OGH 14Os171/96 (14Os172/96, 14Os173/96)

OGH14Os171/96 (14Os172/96, 14Os173/96)26.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E.Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pösinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Satzund § 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil und den Beschluß (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 18. April 1996, GZ 6 Vr 265/96-25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten Michael S***** und seines Verteidigers Mag. Steiner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz ist verletzt worden

I. durch das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. April 1996, GZ 6 Vr 265/96-25,

1. infolge des Schuldspruches des Michael S***** wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (Punkt V) in der Bestimmung des § 267 StPO;

2. infolge der gesonderten rechtlichen Beurteilung der unter Punkt IV/a beschriebenen Tat des Michael S***** als Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB in der Bestimmung des § 29 StGB;

II. durch den unter einem ergangenen Beschluß auf Widerruf der bedingten Nachsicht des über Michael S***** mit dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. September 1992, GZ 35 E Vr 1.234/92-11, verhängten Strafteiles von sechs Monaten Freiheitsstrafe in dem aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung abzuleitenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Es werden

I. das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. April 1996, GZ 6 Vr 265/96-25, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Michael S***** wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (Punkt V) und demzufolge auch in dem ihn betreffenden Strafausspruch (jedoch mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung);

II. der unter einem ergangene Widerrufsbeschluß (zur Gänze)

aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Michael S***** wird wegen der ihm nach den unberührt gebliebenen Teilen des Schuldspruchs zur Last liegenden strafbaren Handlungen nach §§ 28 Abs 1, 130 zweiter Strafsatz StGB zu 18 (achtzehn) Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Gemäß § 53 Abs 1 StGB (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) werden widerrufen:

1. die bedingte Nachsicht des über Michael S***** mit dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. November 1991, GZ 35 Vr 1964/91-19, verhängten Strafteils von dreizehn Monaten Freiheitsstrafe;

2. die bedingte Entlassung des Michael S***** aus der über ihn mit dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 7. Juni 1994 (rk seit 19. September 1994), GZ 35 Vr 537/94-75, verhängten Freiheitsstrafe (Strafrest zwei Monate und zwei Tage).

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Nachsicht des über Michael S***** mit dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. September 1992, GZ 35 E Vr 1.234/92-11, verhängten Strafteils von sechs Monaten Freiheitsstrafe wird abgewiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte Michael S***** auf die vorstehenden Entscheidungen verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen rechtskräftigen Schuldspruch gegen einen Mitangeklagten enthaltenden - Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. April 1996, GZ 6 Vr 265/96-25, wurde der am 17. Oktober 1975 geborene Michael S***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Satzund § 15 StGB (Punkt I) sowie der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Punkte II und III), des Diebstahls nach § 127 StGB (Punkt IV/a), der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (Punkt IV/b), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (Punkt IV/c) und des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (Punkt V) schuldig erkannt.

Unter einem wurde gemäß § 53 Abs 1 StGB (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO) die bedingte Nachsicht (ua auch) des mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. September 1992, GZ 35 E Vr 1.234/92-11, über Michael S***** verhängten Strafteiles (§ 43 a Abs 2 StGB) von sechs Monaten Freiheitsstrafe widerrufen.

Der Schuldspruch erwuchs in Rechtskraft. Gegen den Strafausspruch und den Widerrufsbeschluß ergriff der Angeklagte Berufung bzw Beschwerde, worüber vom Oberlandesgericht Graz noch nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl das Urteil als auch der Widerrufsbeschluß des Landesgerichtes Graz vom 18. April 1996, GZ 6 Vr 265/96-25, stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Im Punkt V des Urteils wurde Michael S***** schuldig erkannt, am 21. Juli 1995 in Spittal/Drau den PKW der Marke Subaru Leone mit dem Kennzeichen G*****, sohin ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung des Berechtigten Franz O***** in Gebrauch genommen und dadurch am Fahrzeug einen Schaden von 30.000 S verursacht zu haben.

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem einbezogenen Akt des Bezirksgerichtes Spittal/Drau, AZ 5 U 456/95 (= ON 19).

In der Hauptverhandlung vom 18. April 1996 wurde der Inhalt dieses Aktes vorgetragen und protokolliert, daß sich der Angeklagte des ihm angelasteten Vergehens im Sinne der "bereits vom Bezirksanwalt beantragten Bestrafung nach § 136 Abs 1 StGB" schuldig fühle (S 223). Hiebei wurde allerdings übersehen, daß der Bezirksanwalt noch gar keinen Bestrafungsantrag gestellt, vielmehr lediglich Vorerhebungen beantragt hatte.

