Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Ulrike W***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 3 SMG, 15 StGB (I) und des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat sie von Anfang 2007 bis Ende September 2008 in M***** und anderen Orten Österreichs
(I) durch wiederholte (ärztliche) Verschreibung und Weitergabe morphinhältiger Medikamente vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, verschafft (1 und 2) und zu verschaffen versucht (3), nämlich
1) Rene B***** Vendal retard Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 684.300 mg Morphin HCL,
2) Werner P***** Vendal retard Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 281.250 mg „Morphin HCL“ (richtig: Morphin; siehe US 5 und 15 iVm ON 45 S 39 und ON 43; vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 440),
3) Robert K***** fünf Stück Vendal Ampullen 200 mg à 10 ml mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 750 mg Morphin HCL;
(II) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte der N***** durch Vorgabe der „Vernichtungsdeckung“ (richtig: Versicherungsdeckung) unterliegender Medikamentenverordnung zur Bezahlung von Medikamentenkosten betreffend die Patienten Rene B*****, Werner P***** und Robert K***** in Höhe von 14.511,90 EUR verleitet, wodurch der Sozialversicherungsträger in dieser Höhe am Vermögen geschädigt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Die in der den Schuldspruch II betreffenden Verfahrensrüge (Z 3) unter dem Gesichtspunkt des § 260 StPO behauptete Nichtigkeit liegt nicht vor. Die als undeutlich und im Widerspruch zu den Entscheidungsgründen stehend gerügte Formulierung einer Täuschung über der „Vernichtungsdeckung“ (statt: der Versicherungsdeckung) unterliegende Medikamentenverordnungen ist anhand der Entscheidungsgründe (US 6) unschwer als bloßer (aus der Anklageschrift übernommener; ON 36) Schreibfehler zu erkennen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 278).
Die Verfahrensrüge (Z 4), mit der die - wenn auch rechtlich verfehlt wegen „Verspätung“ (vgl dazu § 271 Abs 7 dritter Satz StPO) erfolgte - Abweisung des bloß per E-Mail gestellten Antrags (ON 40a, identisch mit ON 41 und 42) auf Berichtigung des Protokolls über die am 4. Dezember 2009 durchgeführte (am 11. Mai 2010 zufolge Verzichts der Parteien auf Neudurchführung des Verfahrens nach § 276a StPO fortgesetzte; ON 39 S 45; vgl dazu Danek, WK-StPO § 276a Rz 1 ff) Hauptverhandlung (ON 45 S 3), scheitert schon am Erfordernis der Antragstellung in der Hauptverhandlung Danek, WK-StPO § 238 Rz 4; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 309).
Inwieweit es für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein soll, dass die Verschreibung der verfahrensgegenständlichen Medikamente mittels „Einzelrezepten“ erfolgte (wovon die Tatrichter zudem ohnehin ausgingen; US 17) und dass dieser jeweils „eine Untersuchung oder Vorstellung“ voranging, ist nicht erkennbar und ließ sich auch dem zum Nachweis für diese Umstände gestellten Antrag auf Vernehmung des Zeugen Werner P***** nicht entnehmen (ON 30 S 43; vgl zum Ganzen: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 f; RIS-Justiz RS0116987 [T1 und 2]), weshalb durch dessen Abweisung (ON 45 S 47 f) Verteidigungsrechte nicht verletzt wurden. Dem das Beweisthema ergänzenden Beschwerdevorbringen steht das Neuerungsverbot entgegen (vgl Ratz, WK-StPO Vor §§ 280-296a Rz 15, § 281 Rz 325; RIS-Justiz RS0099117).
Ein Antrag auf Vernehmung des „Zeugen B*****“ wurde nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung hinwieder gar nicht gestellt, eine entsprechende Fundstelle in den Akten auch in der Beschwerde nicht genannt.
Mit Blick auf die der Beschwerdeführerin zum Schuldspruch II vorgeworfene Täuschung über die Indikation der Verschreibung von suchtgifthältigen Medikamenten (zur Durchführung einer von der Sozialversicherung gedeckten Heilbehandlung; US 6) beziehen sich die in der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) - im Übrigen bloß pauschal und erneut ohne Angabe der Fundstelle in den Akten angesprochenen - Passagen aus den Aussagen der Angeklagten und der Zeugin Dr. Michaela S***** (etwa zum Abrechnungssystem hinsichtlich von Versicherten in Anspruch genommener Leistungen und der Gebarung der Hausapotheke bei der Gebietskrankenkasse, zur angeblichen „Offenlegung sämtlicher von der Angeklagten verrechneten Leistungen unter Nennung des Leistungsempfängers und des Leistungsinhalts“ sowie zu einer bloß im zweiten Quartal 2007 wegen Verrechnung tatsächlich gar nicht erbrachter Leistungen erfolgten Beanstandung der Abrechnungen durch den Sozialversicherungsträger) nicht auf für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erhebliche Umstände und waren daher auch nicht erörterungsbedürftig im Sinn der Z 5 zweiter Fall.
