European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133140
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 12 Hv 85/20x (vormals AZ 12 Hv 56/20g und AZ 37 Hv 118/20h) des Landesgerichts Linz verletzt die Verfügung vom 24. November 2020 (ON 1 S 17), mit der der Leiter der Gerichtsabteilung 37 (Geschäftsabteilung 37 Hv) das Verfahren zu AZ 37 Hv 118/20h an die Gerichtsabteilung 12 abtrat und damit seine Zuständigkeit nach der Geschäftsverteilung des Landesgerichts Linz zur Bearbeitung dieser Strafsache ablehnte, Art 83 Abs 2 und Art 87 Abs 3 B‑VG.
Gründe:
[1] Mit am 2. September 2020 beim Landesgericht Linz als Schöffengericht eingebrachter Anklageschrift vom 31. August 2020 (ON 27) legt die Staatsanwalt Linz * K* als Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (zu ergänzen: iVm § 161 Abs 1 StGB [I]) und des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (IV) sowie als Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1, Abs 4 Z 1 (Abs 5 Z 3 und 4) StGB (II) und nach § 159 Abs 2 (Abs 5 Z 3 und 4) StGB (III) (zu ergänzen: jeweils iVm § 161 Abs 1 StGB) beurteilte Taten zur Last.
[2] Die zum Zeitpunkt des Einbringens der Anklageschrift gültige Geschäftsverteilung des Landesgerichts Linz (in der Fassung der 12. Änderung vom 27. August 2020) definierte als Wirtschaftsstrafsachen „Verfahren über Strafanträge und Anklagen,
‑ die von der WKStA eingebracht wurden,
‑ die in § 20a Abs 1 StPO bezeichnete strafbare Handlungen beinhalten, ausgenommen § 159 StGB, soweit nach dem Strafantrag/der Anklage die relevante Wertgrenze EUR 300.000.‑‑ übersteigt (§ 20a Abs 1 Z 5 StPO bleibt unberührt); davon ausgenommen Strafsachen nach dem Finanzstrafgesetz“ (S 21 und 27 der Geschäftsverteilung).
[3] Punkt 9.7. der Grundsätze und Sonderregelungen der Geschäftsverteilung sah in Wirtschaftsstrafsachen die Verteilung der Akten nach dem elektronischen Aktenverteilsystem (DivA; dazu Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG II5 § 26 GOG Rz 12) auf die Leiter der Gerichtsabteilungen 12 und 13 (Geschäftsabteilungen 12 Hv und 13 Hv) im Verhältnis 2 : 1 vor (S 105 f der Geschäftsverteilung).
[4] Die anfallenden Akten in Hv‑Sachen, welche keine Sonderzuständigkeit (wie – hier relevant – jene nach Punkt 9.7.) begründeten (sog „allgemeine Strafsachen“), waren laut Punkt 9.4. nach dem elektronischen Aktenverteilsystem (DivA) auf die Leiter von vierzehn Geschäftsabteilungen (darunter auch 12 Hv und 13 Hv) nach einem prozentualen Zuteilungsverhältnis zu verteilen (S 104 der Geschäftsverteilung).
[5] Nach Punkt 9.3. war für den Fall, dass bei der Eingabe eines Aktes in DivA ein Fehler unterlaufen ist, die DivA-Administratorin zur Vornahme der erforderlichen Korrektur(en) zu verständigen und der Akt nochmals neu gemäß Punkt 9.2. (durch Eingabe in DivA) zu verteilen (S 104 der Geschäftsverteilung).
[6] Vorliegend wurde das Verfahren im elektronischen Aktenverteilsystem als Wirtschaftsstrafsache eingetragen und der Akt unter den beiden sonderzuständigen Geschäftsabteilungen 12 Hv und 13 Hv Erstgenannter (dort erfasst zu AZ 12 Hv 56/20g) zugeteilt (ON 1 S 13).
[7] In der Folge verfügte der für die Geschäftsabteilung 12 Hv zuständige Richter als Vorsitzender des Schöffensenats die Zustellung der Anklageschrift (ON 1 S 12), wies die Anschlusserklärung eines Privatbeteiligten mit Beschluss zurück (ON 30) sowie dessen Antrag auf Akteneinsicht ab (ON 34) und bewilligte den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (ON 1 S 12).
