Spruch:
In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungs- und Beschwerdeverfahrens verfügt, das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. März 2007, AZ 43 Bl 208/06k, und der gemeinsam verkündete Beschluss nach § 498 Abs 3 StPO aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zu neuerlichen Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 28. Juli 2006, GZ 30 U 107/06m-10, wurde Christian G***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der in den Verfahren AZ 3 U 29/03p des Bezirksgerichts Zell am See, AZ 3 U 45/04h des Bezirksgerichts Mittersill sowie AZ 31 Hv 255/05s des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen und die im letztgenannten Verfahren festgesetzte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe, mit der eine Beschwerde gemäß § 498 Abs 3 StPO verbunden war (ON 11).
Mit dem im Spruch angeführten Urteil (ON 21) gab das Landesgericht Salzburg der Berufung Folge und erhöhte die Freiheitsstrafe auf zwei Monate. Der Beschwerde wurde nicht Folge gegeben.
Zur Berufungsverhandlung am 16. März 2007 ist der Angeklagte, der die Ladung am 20. Februar 2007 eigenhändig übernommen hatte (Rückschein im Akt AZ 43 Bl 208/06k des Landesgerichts Salzburg), nicht erschienen. Erst durch eine Bestätigung der Landeskliniken Salzburg vom 19. März 2007 wurde bekannt, dass der Verurteilte nach einem schweren Motorradunfall seit dem 12. März 2007 in der Abteilung Chirurgie West/Intensivstation in stationärer Behandlung war und sich am 16. März 2007 noch im Tiefschlaf befand (ON 19; siehe auch ON 24). Auf seine Teilnahme an der Berufungsverhandlung hatte der Angeklagte nicht verzichtet.
In offenkundiger Unkenntnis der Verhinderung des Angeklagten führte das Berufungsgericht - nach der diesem zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Aktenlage rechtsrichtig (§ 471 StPO iVm §§ 286 Abs 1 und 287 Abs 3 StPO) - die Verhandlung in dessen Abwesenheit durch.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Richtigkeit der dieser Vorgangsweise zugrunde liegenden Tatsachen ergeben sich - wie die Generalprokuratur in ihrem Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO zutreffend ausführt - erhebliche Bedenken.
Ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorlagen, ist eine Frage tatsächlicher Natur, die das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht zu entscheiden hatte. Ist eine nicht vom Obersten Gerichtshof selbst getroffene letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten ist, kommt die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 StPO in Betracht (Fabrizy StPO10 § 362 Rz 3; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 16, § 362 Rz 4; RIS-Justiz RS0117416).
Gemäß § 471 StPO gelten für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über Berufungen gegen Urteile der Bezirksgerichte unter anderem - soweit hier von Relevanz - die §§ 286 Abs 1, 294 StPO sinngemäß. Nach Abs 5 zweiter Satz des § 294 StPO sind die Bestimmungen der §§ 286 und 287 StPO dem Sinne nach mit der Maßgabe anzuwenden, dass der nicht verhaftete Angeklagte vorzuladen und die Vorführung des verhafteten Angeklagten zu veranlassen ist, es sei denn, dieser hätte durch seinen Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet (RIS-Justiz RS0124107).
Ist der nicht verhaftete Angeklagte - durch ein unabweisbares Hindernis - am Erscheinen verhindert, ohne durch seinen Verteidiger ausdrücklich auf die Teilnahme am Gerichtstag verzichtet zu haben, kommt eine Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gleichfalls nicht in Betracht. Denn nur so wird eine Gleichbehandlung verhafteter und nicht verhafteter Angeklagter erreicht, seit Abs 3 - der ständigen Rechtsprechung des EGMR folgend - außer dem Fall eines derartigen Verzichts die Vorführung jener zwingend vorschreibt (<it>Ratz, WK-StPO § 296 Rz 2, § 471 Rz 2).
Im Hinblick darauf, dass sich der Angeklagte am Tag der Berufungsverhandlung nach einem Unfall im Spital befand und im Tiefschlaf gehalten wurde, daher am Erscheinen verhindert war und keinen ausdrücklichen Verzicht auf die Teilnahme am Gerichtstag erklärt hatte, bestehen erhebliche Bedenken im Sinne des § 362 Abs 1 Z 2 StPO gegen die Richtigkeit der der Berufungsentscheidung des Landesgerichts Salzburg zugrunde gelegten Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des (gehörig geladenen) Angeklagten gegeben gewesen wären.
Es waren daher im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungs- und Beschwerdeverfahrens zu verfügen, das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. März 2007, AZ 43 Bl 208/06k (ON 21), und der gemeinsam verkündete Beschluss nach § 498 Abs 3 StPO aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu verweisen.
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