OGH 14Os87/94

OGH14Os87/9410.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Jänner 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Schaffer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred M***** wegen des Verbrechens nach §§ 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12.April 1994, GZ 6 d Vr 5713/93-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr.Bierlein, und des Verteidigers Dr.Waldhof, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem den Angeklagten freisprechenden Teil sowie demgemäß im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG enthält, wurde Alfred M***** vom Anklagevorwurf, in Mödling den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, die zumindest das Fünfundzwanzigfache der in § 12 Abs 1 SGG angeführten Menge ausmachte, durch Verkauf in Verkehr gesetzt zu haben, indem er

1.) zwischen August 1990 und November 1992 ca 80 bis 90 g Heroin an (die gesondert verfolgten) Rudolf S***** und Gerhard S*****,

2.) zwischen 1992 und Feber 1993 ca 20 g Heroin an Gerhard S*****,

3.) zwischen 1985 und 1990 ca 1,2 kg Haschisch an Rudolf S***** und

4.) zwischen 1990 und 1993 ca 2 kg bis 5 kg Haschisch an Gerhard S*****

veräußerte,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Freispruch begründete das Erstgericht damit, daß die Verantwortung des leugnenden Angeklagten durch die übrigen Beweisergebnisse - ungeachtet der belastenden Angaben der Brüder Gerhard und Rudolf S***** im Vorverfahren - nicht widerlegt werden könnte, weil objektive Beweise nicht vorlägen und sich sowohl Rudolf S***** als auch Gerhard S***** in der Hauptverhandlung - berechtigterweise (§ 152 Abs 1 Z 1 StPO) - der Aussage entschlagen hätten (US 4 f iVm S 356 f).

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer nominell auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt:

Zutreffend erblickt die Beschwerdeführerin einen (in der Hauptverhandlung gerügten) Verfahrensmangel nach der erstbezeichneten Gesetzesstelle (sachlich auch den Nichtigkeitsgrund der Z 4) darin, daß das Schöffengericht in Verkennung der Voraussetzungen einer Zeugnisbefreiung nach § 152 Abs 1 Z 1, letzter Halbsatz, StPO den (für den Freispruch relevanten) Entschlagungserklärungen der Zeugen Gerhard S***** (S 356) und Rudolf S***** (S 357) - unüberprüft - Berechtigung zuerkannt, deshalb von deren Einvernahme abgesehen und die zur Klärung dieser Berechtigung (seitens der Anklagebehörde) gestellten Anträge auf Einsichtnahme in die Gerhard S***** und Rudolf S***** betreffenden, getrennt geführten (und mit rechtskräftigen Schuldsprüchen abgeschlossenen) Strafakten abgelehnt habe (S 356 ff).

Nach der Aktenlage hatten Gerhard und Rudolf S***** sowohl in dem ursprünglich auch gegen den Angeklagten Alfred M***** (und andere wegen Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz Verdächtige) zum AZ 22 d Vr 2723/93 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gemeinsam geführten Verfahren (im Rahmen ihrer niederschriftlichen Vernehmung vor der Sicherheitsbehörde sowie als Beschuldigte vor dem Untersuchungsrichter) eingestanden, von Alfred M***** Heroin und Haschisch im verfahrensrelevanten Umfang erworben zu haben. Gerhard S***** und Rudolf S***** waren hierauf in gesondert geführten Verfahren jeweils unter Berücksichtigung ihrer geständigen Verantwortung mit den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7.Juni 1993, GZ 6 e Vr 5688/93-20, und GZ 6 e Vr 5687/93-20, des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (Rudolf S***** auch des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG) schuldig erkannt worden. Beide hatten unmittelbar nach Urteilsverkündung ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet.

Im vorliegenden Verfahren hielten Gerhard und Rudolf S***** sowohl vor der Sicherheitsbehörde (S 207 f, 235) wie auch als Zeugen vor dem Untersuchungsrichter ihre den Angeklagten belastenden Angaben aufrecht (ON 21 und 23). Alfred M***** hingegen stellte das ihm angelastete Inverkehrsetzen von Suchtgift stets in Abrede (S 253 ff, ON 13, S 339 ff und 355 f).

In der Hauptverhandlung vom 12.April 1994 gaben die beiden Zeugen - aus der Strafhaft vorgeführt - nach Vorhalt "des § 152 StPO" und nach "Wahrheitserinnerung" ohne nähere Begründung an, nicht aussagen zu wollen (S 356, 357).

