OGH 14Os16/23v

OGH14Os16/23v25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * D* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * H* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. November 2022, GZ 71 Hv 107/22g‑79, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, des Angeklagten H*, seiner Verteidigerin Mag. Irnleitner sowie der Verteidiger der Angeklagten D* und * P*, Mag. Gaj und Dr. Kresbach, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00016.23V.0425.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * H* wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Strafaussprüchen der Angeklagten * D*, * H* und * P* (einschließlich der die Angeklagten D* und P* betreffenden Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Es werden für die ihnen nach dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. November 2022 (ON 79) zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich

* D* und * H* jeweils für das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, „§ 15 StGB“ (A) und

* P* für die Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/II) und nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B),

jeweils nach § 28a Abs 4 SMG

* D* zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten,

* H* unter Anwendung des§ 39 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten und

* P* unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die von den Angeklagten * D* und * P* je vom 21. August 2022, 14:07 Uhr, bis zum 29. November 2022, 11:30 Uhr, erlittene Vorhaft auf deren Freiheitsstrafen angerechnet.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte * H* auf die Strafneubemessung verwiesen.

Diesem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * D* und * H* je des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, „§ 15 StGB“ (A) sowie * P* der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/II) und nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich Crystal Meth (mit einem Reinheitsgehalt von 75,86 % Methamphetamin),

A/ in W* einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts

I/ überlassen, und zwar am 29. Juli 2022 * D* und * H* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) ein Gramm brutto und

II/ zu überlassen versucht, und zwar am 21. August 2022 D*, H* und * P* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) 2.096,5 Gramm brutto (darin enthalten 1.503 Gramm Methamphetamin Reinsubstanz) sowie

B/ von der Tschechischen Republik ausgeführt und nach Österreich eingeführt, und zwar am 21. August 2022 P* das von A/II umfasste.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Nach den (für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde relevanten) Urteilskonstatierungen (US 7 f) fassten H* und D* – mit der entsprechenden subjektiven Tatseite (US 9, 12) – den Entschluss, Suchtgift, nämlich Crystal Meth mit dem Wirkstoff Methamphetamin, in einer das 25-Fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge in W* zu verkaufen. In Umsetzung dieses Tatplans kam es am 29. Juli 2022 zu einem ersten Treffen der beiden mit einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts, bei dem eine Probe von einem Gramm brutto Crystal Meth übergeben wurde (A/I). Weiters wurde der Ankauf von zwei Kilogramm dieses Suchtgifts in Aussicht genommen, wobei in der Folge am 21. August 2022 sukzessive in vier Tranchen zu je 500 Gramm die Übergabe von insgesamt 2.096,5 Gramm brutto Crystal Meth (enthaltend 1.503 Gramm Reinsubstanz Methamphetamin) an den verdeckten Ermittler erfolgen sollte. Die erste Teilmenge von 500 Gramm brutto Crystal Meth überreichten H* und D* diesem in einem Fahrzeug, während P* tatplangemäß in unmittelbarer Nähe mit dem restlichen Suchtgift wartete. Der verdeckte Ermittler überprüfte das Suchtgift, gab vor, den ersten Bargeld-Teilbetrag zu holen, verließ das Fahrzeug (ohne das Suchtgift) und löste in der Folge den Zugriff aus (A/II).

[5] Ausgehend davon bildet die – in kurzer zeitlicher Abfolge bei konstatierter einheitlicher Motivationslage erfolgte – Überlassung der tatverfangenen Suchtgiftmenge (A/I und II) eine tatbestandliche Handlungseinheit (zur Rechtsfigur 13 Os 1/07g [verst Senat]; RIS-Justiz RS0122006, RS0127374, RS0120233; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89).

[6] Indem die (sich ausdrücklich nur auf A/I, sohin auf einen einzelnen Teilakt beziehende) Rüge (nominell Z 11) das Vorliegen absoluter Versuchsuntauglichkeit (§ 15 Abs 3 StGB) zufolge Suchtgiftübergabe an einen verdeckten Ermittler releviert, vernachlässigt sie prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) die eingangs angeführten Konstatierungen, wonach der Angeklagte H* zu A/II weitere, von einem einheitlichen Willensentschluss getragene Teilakte setzte. Mit der Bekämpfung bloß einer Ausführungshandlung, die die rechtliche Beurteilung nicht tangiert, spricht sie keine entscheidende Tatsache an (vgl erneut RIS-Justiz RS0127374; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 521; Bauer/Plöchl in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 34/1).

