OGH 14Os28/13v

OGH14Os28/13v9.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer in der Strafsache gegen Reinhard H***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 20. November 2012, GZ 37 Hv 109/12d-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhard H***** jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II), der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV) sowie je eines Vergehens und eines Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (VI/1) und nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall StGB (VI/2) schuldig erkannt.

Danach hat er in M***** und anderen Orten

(I) von Anfang 2007 bis September 2009 Carina H***** wiederholt mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er jeweils ihre Beine auseinander zwängte, sich auf sie legte und ungeachtet ihrer Gegenwehr seinen Penis in ihre Scheide einführte;

(II) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, indem er

1) zwischen Juni und August 2011 den Penis des am 9. Jänner 2005 geborenen Bastian H***** intensiv betastete und

2) im März 2012 die Brüste der am 16. September 1998 geborenen Michelle O***** betastete;

(III) von Juni bis August 2011 Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor seinem am 9. Jänner 2005 geborenen Sohn Bastian H*****, der zudem seiner Erziehung, Ausbildung und Aufsicht unterstand, vorgenommen, um dadurch sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er in dessen Anwesenheit

1) Filme mit pornografischem Inhalt betrachtete und sich dabei selbst befriedigte und

2) mit einer unbekannten Frau den Oralverkehr durchführte;

(IV) durch die zu II/1 geschilderte Tathandlung an seinem minderjährigen Sohn eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

(VI) eine längere Zeit hindurch gegen andere Personen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

1) Carina H***** vom 1. Juni 2009 bis April 2011 zumindest zwei bis drei Mal pro Woche Stöße gegen den Körper versetzte, wodurch sie gegen Mauern oder Türstöcke prallte und Hämatome am Körper erlitt und

2) seinen unmündigen Sohn Bastian H***** vom 1. Juni 2009 bis Ende 2009 in zahlreichen Angriffen am Genick packte, ihn festhielt und ihm Schläge auf das Gesäß versetzte, wodurch dieser Hämatome am Gesäß und im Genick erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Widersprüchlich sind zwei Aussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen nicht nebeneinander bestehen können. Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 437).

Der von der Mängelrüge angesprochene Widerspruch zwischen dem - den Tatzeitraum 2008 umfassenden - Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis zum Schuldspruch I (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und dem - den ursprünglichen Anklagevorwurf I/1 wiedergebenden - Urteilssatz des Freispruchs I/1 („... im Jänner 2008 ...“; US 5), für den das Gesetz einen bestimmten Inhalt gar nicht vorschreibt (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 1), ist einer Anfechtung aus dem in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund entzogen.

Davon abgesehen betrifft der Freispruch I/1 unmissverständlich (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) bloß den gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, dass die Schwangerschaft des Tatopfers Folge einer der ihm angelasteten Vergewaltigungen im Jänner 2008 war (US 7 und 24). Solcherart wurde gerade nicht inhaltlich über den (teilweise) bereits vom Schuldspruch I erfassten Sachverhalt erneut abgesprochen, somit kein contrarius actus zu dem zugleich ergangenen Schuldspruch gesetzt, sondern ein unzulässiger Qualifikationsfreispruch gefällt, der zwar rechtlich verfehlt, aber prozessual bedeutungslos ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523, 563; § 288 Rz 21; § 293 Rz 15).

Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer insoweit einer gleichartigen Verbrechensmenge pauschal individualisierter Taten schuldig erkannt wurde, womit die mit dem Vorbringen angestrebte Annahme eines kürzeren Tatzeitraums, mit anderen Worten eine Reduktion der - vorliegend gar nicht konkret bestimmten (US 2, 7) - Anzahl der deliktischen Übergriffe, weder den Schuldspruch noch die Subsumtion einer begangenen Tat in Frage stellt (RIS-Justiz RS0116736; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33).

Weshalb ein „massiver Widerspruch“ der Entscheidungsgründe vorliegen sollte, weil darin ausgeführt wird, dass Carina H***** „in Phasen zwischen derartigen Übergriffen einverständlich Geschlechtsverkehr durchführte“, ist nicht nachvollziehbar.