Nach Schluß des Beweisverfahrens wurde vom Anklagevertreter Schuldspruch und Bestrafung lediglich "im Sinne der Anklageschrift" beantragt (S 229). Eine Ausdehnung der Anklage (§ 263 StPO) wegen des unbefugten Gebrauchs des in ON 19 bezeichneten Fahrzeuges ist nicht erfolgt. Mit seinem insoweit dennoch gefällten Schuldspruch ging der Gerichtshof sohin über die Anträge des Anklägers hinaus, an die er gemäß § 267 StPO gebunden war, und hat damit die Anklage überschritten (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO).

Weiters wurde durch den vom Schuldspruch wegen Diebstahlsverbrechens (Punkt I) gesonderten Schuldspruch auch wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (Punkt IV/a) der Zusammenrechnungsgrundsatz des § 29 StGB verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung - von der abzugehen der Oberste Gerichtshof keinen Anlaß findet - wird aus dieser Bestimmung abgeleitet, daß alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen und jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein, zu einer Subsumtionseinheit zusammenzufassen sind. Daher war die getrennte Annahme eines Vergehens des Diebstahls neben einem Verbrechen des Diebstahls unzulässig, wenngleich dies dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht hat (Leukauf/Steininger StGB3 § 29 RN 6 mwN; vgl allerdings die Kritik an der Auslegung des Zusammenrechnungsgrundsatzes von Hockl "Deliktseinheit oder -mehrheit bei Zusammenrechnung gemäß § 29 StGB ?" in JBl 1996, 560 und von Schmoller in JBl 1996, 737 Glosse

I).

Aber auch jener Teil des Widerrufsbeschlusses, mit dem die bedingte Nachsicht eines Strafteiles von sechs Monaten aus dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. September 1992, GZ 35 E Vr 1.234/92-11, widerrufen wurde, ist gesetzwidrig.

Das Gericht hat nämlich übersehen, daß im erwähnten Verfahren des Landesgerichtes Linz bereits mit rechtskräftigem Beschluß vom 16. Jänner 1996 (ON 27) die endgültige Nachsicht dieses Strafteiles ausgesprochen worden war. Dieser Beschluß erging zwar verfrüht und war daher seinerseits gesetzwidrig, weil dabei die vorangegangene Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 19. September 1994, AZ 8 Bs 323,324/94 (= GZ 35 E Vr 1.234/92-22 des Landesgerichtes Linz), mißachtet wurde, womit vom Widerruf der bedingten Nachsicht dieses Strafteiles abgesehen, die Probezeit jedoch auf fünf Jahre verlängert worden, also am 16. Jänner 1996 noch längst nicht abgelaufen war. Dessenungeachtet entfaltete jedoch der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 16. Jänner 1996 die aus der materiellen Rechtskraft erfließende Bindungswirkung, und als den Angeklagten begünstigende Entscheidung kann er auch nicht mehr beseitigt werden (Leukauf-Steininger StGB3 § 43 RN 18; § 292 vorletzter Satz StPO).

Dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. April 1996 ist somit wegen entschiedener Sache die rechtliche Grundlage entzogen.

Die Verurteilung wegen des Vergehens nach § 136 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (Punkt V) und der Widerruf der im Verfahren AZ 35 E Vr 1.234/92 des Landesgerichtes Linz gewährten Strafnachsicht haben sich zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt und waren daher zu kassieren (§ 292 letzter Satz StPO). Da davon der Strafausspruch mitbetroffen ist, war auch der darauf beruhende Widerrufsbeschluß (zur Gänze) aufzuheben.

Bei der somit notwendig gewordenen Strafneubemessung waren das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen, drei einschlägige Vorverurteilungen und der 25.000 S übersteigende Diebstahlsschaden (der wegen der festgestellten Verletzung des § 29 StGB nicht zur Annahme der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB geführt hat) erschwerend; mildernd hingegen das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren, sein umfassendes und reumütiges Geständnis, und daß es teilweise beim Versuch geblieben ist.

Unter angemessener Berücksichtigung der auf Grund der gleichzeitigen Widerrufsentscheidung zu verbüßenden früheren Unrechtsfolgen (vgl Foregger StPO MTA9 Anm III zu § 494 a, 14 Os 107,108/96 ua) entspricht eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Monaten der unrechtsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB).

Weil der Angeklagte der ihm gegenüber in der Vergangenheit mehrfach und großzügig angewendeten Rechtswohltaten ungeachtet alsbald wieder massiv rückfällig geworden ist, erscheint nunmehr der Vollzug des noch in Schwebe befindlichen Strafteiles bzw Strafrestes zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung geboten, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB).

Die teilweise Abweisung des Widerrufsantrages der Staatsanwaltschaft ist in der aufgezeigten Verletzung der materiellen Rechtskraft des Beschlusses auf endgültige Strafnachsicht vom 16. Jänner 1996 begründet.

Durch die Strafneubemessung und die reformatorische Widerrufsentscheidung sind die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten gegenstandslos.

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