[7] Mit Blick auf § 290 StPO bleibt anzumerken, dass ein absolut untauglicher Versuch im Sinn des § 15 Abs 3 StGB nur dann vorliegt, wenn die Verwirklichung der angestrebten strafbaren Handlung auf die vorgesehene Art bei generalisierender Betrachtung, somit losgelöst von Besonderheiten des Einzelfalls, geradezu denkunmöglich ist und demzufolge unter keinen wie immer gearteten Umständen erwartet werden kann (RIS-Justiz RS0115363 [T1]; zur Überlassung von Suchtgift an verdeckte Ermittler siehe zudem RIS-Justiz RS0089787 [T1] und RS0112911).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H* war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

[9] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass dem Ersturteil in Bezug auf die Strafaussprüche aller Angeklagten nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO anhaftet, die nicht nur zum Nachteil des Angeklagten H*, sondern unbekämpft auch zum Nachteil der Angeklagten D* und P* wirkt und daher alle Angeklagten betreffend von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[10] Denn zum Schuldspruch A/ ging das Erstgericht zwar (grundsätzlich in Recht; vgl erneut RIS‑Justiz RS0112911) davon aus, dass das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (in Bezug auf A/II, richtig aber zufolge vollendetem Überlassen von bloß einem Gramm Crystal Meth insgesamt) im Entwicklungsstadium des Versuchs (§ 15 StGB) verwirklicht worden ist (US 3 f, 13), stellte diesen Umstand aber – entgegen § 34 Abs 1 Z 13 StGB – keinem der Angeklagten mildernd in Rechnung (US 14 f; RIS-Justiz RS0122137; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 712).

[11] Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Strafaussprüche wie aus dem Spruch ersichtlich und zur Neubemessung der Strafen durch den Obersten Gerichtshof (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

[12] Dabei war – jeweils nach § 28a Abs 4 SMG – bei den Angeklagten D* und P* (bei Letztgenanntem unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) von einem Strafrahmen von 1 bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, beim Angeklagten H* (unter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB; US 5 f) von einem solchen von 1 bis zu 20 Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[13] Erschwerend waren beim Angeklagten P* das Zusammentreffen von zwei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), beim Angeklagten D* eine, beim Angeklagten H* elf auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Verurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und bei Letztgenanntem zudem der rasche Rückfall (nach dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG am 10. Mai 2022 [US 6]; RIS-Justiz RS0091041). Mildernd hingegen waren bei den Angeklagten D* und H* das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB [US 10 f]), beim Angeklagten P* der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und bei allen Angeklagten der Umstand, dass es zum Schuldspruch A/ beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).

[14] Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) sowie mit Blick auf die im Rahmen allgemeiner Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) zu Gunsten sämtlicher Angeklagten zu berücksichtigende Sicherstellung des Suchtgifts (US 8; vgl Ebner in WK2 StGB § 34 Rz 33) sowie die hinsichtlich aller Angeklagten aggravierend ins Kalkül zu ziehende vielfache Überschreitung der Grenzmenge des § 28a Abs 4 Z 3 SMG (RIS-Justiz RS0091126 [T7]) und die dem Angeklagten H* anzulastende Tatbegehung während einer offenen Probezeit (US 6; RIS-Justiz RS0090597), erweisen sich auf der Grundlage der Schuld der Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannten Freiheitsstrafen als angemessen.

[15] Die Gewährung bedingter Nachsicht der gesamten oder eines Teils der Strafe (§ 43 Abs 1, § 43a Abs 4 StGB) kommt schon infolge der Höhe der verhängten Freiheitsstrafen nicht in Betracht.

[16] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten gründet auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.

[17] Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 StPO der Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden (RIS-Justiz RS0091624; Lässig, WK-StPO § 400 Rz 1).

[18] Mit seiner Berufung war der Angeklagte H* auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[19] Der den Angeklagten H* betreffende Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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