OGH 14Os62/11s

OGH14Os62/11s30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen der Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jörg M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Geschworenengericht vom 4. März 2011, GZ 12 Hv 118/10d-90, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jörg M***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen der Verbrechen des Mordes nach §§ 2, 15, 75 StGB (B 1), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (B 2) und der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB (B 3) sowie zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A und C) schuldig erkannt.

Danach hat er

(A) Mitte März 2010 in P***** (Portugal) Sabine P***** durch das Versetzen eines wuchtigen Faustschlags gegen das rechte Auge vorsätzlich am Körper in Form einer Schwellung im Bereich des Jochbeins sowie eines Hämatoms am rechten Auge verletzt;

(B) am 25. April 2010 in M***** im Mürztal

(1) Sabine P***** zu töten versucht, indem er sie mit Isopropylalkohol überschüttete, an mehreren Stellen im Raum Feuer legte, wodurch sie Feuer fing, sie sodann mittels Decken löschte, daraufhin unter Mitnahme des Wohnungsschlüssels aus der brennenden und versperrten, im ersten Stock gelegenen Wohnung kletterte und sie schwer verletzt dort zurückließ;

(2) Sabine P***** durch die zu B 1) geschilderte Tat widerrechtlich gefangen gehalten, wobei er die Freiheitsentziehung auf solche Weise begangen hat, dass sie der Festgehaltenen besondere Qualen bereitete;

(3) durch die zu B 1) geschilderte Tat am Wohnhaus der Friederike M*****, sohin an einer fremden Sache, ohne deren Einwilligung eine Feuersbrunst zu verursachen versucht;

(C) am 7. August 2009 in S***** Renate Mü***** durch Versetzen von Schlägen mit einem Staubsaugerrohr vorsätzlich am Körper in Form einer Kopfprellung sowie Prellungen am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, war die Hauptfrage 3 auf das Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB gerichtet. Nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB wurde eine - alternativ gefasste - Hauptfrage 4 gestellt, die in der Variante 4a Tatbegehung durch Tun (Anzünden des Tatopfers) und in der Variante 4b Handeln durch Unterlassen (Zurücklassen des schwer verletzten Tatopfers in der brennenden, zuvor versperrten Wohnung) zum Gegenstand hatte. Nur für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 4a war eine Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) gestellt worden. Bei Verneinung der Hauptfragen 3 und 4 oder Bejahung der Hauptfrage 4a samt der erwähnten Zusatzfrage waren Eventualfragen nach Körperverletzungstatbeständen zu beantworten. Die Geschworenen hatten die Hauptfragen 3 und 4b bejaht, die Hauptfrage 4a verneint und demgemäß die dazu gestellte Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch ebenso unbeantwortet gelassen wie die Eventualfragen.

Die dagegen aus Z 6, 7, 8, 9 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert unter Bezugnahme auf einen die Tat auslösenden heftigen Streit mit Sabine P*****, im Zuge dessen das Tatopfer auch eine teure Tätowiermaschine des Angeklagten zerstört hätte, und mit dem Verweis auf die dem Angeklagten vom beigezogenen Sachverständigen attestierte Regulationsstörung das Unterbleiben einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB, ohne sich dabei an den Kriterien des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes zu orientieren. Zu dessen prozessförmiger Darstellung hätte es nämlich zusätzlich der Darstellung eines Verfahrensergebnisses der Hauptverhandlung bedurft, das die allgemeine Begreiflichkeit des behaupteten tiefgreifenden Affekts zur Tatzeit indiziert hätte, und zwar samt Angabe der Fundstelle in den Akten (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23, 43). Dem wird der unsubstantiierte Hinweis auf den „Verkehrskreis des Angeklagten“ nicht gerecht.

Soweit die Rüge für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 3 nach dem Verbrechen der Brandstiftung und gleichzeitiger Verneinung der in Richtung Mord gestellten (alternativen) Hauptfragen 4 Eventualfragen nach - ihrer Ansicht nach zu § 169 StGB ideal konkurrierenden - Körperverletzungstatbeständen vermisst, ist sie nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.

Der Vorwurf (der Sache nach Z 8 - vgl RIS-Justiz RS0100936), dass die Hauptfragenvarianten in Betreff des Verbrechens des Mordes (4a und 4b) widersprüchlich abgefasst worden seien, weil selbst bei Bejahung der - zur Hauptfrage 4a gestellten - Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch die Hauptfrage 4b zu beantworten gewesen sei, übergeht ebenso wie die Kritik, dass diese Zusatzfrage erst nach der Hauptfrage 4b gestellt wurde, prozessordnungswidrig die den Geschworenen erteilte Instruktion, wonach lediglich eine der beiden alternativen Fragestellungen (4a oder 4b) bejaht werden konnte, die andere demzufolge zu streichen und die Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch nur im Fall der Bejahung der Hauptfrage 4a zu beantworten war (ON 89 S 63, 66).

