OGH 15Os1/16k

OGH15Os1/16k17.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ben O***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Shamil S***** und Imdad D***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. Oktober 2015, GZ 127 Hv 65/15g‑95, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00001.16K.0217.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Shamil S***** und Imdad D***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche weiterer Angeklagter enthält, wurden Shamil S***** und Imdad D***** jeweils des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB, D***** als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben am 22. April 2015 in Wien

I./ Shamil S***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Boban P***** durch Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, die diesen am Vermögen schädigen sollte, nämlich zur Übergabe von 25.000 Euro und eines PKW der Marke Audi A8 zu nötigen versucht, indem er dem Genannten eine Faustfeuerwaffe gegen den Kopf hielt, wobei er äußerte, er werde ihn und seine Familie umbringen, wenn er nicht „bis Sonntag“ den Wagen übergebe und danach binnen zwei Monaten das Geld bezahle (US 6);

II./ Imdad D***** zu der unter Punkt I./ genannten strafbaren Handlung des Shamil S***** beigetragen, indem er Aufpasserdienste leistete und das „Bedrohungsszenario des Shamil S***** unterstützte“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die von Shamil S***** auf Z 5 und von Imdad D***** auf Z 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, welchen keine Berechtigung zukommt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****:

Mit dem Vorbringen, bei der beweiswürdigenden Annahme, dass S***** die „Version, wonach es sich um einen bloßen Fall der Gewährleistung gehandelt haben soll“, erstmals in der Hauptverhandlung präsentiert habe (US 16), hätte das Erstgericht seine Feststellung (US 7) nicht beachtet, wonach er dem Angeklagten Roman B***** erzählt habe, dass P***** ihm wegen eines kaputten Autos Geld schulde, wird weder Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) noch Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) aufgezeigt (vgl RIS‑Justiz RS0118316, RS0119089).

Im Übrigen ist die Mängelrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt, indem sie die weitere Begründung des Schöffengerichts außer Acht lässt, wonach S***** noch vor dem Haftrichter angegeben habe, bloß für die Besichtigung eines Fahrzeugs bei P***** gewesen zu sein und es sich nicht um eine Geldforderung gehandelt habe (US 16; RIS‑Justiz RS0119370).

Inwiefern das angefochtene Urteil undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollte, weil einerseits festgehalten wurde, dass der Zeuge St***** bei einem Treffen der Angeklagten S***** und B***** mit P***** geäußert habe, dass Letztgenannter den Autoplatz noch nicht ein Jahr lang gehabt hätte (US 7), und andererseits die Tatrichter annahmen, dass P***** den Autohandel an diesem Platz knapp ein Jahr betrieben habe (US 6), ist nicht nachvollziehbar. Im Übrigen wird kein entscheidender Umstand (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 399) angesprochen.

Das gilt auch für die Frage, ob P***** dem Rechtsmittelwerber vor einem Jahr einen PKW verkauft habe oder nicht.

Inwiefern das Urteil widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) sein sollte, weil die Tatrichter annahmen, B***** wäre davon ausgegangen, S***** hätte gegen P***** einen Anspruch auf das Auto gehabt, demgegenüber jedoch dem Angeklagten S***** eine „vorsätzliche Handlung mit Bereicherungsvorsatz“ zuschrieben, wird nicht klar.

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde behauptet, es wäre unmöglich, dass die letztlich freigesprochenen Angeklagten O***** und B***** von einer Schuld P*****s gegenüber S***** ausgingen und nichts von einer Erpressung durch S***** mitbekommen hätten, wird lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft.

Das gilt auch für das weitere Vorbringen des Rechtsmittelwerbers, wonach das Erstgericht seine Verantwortung zu Unrecht als Schutzbehauptung qualifiziert habe und es durchaus üblich sei, „nicht sofort das Gericht anzurufen und man zunächst versucht, außergerichtlich eine Lösung zu erzielen“, und wonach es nicht nachvollziehbar wäre, dass P*****, „obwohl bei dem behaupteten Vorfall am Autoplatz an die 30 Freunde und Verwandte anwesend waren, ... ihnen nicht sofort von einer angeblichen Erpressung erzählt hat“.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D*****:

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite blieben entgegen der Behauptung der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) nicht unbegründet (US 18 f).

Indem der Rechtsmittelwerber ausführt, er habe gegenüber P***** seine Identität nicht verschleiert, was ebenso gegen die „Teilnahme an einer kriminellen Handlung“ spreche, wie der Umstand, dass er keinen finanziellen Vorteil erhalten oder verlangt hätte, und es sei „paradox“, dass den freigesprochenen Angeklagten vom Gericht zugebilligt wurde, von Gewährleistungsansprüchen S*****s ausgegangen zu sein, dem Rechtsmittelwerber jedoch nicht, bekämpft er nach Art einer Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung, ohne einen Nichtigkeitsgrund aufzuzeigen.

