OGH 15Os115/24m

OGH15Os115/24m9.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Karnaus LL.M. (WU) in der Strafsache gegen * S* wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 16. Juli 2024, GZ 318 Hv 11/24y‑33.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00115.24M.1209.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu III/, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (I/), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II/) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er von Herbst 2019 bis Herbst 2021 in B* mit bzw von der am * geborenen, somit unmündigen * A*

I/ dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen und zu unternehmen versucht, indem er sie mehrmals aufforderte, seinen Penis in den Mund zu nehmen, ihren Kopf in dessen Richtung führte und einmal mit diesem in ihren Mund eindrang,

II/ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an sich vornehmen lassen, indem er regelmäßig im Schlafzimmer und in der Dusche ihre Hand nahm, auf seinen erigierten Penis legte und sie veranlasste, Handverkehr bis zum Samenerguss an ihm vorzunehmen,

III/ durch die zu I/ und II/ beschriebenen Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags, „einen vielleicht bisher noch nicht mit der Angelegenheit befassten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Kinderpsychiatrie“ zur Frage des Vorliegens einer intentionalen Falschaussage-Kapazität bei dem als Zeugin vernommenen Opfer „zu befassen“ (ON 33.3, 6).

[5] Das Gericht zog zur Unterstützung bei der Beurteilung der Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit dieser Zeugin eine klinisch-psychologische Sachverständige bei (ON 33.3, 5 iVm ON 7.2 und ON 32.1; vgl 12 Os 80/23s [Rz 6]). Ein aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO geschütztes Recht des Nichtigkeitswerbers auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen wurde schon deshalb nicht verletzt, weil anlässlich der Antragstellung (RIS‑Justiz RS0099618) weder ein formaler Mangel des bereits erstatteten Befundes oder Gutachtens (§ 127 Abs 3 erster Satz StPO) aufgezeigt noch die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens deutlich und bestimmt (RIS‑Justiz RS0118060) beantragt wurde (vgl RIS‑Justiz RS0117263 [insb T21]; Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 175 f).

[6] Warum die Feststellung der subjektiven Tatseite (US 3) lediglich für die zur Vollendung gelangte Tat, nicht aber für alle zusammengefassten gleichartigen Taten gelten sollte, macht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu I/ nicht klar.

[7] Die Subsumtionsrüge (Z 10) macht geltend, dass die geschlechtlichen Handlungen im Sinn des § 207 Abs 1 StGB (II/) aufgrund einheitlicher Tatgeschehen von den (versuchten) dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen im Sinn des § 206 Abs 1 StGB (I/) konsumiert worden seien, weshalb der gesonderte Schuldspruch zu II/ zu Unrecht ergangen sei.

[8] Nach den Konstatierungen (US 3) lagen jedoch zwei voneinander abgegrenzte „gleichartige Verbrechensmengen“ (jeweils ohne zahlenmäßige Bestimmung – vgl RIS‑Justiz RS0119552) vor. Danach fand eine unbestimmte Anzahl von Taten statt, anlässlich derer der Beschwerdeführer die Unmündige auch zur dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung des Oralverkehrs aufforderte (I/ – nur §§ 206 Abs 1, 15 StGB), und eine andere unbestimmte Anzahl geschlechtlicher Handlungen, anlässlich derer er dies nicht tat (II/ – nur § 207 Abs 1 StGB). Indem die Rüge diese Unterscheidung nicht berücksichtigt, hält sie nicht am festgestellten Sachverhalt fest (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810).

[9] Im Recht ist die weitere Subsumtionsrüge (Z 10; nominell Z 9 lit a; vgl aber RIS‑Justiz RS0095110) zu III/, weil dem Urteil Feststellungen mit Sachverhaltsbezug (vgl RIS‑Justiz RS0119090) nur zum Bestehen, nicht aber zur Ausnützung (vgl RIS‑Justiz RS0095185, RS0095266) des Autoritätsverhältnisses zu entnehmen sind (US 3 f).

[10] Dieses Defizit führte – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zur Aufhebung des Urteils wie im Spruch ersichtlich und zur Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang (§ 285e StPO). Ein Eingehen auf die weitere diesen Schuldspruch betreffende Beschwerdekritik sowie auf die Sanktionsrüge erübrigt sich daher.

[11] Dagegen war die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[12] Mit seiner Berufung war der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

[13] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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