[8] Nachdem der Vorsitzende Kenntnis davon erlangt hatte, dass das Verfahren – seiner Ansicht nach „irrtümlich“ – als Wirtschaftsstrafsache eingetragen und der Akt der Geschäftsabteilung 12 Hv damit im Rahmen ihrer Sonderzuständigkeit nach Punkt 9.7. der Geschäftsverteilung zugeteilt worden war, verfügte er am 6. Oktober 2020 die Neuzuteilung im elektronischen Aktenverteilsystem als „allg. Strafsache Schöffen“ (ON 1 S 13), wodurch der Akt nach Punkt 9.4. der Geschäftsverteilung („allgemeine Strafsache“) zugeteilt wurde und der Gerichtsabteilung 37 (Geschäftsabteilung 37 Hv, dort erfasst zu AZ 37 Hv 118/20h) zufiel.
[9] Der Leiter der Gerichtsabteilung 37 legte den Akt am 12. Oktober 2020 dem Personalsenat des Landesgerichts Linz mit dem „Antrag auf [...] ersatzlose Streichung der Neueintragung des Aktes in der Abteilung 37“ vor (ON 1 S 15 f). Begründend führte er im Wesentlichen aus, die Neueintragung sei nicht zulässig, weil die Gerichtsabteilung 12 „auch eine Zuständigkeit für allgemeine Strafsachen“ aufweise und überdies § 17 Abs 7 Geo einer Neuzuteilung entgegenstehe.
[10] In seiner Stellungnahme vom 23. November 2020 (ON 35 S 3 f) erwog der Personalsenat – unter ausdrücklichem Hinweis, dass ihm keine Kompetenz zur Auslegung der Geschäftsverteilung oder zur Entscheidung über Zuständigkeitskonflikte zukomme (dazu eingehend Danzl, Geo9 § 17 Anm 24a mwN) – dass die „Abteilung 12 Hv“ für die Bearbeitung des Aktes „weiterhin zuständig“ bleibe. Eine Unzuständigkeit sei „nicht fassbar“, weil die Tätigkeit dieser Abteilung „sowohl Wirtschaftsakte als auch allgemeine Strafsachen“ umfasse und die Bearbeitung des Aktes (§ 17 Abs 7 Geo) durch den Vorsitzenden der Abteilung 12 bereits begonnen worden sei.
[11] Nach Rückstellung des Aktes AZ 37 Hv 118/20h (ON 35 S 1) verfügte der Leiter der Gerichtsabteilung 37 (Geschäftsabteilung 37 Hv) am 24. November 2020 die Abtretung des Verfahrens an die „Abt 12 im Sinne der Entscheidung des Personalsenats“ (ON 1 S 17).
Rechtliche Beurteilung
[12] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht diese Verfügung mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[13] Art 83 Abs 2 B‑VG normiert das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
[14] Nach Art 87 Abs 3 B‑VG sind die Geschäfte auf die Richter des ordentlichen Gerichts für die durch Bundesgesetz bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Eine nach dieser Geschäftsverteilung einem Richter zufallende Sache darf ihm nur durch Verfügung des durch Bundesgesetz hiezu berufenen Senats und nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn er wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist (Grundsatz der festen Geschäftsverteilung; dazu Muzak, BV‑G6 Art 87 III mwN).
[15] Anders als in der Verwaltung ist also der „gesetzliche Richter“ in der Gerichtsbarkeit nicht nur hinsichtlich der zuständigen Behörde bestimmt, sondern im Hinblick auf den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung auch hinsichtlich des individuellen Organwalters (Leeb in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 83/2 B‑VG Rz 65). Damit erhält der rechtsstaatliche Grundsatz, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, einen über die Regelung der bloßen Behördenzuständigkeit hinausgehenden Inhalt, indem damit ein „Recht auf ein Verfahren vor dem (individuellen) geschäftsverteilungsmäßigen Richter“ verbürgt wird (Piska in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 87/3 B‑VG Rz 12; vgl 3 Ob 188/14i).
