von Verteidigungsrechten (Z 4; zur Abgrenzung vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 57 ff) liegen daher nicht vor. An der Verfassungskonformität der §§ 156 Abs 1 Z 2 und 252 Abs 1 Z 2a StPO hat der Oberste Gerichtshof im Übrigen keine Zweifel.
Der weiters gestellte Antrag, die Zeugin V***** (neuerlich) zu vernehmen (ON 28 S 6), legte nicht dar, weshalb sich das Opfer trotz der anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung (ON 10 S 3) und in der Hauptverhandlung (ON 28 S 3) abgegebenen gegenteiligen Erklärung zur Aussage bereit finden würde; der Antrag war daher auf im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0117928).
Die Mängelrüge kritisiert eine Unvollständigkeit der Beweiswürdigung (Z 5 zweiter Fall), indem sie einzelne Passagen der Aussage der Zeugin V***** als übergangen reklamiert. Doch das Gericht ist ‑ dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ‑ nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und sich mit jedem Aussagedetail der ‑ den Denkgesetzen nicht widersprechend ‑ für glaubwürdig befundenen Zeugin (US 16 ff) auseinander zu setzen (RIS‑Justiz RS0106295, RS0098377). Insofern waren die Depositionen der Zeugin, die sich mit einzelnen Umständen der Übergriffe befassten, keiner gesonderten Erörterung bedürftig, zumal das Erstgericht mit erwogen hatte, dass bei einem 30-jährigen Tatzeitraum mit Ungenauigkeiten hinsichtlich „Daten und Anzahl der Tätlichkeiten“ zu rechnen sei (US 16). Soweit die Rüge schließlich einen Aspekt der beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts (den gewalttätigen Charakter des Angeklagten betreffend) herausgreift und isoliert bewertet (Z 5 vierter Fall), hält sie nicht an der Gesamtheit der Urteilsannahmen fest und verfehlt so die gebotene Orientierung an der Verfahrensordnung (RIS‑Justiz RS0119370).
Mit der Wiederholung der bereits in der Mängelrüge angeführten Passagen aus der Aussage der Zeugin V***** und der eigenen Bewertung, aus den ärztlichen Berichten des Gemeindearztes Dr. T***** und des Gynäkologen Dr. M***** ließe nicht mit einer für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit auf die festgestellte Vergewaltigung schließen, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen, insbesondere zur subjektiven Tatseite zur erwecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Das Oberlandesgericht ist demnach zur Entscheidung über die Berufungen zuständig (§ 285i StPO).
Zu 4.) ist festzuhalten, dass nach § 61 zweiter Satz StGB Gesetze auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten dann anzuwenden sind, wenn jene die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtheit nicht günstiger waren. Gegenüber der eine Strafdrohung bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen normierenden Bestimmung des § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 (Fassung des § 83 StGB im Urteilszeitpunkt) sah der zur Tatzeit 1983 bis 28. Februar 1997 auf die angelasteten Handlungen anzuwendende § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 lediglich eine Strafdrohung von bis 6 Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen vor. Somit stellt sich die zur Tatzeit ‑ für einen Teil einer gleichartigen Verbrechensmenge in einen Zeitraum von 14 Jahren ‑ gültige Rechtslage für den Angeklagten insgesamt als günstiger dar. Eines amtswegigen Vorgehens (§ 290 Abs 1 StPO) bedurfte es mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Berufung nicht an die verfehlte Subsumtion gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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