Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. März 2010, GZ 066 Hv 4/10f-54, wurde Peter B*****, der sich in diesem Verfahren von 5. September 2009 (ON 8) bis zum 23. Februar 2010 (ON 46, 48) in Untersuchungshaft befunden hatte, der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I) und der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (III) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 4 SMG zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 15. September 2010, AZ 15 Os 96/10x (ON 71), wurde die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Peter B***** zurückgewiesen.
Mit Urteil vom 15. November 2010, AZ 19 Bs 312/10m (ON 75), gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch jener des Angeklagten Folge und erhöhte die Freiheitsstrafe auf vier Jahre.
In der Begründung wurde - soweit hier wesentlich - ausgeführt, der Angeklagte zeige - neben der unter dem Aspekt des § 34 Abs 2 StGB bereits vom Erstgericht berücksichtigten „langen Frist bis zum Vorliegen des Untersuchungsberichts über den Reinheitsgehalt des verhandelten Suchtgifts (vgl ON 36)“ - „zutreffend eine im Verfahren stattgehabte Verzögerung ... in der Zustellung des am 18. März 2010 gefällten Urteils auf, das dem Verteidiger … - infolge eines offensichtlichen Organisationsfehlers (das Urteil wurde vom Richter bereits am 27. April 2010 zur Übertragung an die Schreibabteilung übermittelt, AB-Bogen ON 1) - erst am 3. Juni 2010 zukam (RS bei ON 61)“. Ausgehend von den in der Entscheidung im Einzelnen angeführten Milderungs- und Erschwerungsgründen und dem hohen sozialen Störwert der Taten erschien dem Berufungsgericht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten schuld- und unrechtsangemessen. Als Ausgleich für die anerkannte Verfahrensverzögerung gebühre dem Angeklagten jedoch deren Reduktion um zwei Monate sodass „die Freiheitsstrafe (lediglich) auf vier Jahre zu erhöhen war“ (US 4 f).
Mit seiner am 27. Dezember 2010 beim Obersten Gerichtshof (somit rechtzeitig innerhalb der sechsmonatigen Frist des Art 35 Abs 1 MRK [13 Os 135/06m, EvBl 2007, 154, 832]) eingelangten Eingabe begehrt Peter B***** - ausdrücklich gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten auf Freiheit nach Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK (durch Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen aufgrund der „viel zu langen Frist bis zum Vorliegen des Untersuchungsberichts über den Reinheitsgehalt des Suchtgifts“) sowie auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK (durch Verletzung des allgemeinen Beschleunigungsgebots in Strafsachen „lange nach der bereits erfolgten Enthaftung des Angeklagten“ aufgrund der erst etwa elf Wochen nach Verkündung erfolgten Zustellung einer Ausfertigung des „relativ einfachen und kurzen“ Urteils bei „sehr überschaubarem“ Aktenumfang) - die Erneuerung des gegen ihn geführten Strafverfahrens (§ 363a StPO).
Unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR (EGMR 10. 11. 2005, Nr 65745/01, Dzelili gegen Deutschland, NL 2005, 279) erachtet er sich darin mit der Begründung weiterhin als Opfer einer Konventionsverletzung im Sinn des Art 34 MRK, dass das Oberlandesgericht zwar die aus Art 5 MRK reklamierte Grundrechtsverletzung in der Entscheidung über seine gegen den Haftfortsetzungsbeschluss des Erstgerichts vom 7. Dezember 2009 (ON 23) gerichtete Beschwerde (ON 36) und beide Verfahrensverzögerungen in der Berufungsentscheidung festgestellt habe, im erstgenannten Beschluss jedoch überhaupt kein erkennbarer Ausgleich erfolgt sei und die mit Erneuerungsantrag angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erkennen lasse, in welchem Ausmaß die Grundrechtsverletzung nach Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und in welchem separat anzuführenden Ausmaß jene des Art 6 Abs 1 MRK ausgeglichen wurde. Zudem sei eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe um zwei Monate „überhaupt nicht spürbar“ und habe das Oberlandesgericht zudem „klar zu erkennen“ gegeben, „dass es einfach eine Strafe von vier Jahren verhängen möchte und als Lippenbekenntnis, aber nicht als notwendigen Ausgleich der Grundrechtsverletzung, nunmehr eine zu verhängen gewesene Strafe von vier Jahren und zwei Monaten (?) in den Raum stellt“.
Rechtliche Beurteilung
Der Erneuerungsantrag geht fehl:
1./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf Freiheit (Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK):
Beim Antrag nach § 363a StPO handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, weshalb in Bezug auf das Grundrecht der Freiheit das GRBG zur Anwendung gelangt, das insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regelt.