Aus welchen Gründen die Tatrichter den Aussagen der Genannten teilweise folgten, ihre Behauptungen, wonach es während der zweijährigen Ehe mit dem Angeklagten niemals zu freiwilligen sexuellen Kontakten kam und sie auch - in besonders erniedrigender Weise - zum Oralverkehr gezwungen wurde, demgegenüber für unglaubwürdig hielten, wurde ausführlich dargelegt (US 12 ff). Entgegen dem Rechtsmittelstandpunkt begründet die - wie hier logisch und empirisch fehlerfrei begründete - Annahme einer bloß partiellen Glaubwürdigkeit von Zeugen keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO (RIS-Justiz RS0098372).

Beweisregeln, wie sie die Beschwerde mit dem Einwand „absolut unzulässiger“ Berücksichtigung der Aussagen des Zeugen „vom Hörensagen“, Christian S*****, anspricht, sieht das Gesetz nicht vor (§ 258 Abs 2 StPO).

Soweit mit der Kritik am Fehlen von Feststellungen dazu, dass der Genannte „der Verursacher des strafrechtlich relevanten Ehebruchs mit Carina H***** ist“, Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Beurteilung seiner Angaben als glaubwürdig (US 15) angesprochen werden soll, unterlässt die Beschwerde die erforderliche Bezeichnung insoweit übergangenen Beweismaterials und verfehlt zudem den - nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gelegenen - Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431 f).

Inwiefern die Depositionen dieses Zeugen in (im Sinn der Z 5 zweiter Fall erörterungspflichtigen) Widerspruch zu jenen der Carina H***** stehen sollen, wird nicht dargelegt.

Die Tatrichter leiteten die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen betreffend die Schuldsprüche I und VI/2 sowie - deutlich genug auch - VI/1 (vgl dazu US 14 f) im Wesentlichen aus den insoweit für verlässlich erachteten Angaben der Zeugin Carina H***** im Verein mit jenen ihres jetzigen Lebensgefährten Christian S***** und der Aussage des Bastian H***** ab (US 12 ff, 15), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist.

Entgegen der Beschwerdebehauptung (nominell auch Z 10, der Sache nach nur Z 5 vierter Fall) hat Letztgenannter anlässlich seiner kontradiktorischen Vernehmung ebenso ausgesagt, von seinem Vater geschlagen worden zu sein (ON 13 S 9), wie Carina H***** die vom Schuldspruch VI umfassten Gewalthandlungen gegen sie selbst und den gemeinsamen Sohn im Ermittlungsverfahren nicht nur detailliert beschrieben, sondern auch deren Häufigkeit und den Tatzeitraum urteilskonform konkretisiert hat (ON 13 S 41 ff, 53).

Die in der Beschwerde (verfehlt unter dem Aspekt der Z 5 fünfter Fall; vgl RIS-Justiz RS0099431) zitierten Urteilspassagen, wonach „sie“ „von Details sowie Intensität und Dauer“ nicht berichten konnte (US 16), beziehen sich vielmehr auf die Angaben der Zeugin Martina St***** über ihre - auf Erzählungen der Carina H***** beruhenden - Kenntnisse vom Tatgeschehen.