Aus welchem Grund die alternative Gegenüberstellung verschiedener Handlungsmodalitäten in einer Hauptfrage (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 345 Rz 52; Schindler, WK-StPO § 312 Rz 22 f) trotz rechtlicher Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 11) unzulässig sein soll, leitet die weitere Beschwerde nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab.

Die Geschworenen erblickten die nach §§ 2, 15, 75 StGB beurteilte Tötungshandlung im Zurücklassen der nach dem Brandanschlag schwer verletzten Sabine P***** in der versperrten und brennenden Wohnung, nachdem der Angeklagte das von ihm am Körper des Tatopfers ausgelöste Feuer erstickt hatte. Mit dem Verweis auf ebendiese Handlung, auf die an Sabine P***** erteilte Aufforderung, mit ihm aus dem Fenster der im ersten Stock befindlichen Wohnung zu springen sowie auf Zeugenaussagen, wonach sich Sabine P***** zum Zeitpunkt deren Einschreitens immer noch in der brennenden Wohnung befunden habe, aber nicht mehr in Flammen gestanden sei, wendet sich der Beschwerdeführer gegen die unterlassene Stellung einer Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch in Betreff der Hauptfragenvariante 4b, macht aber nicht klar, aus welchem Grund diese Verfahrensergebnisse tatsächliche Erfolgsabwendung durch gefahrenneutralisierendes Handeln des Angeklagten selbst, durch Dritte auf dessen Veranlassung (oder auch gezielte Verhinderung der Erfolgsabwendung durch die Verletzte) indizieren hätten sollen (vgl Kienapfel/Höpfel AT13 Z 23 Rz 17 ff).

Die weitere Rüge (Z 7) behauptet - ohne den angeklagten mit dem abgeurteilten Lebenssachverhalt zu vergleichen (vgl RIS-Justiz RS0113142) - eine Anklageüberschreitung durch Stellung der Hauptfrage in der Variante 4b, verabsäumt jedoch die gebotene Darlegung, aus welchem Grund die Schilderung des vom Schuldspruch B1 umfassten Tatgeschehens (das Zurücklassen des Brandopfers in der Wohnung) in der Begründung (§ 211 Abs 2 StPO) der Angeklageschrift (ON 53 S 9) nicht ausreichen soll (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502 ff; zum Verhältnis von Tun und Unterlassen vgl Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 55).

Soweit der Beschwerdeführer in der Instruktionsrüge (Z 8) die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung, wonach der Angeklagte im Fall der Bejahung der - nur bei Bejahung der (tatsächlich verneinten) Hauptfrage 4a zu beantwortenden - Zusatzfrage in Richtung Rücktritt vom Versuch (trotz weiterer Eventualfragen nach Körperverletzungstatbeständen) vom „Verbrechen des versuchten Mordes freizusprechen“ sei (ON 89 S 67), mit dem Argument kritisiert, die Geschworenen seien dadurch „eingeengt“ worden, macht er nicht deutlich, inwiefern sich der ins Treffen geführte Belehrungsfehler hinsichtlich einer unbeantwortet gebliebenen (und im Ergebnis somit gar nicht gestellten) Zusatzfrage auf die Beantwortung der Hauptfragen ausgewirkt haben soll (vgl RIS-Justiz RS0110682, RS0111311; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63).

Der Einwand der Widersprüchlichkeit (Z 9 dritter Fall) zwischen dem Unterbleiben einer Antwort auf die Zusatzfrage zur verneinten Hauptfragenvariante 4a und der Bejahung der Hauptfragenalternative 4b verfehlt die gesetzmäßige Darstellung des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes. Ein Nichtigkeit begründender innerer Widerspruch kann nämlich nur aus dem Wahrspruch (§§ 317 Abs 1, 330 Abs 2 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613 und § 345 Rz 76) selbst, also den tatsächlich (mit ja oder nein) beantworteten Fragen abgeleitet werden.

Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 10a des § 345 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Diesen Anfechtungsrahmen überschreitet die Tatsachenrüge, indem sie - unter eigenständiger Würdigung der Beweisergebnisse im Sinn eines Rücktritts vom Versuch durch Löschen des beim Tatopfer verursachten Brandes - einen (erst bei Verlassen der Wohnung gefassten) Tötungsvorsatz des Angeklagten bestreitet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Die Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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