Wie der Antragsteller selbst einräumt, wurde die nunmehr aus Art 5 MRK reklamierte, bereits in der Beschwerde gegen den Haftfortsetzungsbeschluss des Erstgerichts vom 7. Dezember 2009 (ON 23) geltend gemachte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen durch die „zu lange Frist bis zum Vorliegen des Untersuchungsberichts über den Reinheitsgehalt des Suchtgifts“ (dieser war nach Übermittlung der anlässlich der Festnahme beim Beschuldigten sichergestellten Suchtmittel an das Bundeskriminalamt [ON 5 S 7] und Abschluss des Trocknungsvorgangs am 19. Oktober 2009 [ON 15] am 15. November 2009 verfasst worden, langte am 16. November 2009 bei der Kriminalpolizei, jedoch erst am 12. Jänner 2010 bei der Staatsanwaltschaft Wien ein [ON 27]) in der darüber ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 19. Jänner 2010, AZ 19 Bs 504/09w, ausdrücklich festgestellt (ON 36). Zum Ausgleich dieser Verletzung (ON 36 S 7) erteilte das Beschwerdegericht - insoweit im Erneuerungsantrag übergangen - der Staatsanwaltschaft den Auftrag, den als bevorstehend angekündigten Verfahrensschritt (Einbringung der Anklageschrift) unverzüglich vorzunehmen, welchem die Anklagebehörde am 22. Jänner 2010 entsprach (ON 31). In der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten (§ 1 Abs 1 GRBG) wurde die Konventionsverletzung nicht releviert (ON 39).
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass das Oberlandesgericht mit dem erwähnten, an die Staatsanwaltschaft gerichteten Auftrag das Verfahren konsequent und wirksam vorangetrieben hat (vgl Kier, WK-StPO § 9 Rz 28) und zudem der drohenden Gefahr einer Unangemessenheit der (seit Inhaftierung des Beschwerdeführers am 2. September 2009 andauernden) Haft durch deren - ausdrücklich bloß aufgrund der vom Beschwerdegericht festgestellten Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen erfolgte (ON 48) - Beendigung am 23. Februar 2010 begegnet wurde (ON 46).
2./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK):
Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass für den subsidiären Rechtsbehelf eines nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrags alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß gelten (RIS-Justiz RS0122737; vgl auch § 1 Abs 1 GRBG). So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention³ § 13 Rz 19, 31; 12 Os 125/08m).
Hieraus folgt für die Fälle, in denen die Sanktionsfrage betreffende Umstände in Rede stehen, die nicht bloß in den Bereich der Berufung fallen (solche können nicht mit Erneuerungsantrag ohne vorherige Anrufung des EGMR geltend gemacht werden; RIS-Justiz RS0125371), dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Sanktionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 11, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 erster SatzStPO) geltend gemacht worden sein muss (zur Möglichkeit der Geltendmachung von Konventionsverstößen mittels Sanktionsrüge vgl ausführlich Ratz, WK-StPO § 281 Rz 86, 724; 11 Os 106/09m [11 Os 108/09f]; 12 Os 160/08h [12 Os 180/08z]; aber auch 12 Os 119/06a). Im kollegialgerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung darüber in die Kompetenz des Obersten Gerichtshofs fällt, steht damit dessen neuerlicher Anrufung mittels Erneuerungsantrag die Zulässigkeitsbeschränkung des § 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegen, weil der Antrag solcherart „im Wesentlichen“ mit einer schon vorher durch ihn geprüften „Beschwerde“ übereinstimmt. Wurde eine Nichtigkeitsbeschwerde hinwieder gar nicht erhoben oder ein entsprechendes Vorbringen darin unterlassen, fehlt es schon deshalb an der Zulässigkeitsvoraussetzung der Rechtswegausschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK; vgl erneut RIS-Justiz RS0122737).
Geltendmachung der im Erneuerungsantrag reklamierten Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK verankerten Grundrechts mit Nichtigkeitsbeschwerde war dem Antragsteller hier nicht möglich, weil Gegenstand der Sanktionsrüge Befugnisüberschreitung (Z 11 erster Fall) und durch das Schöffengericht begangene Rechtsfehler bei der Ermessensentscheidung der Strafbemessung (Z 11 zweiter und dritter Fall; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 662 ff) sind, die behauptete Verfahrensverzögerung aber erst bei Urteilsausfertigung - also nach dem hiefür maßgeblichen Zeitpunkt - erfolgte.
Während aber § 34 Abs 2 StGB keine Ausschöpfung des Rechtswegs erfordert, bedarf es zur Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 Abs 1 MRK bei Reklamation unangemessener Verfahrensdauer mittels Erneuerungsantrags zusätzlich - vorliegend nicht erfolgter - vorheriger Einbringung eines Fristsetzungsantrags nach § 91 GOG, wenn ein solcher - wie hier - wirksam Abhilfe gegen die Verzögerung verspricht (12 Os 125/08m, EvBl 2009/49, 325; 15 Os 22/08m jeweils mwN).
Einem Erfolg des Erneuerungsantrags steht demgemäß gleichwohl mangelnde Rechtswegausschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK) entgegen (12 Os 125/08m, EvBl 2009/49, 325; 15 Os 22/08m mwN), ohne dass es eines Eingehens auf die Frage des Verlusts der Opfereigenschaft bedurfte.
Der Erneuerungsantrag des Peter B***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und Z 3 StPO).
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