[16] Ausgehend von den dargelegten Kriterien der Geschäftsverteilung des Landesgerichts Linz für die Einordnung eines Verfahrens als Wirtschaftsstrafsache (S 21 und 27 der Geschäftsverteilung) erfüllte das gegenständliche Verfahren diese (mangels eines 300.000 Euro übersteigenden Schadens zu den Anklagepunkten I oder IV oder Einbringens der Anklage durch die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption) nicht. Es wäre daher als „allgemeine Strafsache“ laut Punkt 9.4. (S 104 der Geschäftsverteilung) einzutragen gewesen. Die Zuteilung des Aktes nach Punkt 9.7. (105 f der Geschäftsverteilung) an die Gerichtsabteilung 12 (Geschäftsabteilung 12 Hv) im Rahmen deren Sonderzuständigkeit für Wirtschaftsstrafsachen erfolgte somit (insoweit auch vom Leiter der Gerichtsabteilung 37 [vgl ON 1 S 15 verso] und vom Personalsenat [vgl ON 35 S 3 verso] nicht in Zweifel gezogen) fehlerhaft.
[17] Infolgedessen entsprach die am 6. Oktober 2020 vom Leiter der Gerichtsabteilung 12 (Geschäftsabteilung 12 Hv) verfügte Neuzuteilung des Aktes als „allgemeine Strafsache“ (ON 1 S 13) Punkt 9.3. der Geschäftsverteilung.
[18] Dieser Neuzuteilung stand der Umstand, dass der Leiter der Gerichtsabteilung 12 (Geschäftsabteilung 12 Hv) in diesem Verfahren zuvor bereits die eingangs angeführten Beschlüsse gefasst und Verfügungen getroffen hatte, nicht entgegen.
[19] Nach § 17 Abs 7 erster Satz Geo ist, wenn sich ergibt, dass eine Sache, deren Bearbeitung in einer Abteilung begonnen wurde, nach der Geschäftsverteilung in eine andere gleichartige Abteilung gehört, diese nur dann abzutreten, wenn es die Geschäftsbehandlung erleichtert.
[20] Im vorliegenden Fall der fehlerhaften Zuteilung der Strafsache an eine Abteilung mit Sonderzuständigkeit (Geschäftsabteilung 12 Hv im Rahmen ihrer Zuständigkeit für Wirtschaftsstrafsachen) und deren Neuzuteilung an eine Abteilung für „allgemeine Strafsachen“ (Geschäftsabteilung 37 Hv) fehlt es bereits am Vorliegen einer solchen „gleichartigen“ Abteilung, sodass diese Norm nicht zum Tragen kommt. Dass die fallkonkret aufgrund ihrer Sonderzuständigkeit tätig gewordene Geschäfts-abteilung 12 Hv nach der Geschäftsverteilung darüber hinaus auch für „allgemeine Strafsachen“ zuständig ist, stellt die geforderte „Gleichartigkeit“ nicht her.
[21] Indem der Leiter der Gerichtsabteilung 37 (Geschäftsabteilung 37 Hv) als der nach der Geschäftsverteilung berufene Richter die ihm demnach geschäftsverteilungskonform zugefallene Strafsache (AZ 37 Hv 118/20h) an die Gerichtsabteilung 12 abtrat, ohne dass einer der in Art 87 Abs 3 zweiter Satz B‑VG geregelten Sonderfälle oder ein sonst zulässiger Grund (vgl etwa § 37 Abs 3 StPO) vorlag, verletzte er das Gesetz in Art 83 Abs 2 und Art 87 Abs 3 B-VG.
[22] Die rechtswidrige Verweigerung richterlicher Tätigkeit durch einen dazu nach der Geschäftsverteilung berufenen Richter ist Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (Ratz, Zum Grundrecht auf den gesetzlichen Richter im österreichischen Strafverfahren, ÖJZ 2018/46 [356]; ders, WK‑StPO § 281 Rz 105/1).
[23] Da die gegenständliche Verfügung durch Rückabtretung des Verfahrens jederzeit korrigiert werden kann, bedarf es keines Ausspruchs nach § 292 letzter Satz StPO, sondern kann es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 27; vgl RIS‑Justiz RS0053573).
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