Dass die inkriminierten Verschreibungen suchtgifthältiger Medikamente nach der Intention der Angeklagten nicht - wie dem Versicherer gegenüber wahrheitswidrig behauptet - zur Durchführung einer (auch bei Suchtgiftabhängigen möglichen) Schmerztherapie erfolgten, wurde - dem weiteren Beschwerdeeinwand (Z 5 vierter Fall) zuwider - sehr wohl begründet. Indem die Mängelrüge die dazu angestellten Erwägungen der Tatrichter ignoriert, die die kritisierte Feststellung logisch und empirisch einwandfrei aus einer Reihe von Verfahrensergebnissen (etwa den von der Angeklagten selbst geführten Aufzeichnungen in ihrer Patientenkartei, der jeweils verschriebenen Tablettenmenge und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. D*****) ableiteten (US 7 bis 14), verfehlt sie den in der Gesamtheit der Entscheidungsgründe gelegenen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0119370).
Weshalb ein „logischer Zusammenhang zwischen Medikamentenabgabe und der Bereicherung eines Patienten“ nicht zu erkennen sein soll, ist unter Berücksichtigung der - von der Beschwerde erneut prozessordnungswidrig übergangenen - mängelfrei begründeten entsprechenden Urteilsannahmen (US 6; zur Begründung: US 15 iVm US 14) nicht nachvollziehbar.
Aus welchem Grund zur Subsumtion des Tatgeschehens nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (II) Feststellungen zu „irgendwelchen Vereinbarungen, Zusagen oder gar einer Absicht …, einzelne Patienten auf Dauer und wiederkehrend mit medizinisch nicht notwendigen Rezepten zu versorgen“, erforderlich gewesen oder eine - ohne Nennung in der Hauptverhandlung vorgekommener entsprechender Indizien - geforderte Konstatierung, dass keine „Dauerrezepte“ ausgestellt wurden (vgl dazu übrigens US 17) der vorgenommenen rechtlichen Beurteilung entgegenstehen sollten (§ 29 StGB), erklärt die Beschwerde (nominell erneut Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) nicht.
Die Konstatierungen zum Schädigungsvorsatz wurden hinwieder - logisch und methodisch einwandfrei (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452) - aus dem objektiven Täterverhalten erschlossen (US 16).
Die Ableitung der Feststellungen zur Schadenshöhe zum Schuldspruch II aus den Abrechnungen der Gebietskrankenkasse (ON 5 S 155 und ON 20 S 11 ff; US 15) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Von fehlender Begründung (Z 5 vierter Fall) kann demnach insoweit keine Rede sein. Den entsprechenden Urteilsannahmen ist - dem weiteren (unverständlich auch zum Schuldspruch I erhobenen) Einwand einer Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider - unmissverständlich zu entnehmen, dass der Beschwerdeführerin als Betrugsschaden bloß die der Geschädigten entstandenen Kosten von im Zeitraum Anfang 2007 bis Ende September 2008 verschriebenen Vendalpräparaten angelastet wurde (US 4 bis 6). Weshalb in diesem Zusammenhang Aktenwidrigkeit oder Unvollständigkeit der Begründung (Z 5 zweiter und fünfter Fall) vorliegen sollte, erklärt die Beschwerde nicht deutlich und bestimmt.
Die - den Schuldspruch I betreffende, erneut verfehlt auf Z 5 (der Sache nach Z 9 lit a) gestützte - Behauptung fehlender Feststellungen zu einem auf die vorschriftswidrige Überlassung von Suchtgift auch an Rene B***** und Robert K***** bezogenen Vorsatz der Beschwerdeführerin verfehlt ein weiteres Mal den in den tatsächlichen Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl nämlich US 5 f).
Soweit mit dem wiederum pauschal erhobenen Vorwurf, „der Ausspruch des Gerichts“ sei „nicht nur undeutlich, sondern vor allem auch nicht eindeutig und vor allem auch unvollständig und sogar aktenwidrig“, das Urteil sei „in sich widersprüchlich“ und treffe „unzureichende Feststellungen“ und den daran anschließenden umfangreichen Ausführungen gerade noch erkennbar offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zu einem von vornherein (also auch in Bezug auf die einmalige Verschreibung morphinhältiger Medikamente an Robert K*****) auf die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt gerichteten Vorsatz der Angeklagten (US 6) gerügt werden soll, ignoriert die Beschwerde ein weiteres Mal die insoweit zentralen - unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstandenden - Erwägungen der Tatrichter (US 14 ff), womit sie erneut den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt verfehlt.