Indem die Rüge (gestützt auf Z 5 und 10, der Sache nach Z 5 vierter Fall) zum Schuldspruch VI/2 isoliert den Beweiswert einer in der Hauptverhandlung einverständlich vorgeführten (ON 48 S 3) Audiodatei (über ein Gespräch zwischen den Zeugen Carina, Bastian und Amanda H***** sowie Christian S*****), deren Inhalt das Erstgericht zudem bloß zur Abrundung des von Bastian H***** gewonnenen glaubwürdigen Eindrucks erwähnte (US 12; vgl dazu RIS-Justiz RS0099507), auf Basis rein spekulativer Erwägungen in Zweifel zieht, bekämpft sie bloß - hier unzulässig - die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Dass Michelle O***** im Zuge ihrer kontradiktorischen Befragung ihre ursprüngliche Aussage vor der Kriminalpolizei, wonach der Beschwerdeführer ihre nackten Brüste betastete, erst nach mehrmaligem Nachfragen bestätigte (Schuldspruch II/2), wurde - dem weiteren Beschwerdeeinwand (Z 5 fünfter Fall) zuwider - im Urteil aktenkonform dargelegt (US 18, ON 19a S 21 f). Die Rechtsmittelbehauptung, eine in der Hauptverhandlung „formell“ verlesene (vgl ON 48 S 2) Beweisaufnahme aus dem Ermittlungsverfahren (hier: das Protokoll über die Vernehmung der Genannten durch die Kriminalpolizei) dürfe im Urteil nicht berücksichtigt werden, ist nicht nachvollziehbar (§ 258 Abs 1 StPO). Dass ein einverständlicher Vortrag des entsprechenden Protokolls durch den Vorsitzenden (§ 252 Abs 2a StPO) ungeachtet der Protokollierung in der Hauptverhandlung (ON 48 S 2 und 8) nicht stattfand, wird nicht deutlich und bestimmt behauptet.

Mit dem Vorwurf unterbliebener zahlenmäßiger Festlegung der zu (I) angelasteten Taten spricht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) keinen entscheidenden Umstand an, weil diese - wie oben dargelegt - im Sinn einer gleichartigen Verbrechensmenge nur pauschal individualisiert wurden (RIS-Justiz RS0117436; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33 und 576; vgl zur Unbedenklichkeit aus Z 3: RIS-Justiz RS0119552). Soweit sie eine „Präzisierung der strafrechtlich relevanten Übergriffe im Sinn des § 201 StGB“ vermisst, übergeht sie prozessordnungswidrig die entsprechenden Urteilsannahmen (US 7, 9; RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581).

Dass Feststellungen zum Beginn angeblicher außerehelicher sexueller Kontakte der Zeugen Carina H***** und Christian S***** erforderlich gewesen wären, wird - zudem erneut ohne Hinweis auf solches indizierende Verfahrensergebnisse (vgl aber RIS-Justiz RS0118580) - bloß behauptet. Mit der daran anknüpfenden These, der Beschwerdeführer habe ohne „Kenntnis des Ehebruchs“ „einfach im Rahmen der aufrechten Ehe seine ihm zugesicherte Beistandspflicht vom Partner eingefordert“, argumentiert die Rüge erneut nicht auf Basis der Konstatierungen zur vorsätzlichen gewaltsamen Nötigung des Tatopfers zur Duldung des Beischlafs (US 7, 9) und verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt, materieller Nichtigkeit.

Der Vorwurf (Z 9 lit a), das Erstgericht habe es unterlassen festzustellen, dass die dem Schuldspruch II/1 zugrunde liegende Manipulation am Penis des Bastian H***** im Zuge der Behandlung einer Entzündung mittels einer vom Kinderarzt verschriebenen Salbe erfolgte, wird gleichfalls prozessordnungswidrig ohne jeden Hinweis auf indizierende Ergebnisse des Beweisverfahrens erhoben.

Die in diesem Zusammenhang nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) geäußerte Kritik am Unterbleiben amtswegiger Wahrheitserforschung scheitert schon an der fehlenden Behauptung, der Beschwerdeführer sei an darauf abzielender Antragstellung (hier: betreffend die [neuerliche] Befragung der Zeugin Carina H***** und die Vernehmung des Kinderarztes Dr. V*****) gehindert gewesen (RIS-Justiz RS0115823).

Das Vorbringen, es läge der Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO „bzw auch Strafaufhebungsgrund“ mangels eines „Antrags“, einer ausdrücklichen „Ermächtigung“ der Geschädigten, Carina und Bastian H*****, oder „zumindest“ einer diesbezüglichen „ausführlichen Rechtsbelehrung“ vor, ist schließlich gänzlich unverständlich (vgl im Übrigen § 516 Abs 3 StPO sowie die mit 30. April 2004 in Kraft getretene Aufhebung des § 203 Abs 1 StGB durch Art I Z 16 des Strafrechtsänderungsgesetzes 2004, BGBl I 2004/15).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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