OGH 14Os78/10t

OGH14Os78/10t20.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juli 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 17. Februar 2010, GZ 20 Hv 132/09i-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef S***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der ersten Jahreshälfte 2009 in Weinburg

(I) mit seiner am 23. September 2005 geborenen unmündigen Tochter Michaela S***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er mit einem Finger in deren Scheide eindrang;

(II) durch die unter I beschriebene Handlung mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 3, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

In der auf Z 3 gestützten Verfahrensrüge wendet sich der Beschwerdeführer gegen die angeblich gegen seinen ausdrücklichen Widerspruch erfolgte Verlesung eines Amtsvermerks „der Carmen G*****, Bezirksinspektorin des Landespolizeikommandos für Niederösterreich vom 22. 6. 2009“ in der Hauptverhandlung vom 17. Februar 2010. In diesem wird das Ergebnis einer im Anschluss an die am 22. Juni 2010 durchgeführte Befragung der Michaela S***** durch diese Polizeibeamtin erfolgten „Rücksprache“ mit einer Kinderpsychologin, welche bei dieser Befragung ebenfalls anwesend war, zusammengefasst.

Nach dem ungerügten Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls vom 17. Februar 2010 wurden „gemäß § 252 Abs 1 Z 4, Abs 2 und Abs 2a StPO“ unter anderem der Anlassbericht ON 6, der Zwischenbericht ON 9 und der Abschlussbericht ON 10, in welchen der gegenständliche Amtsvermerk jeweils enthalten war (ON 6 S 15, ON 9 S 7 und ON 10 S 39), „ausdrücklich einverständlich“ verlesen (ON 36 S 6, 7). Im Anschluss daran legte die Staatsanwaltschaft diesen Amtsvermerk neuerlich vor, welcher „verlesen und als Beilage ./1 zum Akt genommen“ wurde. Danach erklärte der Verteidiger, sich gegen die Verlesung auszusprechen (ON 36 S 7).

Durch die einverständliche Verlesung (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) der Berichte, welche den als amtliches Schriftstück mit dem Ziel, die Aussage der genannten Kinderpsychologin festzuhalten, errichteten Amtsvermerk enthielten, kam der Inhalt der Aussage rechtens im Beweisverfahren vor. Ein Verstoß gegen das Beweisverbot des § 252 Abs 1 StPO, welches das - mit dem Fragerecht nach Art 6 Abs 3 lit d MRK normativ verknüpfte - strafprozessuale Unmittelbarkeitsprinzip gegen Unmittelbarkeitssurrogate, die durch die Ausnahmesätze der Z 1 bis 4 des § 252 Abs 1 StPO nicht gedeckt sind, bei sonstiger Nichtigkeit absichert (RIS-Justiz RS0118778), liegt demnach gerade nicht vor.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst - verfehlt auch aus Z 5 - unter der Prämisse, das Erstgericht habe lediglich festgestellt, dass der Angeklagte mit seinem Finger in die Scheide seiner Tochter eindrang, Konstatierungen zur „Art“, Häufigkeit und Dauer des Eindringens. Sie orientiert sich dabei nicht an der Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, wonach es sich um ein dreijähriges Tatopfer handelte, welches zudem eine Verletzung des Hymen erlitt (US 6), und verfehlt damit den gerade darin gelegenen Bezugspunkt bei der Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes.

Die Behauptung, es bedürfe auch für die Annahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung der Feststellung eines Kontakts zwischen den Geschlechtsteilen von (jeweils) Täter und Opfer wird nicht logisch vertretbar aus der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (12 Os 30/07i), welche diesbezüglich lediglich auf das Erfordernis eines Penetrationselements verweist, abgeleitet (RIS-Justiz RS0116962).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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