Dass auch Robert K***** (primär) einer Substitutionsbehandlung unterzogen werden sollte, wurde - mängelfrei - aus den Eintragungen der Beschwerdeführerin in ihrer Patientenkartei und der von ihr verfassten Verordnung vom 4. Oktober 2007 abgeleitet (US 12 f).
Aus welchem Grund es - trotz der eben zitierten Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (US 6 und 14 f) - zur Subsumtion nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall SMG, § 15 StGB einer Aufschlüsselung der den in Rede stehenden Patienten jeweils verschriebenen suchtgifthältigen Medikamente bedurft hätte, erklärt die Rüge (nominell Z 5 und Z 9 lit a, der Sache nach Z 9 lit a) nicht. Indem sie aus - den angesprochenen Gutachten (ON 21, ON 33, ON 45 S 39 ff, ON 31 S 5 ff) im Übrigen so nicht zu entnehmenden - angeblichen Aussagen der Sachverständigen Dr. D***** und Prof. Dr. Si***** eigene Schlüsse zieht und solcherart die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Frage stellt, bekämpft sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung. Dass bei Rene B***** die Verordnung von Morphin nach Aussage der beiden Experten durch die Schmerzdiagnosen möglicherweise erklärbar sei, nicht aber der Umfang der Verordnung, wurde vom Erstgericht im Übrigen ohnehin berücksichtigt (US 9).
Die Forderung nach Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der nach dem Anklagevorwurf Rene B***** überlassenen Codidol retard Tabletten ist angesichts des insoweit ergangenen Freispruchs (US 4) überhaupt nicht nachvollziehbar.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst zum Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (II) Feststellungen zu einer „einheitlichen Willensbildung“ bei Ausstellung der einzelnen Rezepte, legt dabei aber nicht dar, warum es - ungeachtet der nach § 29 StGB zu bildenden Subsumtionseinheit - auch hier eines entsprechenden Gesamtvorsatzes bedurft hätte.
Soweit die Beschwerde im Folgenden erneut die - unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) unbedenklich aus dem objektiven Täterverhalten abgeleiteten (vgl erneut RIS-Justiz RS0116882, RS0098671; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452) - Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (zum Schuldspuch I: US 5 f und 14 f; zum Schuldspruch II: US 6 f) in Frage stellt und den tatrichterlichen Erwägungen eigenständige beweiswürdigende Überlegungen entgegenhält, verfehlt sie zum wiederholten Male den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.
Gleiches gilt für den Einwand, ein Arzt wäre „bei Schmerzpatienten“ verpflichtet, morphinhältige Präparate zu verschreiben, wobei eine allenfalls höhere als die medizinisch indizierte Dosierung bloß auf einem „außerstrafrechtlichen Irrtum“ beruhe, weil diese Argumentation nicht am Urteilssachverhalt anknüpft, wonach die Angeklagte eben keine Schmerz-, sondern eine Substitutionstherapie durchführen wollte, obwohl sie wusste, dass sie nicht über die erforderliche Berechtigung im Sinn der §§ 2 f und § 5 der Weiterbildungsverordnung orale Substitution, BGBl II 2006/449, verfügte und eine solche Behandlung primär mit Vendal überdies unzulässig ist (US 5 f, US 11, US 19 f).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass die Vorschriften, denen zuwider die Angeklagte nach den Feststellungen ab Anfang Jänner 2007 ohne Berechtigung zur Durchführung einer Substititionsbehandlung und trotz Unzulässigkeit einer primären Substitutionsbehandlung mit dem Präparat Vendal anderen suchtgifthältige Vendaltabletten und -ampullen überlassen, verschafft und zu verschaffen versucht hat, erst mit 1. März 2007 in Kraft getreten sind (vgl zur Weiterbildungsverordnung orale Substitution: § 9 Abs 1 dieser Verordnung, BGBl II 2006/449, und zu §§ 23a ff der Suchtgiftverordnung: § 35 Abs 5 dieser Verordnung, BGBl II 2006/451). Mit Blick auf die erst ab März 2007 an Werner P***** überlassene Suchtgiftmenge von 281.250 mg Morphin (US 5), die schon für sich die Grenzmenge des § 28b SMG (10 g Morphin; vgl den Anhang zur Suchtgiftverordnung Punkt 1) um weit mehr als das Fünfundzwanzigfache übersteigt (vgl dazu RIS-Justiz RS0117464, wonach § 28a Abs 4 Z 3 SMG eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz - vergleichbar dem für wert- und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB - darstellt), bestand insoweit keine Veranlassung zu einer amtswegigen Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz (erster Fall) StPO.
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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