OGH 14Os25/21i

OGH14Os25/21i27.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pauritsch im Verfahren zur Unterbringung des ***** O***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. Jänner 2021, GZ 27 Hv 17/20h‑55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00025.21I.0427.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde im zweiten Rechtsgang (zum ersten: 14 Os 94/20k) – unter

Einbeziehung des bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Ausspruchs über die Begehung von mehrfachem Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs 1 erster Fall, teilweise auch nach § 15 StGB) als Anlasstaten (ON 39; I./1./ bis 6./) – (erneut) die Unterbringung des ***** O***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

[2] Danach hat er unter dem Einfluss einer undifferenzierten Schizophrenie, sohin einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, durch die im ersten Rechtsgang zu I./2./ bis I./6./ angeführten Tathandlungen Justizwachebeamte während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben und der Erfüllung ihrer Pflichten vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht, sohin Taten begangen, die (auch) als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (US 5 und 8) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 5a, 9 lit a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen ist nicht im Recht.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3), die eine Verletzung von § 430 Abs 4 StPO darin erblickt, dass der psychiatrische Sachverständige Dr. W***** nicht während der gesamten Hauptverhandlung, insbesonders nicht während der Vernehmung des Anstaltspsychiaters Dr. R***** als Zeuge, anwesend war, wird der Sachverständige – wie hier (ON 54 S 4 f) – durch seine Vernehmung oder durch Verlesung von Befund und Gutachten nach Maßgabe des § 252 Abs 1 Z 2 und 4 StPO der Hauptverhandlung im Sinn der als verletzt erachteten Norm beigezogen. Seine Anwesenheit während der gesamten Dauer oder bestimmter „Abschnitte“ der Hauptverhandlung ist dagegen nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0101664; Danek/Mann, WK‑StPO § 241 Rz 7; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 260 mit Auseinandersetzung mit der teilweise abweichenden Meinung von Murschetz , WK‑StPO § 430 Rz 8). Im Übrigen wäre es dem Betroffenen freigestanden, den Sachverständigen im Rahmen der Gutachtenserörterung mit den Aussagen des in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen zu konfrontieren und eine entsprechende Ergänzung der Expertise zu begehren.

[5] Der Tatsachenrüge (Z 5a) gelingt es mit dem Hinweis auf eine Passage aus der Aussage des Zeugen Dr. R***** (wonach er den Eindruck hatte, O***** habe nicht nur Angst vor der Spritze gehabt, sondern „regelrecht vermeint, zu einer Hinrichtung geführt zu werden“, was ihm auch nicht auszureden gewesen sei; ON 54, S 3) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Negativfeststellungen zu einem (nicht zustandsbedingten) Irrtum über das Vorliegen einer Notwehrsituation (§ 8 StGB; US 4 f) zu wecken.

[6] Die gegen die rechtliche Unterstellung der Anlasstaten unter § 84 Abs 2 StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst Feststellungen zu einem die Qualifikationsmerkmale umfassenden Vorsatz, übergeht dabei aber prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die – in Ansehung jedes einzelnen Angriffs – gerade dazu getroffenen Konstatierungen (US 3 ff, vgl auch US 6), wobei es insoweit genügt, dass der Täter eine laienhafte Vorstellung von den hinter den normativen Tatbildmerkmalen stehenden Wertungen hat (vgl Danek/Mann in WK² StGB § 269 Rz 67 mwN).

[7] Soweit die Beschwerde (nominell gestützt auf „§ 281 Abs 1 Z 9a und 10 StPO“) die Abweisung des Einweisungsantrags anstrebt, dabei aber ausschließlich die – zur Begründung der Nichtanwendung von § 45 Abs 1 StGB herangezogene – erstgerichtliche Annahme mangelnder sozialer Integration des Betroffenen (US 8) kritisiert und insoweit einen „erheblichen Feststellungsmangel“ sowie einen Verstoß gegen das Überraschungsverbot (Z 5a; RIS‑Justiz RS0120025) behauptet, wendet sie sich inhaltlich gegen das – auf eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung der Erkenntnisquellen gestützte, nicht bloß schematisch begründete – Unterbleiben einer bedingten Nachsicht der Unterbringung und bringt solcherart nur ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0099865; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 728; Ratz in WK² StGB § 45 Rz   14). Eine Bekämpfung aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO steht im Übrigen nur in Verbindung mit dem – hier nicht geltend gemachten – ersten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS‑Justiz RS0118581; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 669).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts

zur Entscheidung über die Berufung des Betroffenen folgt (§ 285i StPO).

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