Den Antrag der Anklagebehörde, die Berechtigung der Aussageverweigerung mangels aktenkundiger Hinweise auf die Möglichkeit einer Selbstbezichtigung nicht anzuerkennen bzw durch Verlesung der gegen sie als Angeklagte im eigenen Strafverfahren ergangenen rechtskräftigen Urteile zu klären, lehnte das Erstgericht jeweils mit (von der Staatsanwaltschaft bekämpftem) Zwischenerkenntnis (§ 238 StPO) "im Hinblick auf die klare Formulierung des § 152 Abs 1 Z 1, letzter Satz, StPO" ab (S 357).

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner zur Problematik der Auslegung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO (in der durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl Nr 526, geänderten, seit 1.Jänner 1994 geltenden Fassung) ergangenen Entscheidung vom 12.Juli 1994, GZ 14 Os 82/94-6, ausgesprochen hat, tritt die Befreiung von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses nicht schon mit der bloßen Behauptung eines Zeugen ein, daß auf ihn ein Befreiungsgrund zutreffe; vielmehr hat das Gericht die Voraussetzungen für eine Entschlagungsberechtigung zu prüfen. Die Anhängigkeit eines gegen einen Zeugen wegen einer strafbaren Handlung geführten Strafverfahrens, das in einem rechtlichen oder sachlichen Konnex zu jener Tat steht, die dem Beschuldigten in dem Strafverfahren, in dem der Zeuge aussagen soll, angelastet wird, ist zunächst bloß ein Indiz für die Möglichkeit einer Zeugnisbefreiung nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO (zweiter Fall), das den Richter zur Belehrung des Zeugen über diese Möglichkeit verpflichtet. Ob der Zeuge tatsächlich durch seine Aussage im Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren Gefahr liefe, sich selbst zu belasten, sodaß ihm daher das Entschlagungsrecht zuzubilligen wäre, hat das Gericht jedoch auch im Fall eines gegen den Zeugen anhängigen oder bereits abgeschlossenen Verfahrens und einer sich darauf berufenden Entschlagungserklärung gesondert zu prüfen. Von einem Zeugen, der einen gegen ihn erhobenen Vorwurf als zu Recht bestehend anerkannt hat, kann in der Regel nicht angenommen werden, daß er sich im Umfang seines Geständnisses durch eine wahrheitsgemäße Aussage noch belasten, also ein zusätzliches Beweismittel (iwS) gegen sich schaffen könnte. Ohne die nähere Erklärung eines solchen Zeugen, weshalb für ihn trotz seines Geständnisses noch eine (weitere) Belastungsmöglichkeit bestünde, wird der Befreiungsgrund daher im allgemeinen - insbesondere dann, wenn der Zeuge in Übereinstimmung mit seinem Geständnis bereits verurteilt worden ist - nicht angenommen werden können. Die Bestimmung des letzten Halbsatzes des § 152 Abs 1 Z 1 StPO hat nämlich ihrem Sinne nach primär eine Fallkonstellation vor Augen, in welcher der Zeuge trotz seiner leugnenden Verantwortung verurteilt worden ist; nur einer Situation, in welcher der Zeuge bei Aufrechterhaltung seiner bisherigen - durch den Schuldspruch als tatsachenwidrig beurteilten - Behauptung eine Verfolgung wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB befürchten müßte, soll durch die in Rede stehende Bestimmung Rechnung getragen werden.

Ausgehend von diesen Erwägungen hätte sich der Vorsitzende - wie der Beschwerdeführerin zuzugeben ist - mit der Entschlagungserklärung der beiden Zeugen nicht begnügen dürfen. Vielmehr wäre das Gericht verhalten gewesen, deren Berechtigung zur Zeugnisentschlagung (im Rahmen der ihm gesteckten Grenzen - vgl erneut 14 Os 82/94) durch die angestrebte Einsichtnahme in die diese Zeugen betreffenden Gerichtsakten (erforderlichenfalls auch durch Herbeiführung ergänzender Angaben der Zeugen) zu klären, um solcherart eine überprüfbare Grundlage für die nunmehr bekämpften Zwischenerkenntnisse des Senates - und zwar auch in bezug auf die von der Anklagebehörde weiters relevierte Zulässigkeit der Verlesung der früheren Angaben der beiden Zeugen gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO - zu schaffen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher Folge zu geben, das angefochtene Urteil, das in seinem schuldigsprechenden Teil unberührt bleibt, im Freispruch des Alfred M***** und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufzuheben und im Umfang der Aufhebung die Verfahrenserneuerung in erster Instanz anzuordnen.

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