Die Argumentation des Nichtigkeitswerbers, es wäre aufgrund der kurzen Zeitspanne „denklogisch nicht haltbar“ (Z 5 vierter Fall), dass er Aufpasserdienste geleistet hätte, weil S***** lediglich für etwa drei bis fünf Sekunden die Pistole gegen die Wange P*****s gehalten hätte, lässt außer Acht, dass er ‑ wie die Tatrichter feststellten ‑ sich „während der gesamten weiteren Dauer des etwa einstündigen Gespräches im Büro“ am Tatort aufhielt (US 6). Im Übrigen ist der Einwand, es sei mit dem Begriff „Aufpasserdienste“ nicht vereinbar, dass diese lediglich einige Sekunden dauern sollten, nicht nachvollziehbar.

Das Vorbringen (inhaltlich Z 9 lit a) es fehle eine Beschreibung, worin die Unterstützung des „Bedrohungsszenarios des Shamil S*****“ bestanden habe, vernachlässigt die Feststellungen US 6 zweiter Absatz.

Indem der Angeklagte behauptet, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite wären offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), verkennt er, dass der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde legendes Wissen und Wollen des Täters zulässig ist (RIS‑Justiz RS0116882 [T3]) und auch Wahrscheinlichkeitsschlüse zu Tatsachenfeststellungen berechtigen (RIS‑Justiz RS0098471).

Das damit verbundene Vorbringen, das „Streitgespräch“ des S*****s mit P***** wäre auch mit einem Begehren der Schuldenrückzahlung vereinbar, richtet sich nach Art einer lediglich im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das gilt auch für die Argumentation, es wäre „geradezu absurd“ anzunehmen, er hätte den Vorsatz gehabt, den Angeklagten S***** zu bereichern und P***** zu schädigen.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld‑ oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, die übrigen Angeklagten hätten eine „ethnisch homogene Tätergruppe (Tschetschenen)“ gebildet, welcher er mit seiner türkischen Abstammung nicht angehöre, was ebenso dafür spreche, dass er „in die kriminellen Handlungen nicht involviert war“, wie der Umstand, dass er nach dem 22. April 2015 an den „Verhandlungen“ nicht beteiligt war, gelingt es jedenfalls nicht, beim Obersten Gerichtshof derartige Bedenken hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt eine prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, indem sie die erstgerichtlichen Feststellungen zum Bereicherungs‑ und Schädigungsvorsatz (US 10) bestreitet (RIS‑Justiz RS0099810).

Indem sie weiters davon ausgeht, für die Annahme psychischer Beitragstäterschaft iSd § 12 dritter Fall StGB sei erforderlich, dass der Tatentschluss des unmittelbaren Täters „kausal“ vom Beitragstäter „herbeigeführt“ worden sei (vgl aber Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 92), mangelt es ihr an einer Ableitung aus dem Gesetz. Soweit sie unter Bezugnahme auf 12 Os 85/06a bloße Anwesenheit am Tatort, bloßes Wissen um das deliktische Verhalten anderer, bloßes Begleiten des Täters und bloß stillschweigende Duldung der Tatausführung behauptet, vernachlässigt sie ‑ ebenso wie mit dem Vorwurf, die vom Schöffengericht in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe „Aufpasserdienste“ und „Gesamtverhalten“ seien lediglich Leerformeln ‑ erneut die Feststellungen US 6 zweiter Absatz, wonach D***** (während der Tatausführung S*****s) zum einen bei der Bürotür stand und sicherstellte, dass niemand das Büro betrat und sich zum anderen aggressiv‑einschüchternd gegenüber P***** verhielt und immer wieder versuchte, auf diesen loszugehen und ihn zu schlagen, um ihm zu suggerieren, dass er jederzeit in das Geschehen (gemeint: die Tatausführung durch S*****) eingreifen werde.

Der Rechtsmittelwerber reklamiert für sich den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nach § 16 StGB (Z 9 lit b), verfehlt jedoch eine prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, indem er ohne Orientierung am festgestellten Sachverhalt (vgl RIS‑Justiz RS0099810) und auch ohne einen Feststellungsmangel geltend zu machen (vgl RIS‑Justiz RS0118580) lediglich behauptet, er hätte „freiwillig, ohne durch irgendwelche Umstände gezwungen zu sein, von einer Weiterverfolgung krimineller Ansprüche Abstand genommen“.

Mangels Festhaltens am konstatierten Sachverhalt verfehlt auch die Subsumtionsrüge (Z 10) eine prozessordnungskonforme Darstellung, weil sie mit ihrem Begehren einer Verurteilung wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung die Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz negiert.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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