European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0140OS00142.9300000.0921.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
I. Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Agim K* wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage A und das darauf beruhende Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch im den Angeklagten Agim K* betreffenden Strafausspruch (einschließlich der bezüglichen Vorhaftanrechnung) werden aufgehoben und die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
II. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Agim K* auf die zu Punkt I getroffene Entscheidung verwiesen.
III. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilaz K* wird zurückgewiesen.
IV. Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Ilaz K* werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
V. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Ilaz K* die seine Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Agim K* und Ilaz K* auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen (zu 2) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 (Abs. 1), 143, zweiter Fall, StGB, Agim K* außerdem (zu 1) des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Darnach haben am 31.Juli 1992
(zu 1) in Wien Agim K* den Kemal A* dadurch getötet, daß er ihm mit einem Messer mit etwa 15 cm Klingenlänge zwei Stiche in die linke seitliche obere Brustwand und zwei weitere Stiche in den linken Oberbauch versetzte;
(zu 2) in Bratislava Agim K* und Ilaz K* "im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Othmar (richtig: Otmar) G* durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Dolches mit etwa 25 cm langer Klinge, mit dem Vorsatz, durch die Sachzueignung sich unrechtmäßig zu bereichern, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von 2.900 S, abgenötigt, indem sie ihn als Lenker des Taxis mit dem polizeilichen Kennzeichen W 6309 TX auf der Fahrbahn des inneren Gürtels anhielten, sodann, dem Tatplan entsprechend, sich mit dem Taxi nach Bratislava fahren ließen, Agim K* Otmar G* aufforderte, in einer nicht beleuchteten Straße anzuhalten, Ilaz K* hierauf dem Agim K*, der am Beifahrersitz saß, einen Dolch übergab, welchen Agim K* dem Otmar G* mit der Aufforderung, alles Geld herzugeben, an die Kehle ansetzte, worauf Otmar G* dem Agim K* 2.900 S aushändigte und Agim K* sodann von dieser Beute dem Ilaz K* 1.200 S übergab".
Die Geschworenen hatten die den Angeklagten Agim K* betreffende Hauptfrage A nach Mord und die hinsichtlich beider Angeklagten wegen schweren Raubes gestellten Hauptfragen B und C jeweils stimmeneinhellig bejaht, die zu den Hauptfragen gestellten Zusatzfragen (18 h, 30 m und 33 n) nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB), ferner nach Notwehr, Putativnotwehr sowie Notwehr‑ und Putativnotwehr‑Überschreitung aus asthenischem Affekt (Zusatzfragen 5 a, 6 b, 10 d und 14 f) hingegen jeweils stimmeneinhellig verneint; die außerdem gestellten Eventualfragen blieben demzufolge unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die Angeklagten bekämpfen diesen Schuldspruch ‑ Agim K* der Sache nach nur jenen wegen Mordes ‑ mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden, wobei Agim K* die Gründe nach Z 5, 8 und 10 a, Ilaz K* hingegen nach Z 4 und 10 a des § 345 Abs. 1 StPO geltend macht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Agim K*
Der Beschwerde dieses Angeklagten kommt bereits Berechtigung zu, soweit sie unter Relevierung des Nichtigkeitsgrundes nach § 345 Abs. 1 Z 8 StPO die Rechtsbelehrung zur Eventualfrage III (wegen des Verbrechens nach §§ 83, 86 StGB) als unrichtig rügt.
Gemäß § 321 StPO muß die (vom Vorsitzenden nach Beratung mit den übrigen Mitgliedern des Schwurgerichtshofes zu verfassende) Rechtsbelehrung ‑ für jede Frage gesondert ‑ eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt‑ oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen.
Vorliegend war die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage A (nach Mord) und der Eventualfragen I (nach Totschlag) und II (nach absichtlicher schwerer Körperverletzung) zu beantwortende Eventualfrage III darauf gerichtet, ob der Angeklagte Agim K* das Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83, 86 StGB begangen hat. Bei diesem Verbrechen handelt es sich um kein eigenes Delikt, sondern um eine Erfolgsqualifikation der Körperverletzung nach § 83 StGB; Voraussetzung für die Anwendung ist daher die Verwirklichung des Grundtatbestandes des § 83 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB (Leukauf‑Steininger Komm.3 § 86 RN 1).
Die das bezeichnete Verbrechen betreffende Rechtsbelehrung (vgl. deren Seiten 10‑12) gibt indes ‑ worauf die Instruktionsrüge (Z 8) zutreffend hinweist ‑ als Grundtatbestand ausschließlich den Deliktsfall nach § 83 Abs. 2 StGB wieder, wonach insoweit tatbildlich handelt, wer einen anderen am Körper mißhandelt und ihn dadurch am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Dafür ist zum einen (zumindest bedingter) Mißhandlungsvorsatz erforderlich; in bezug auf die hier aktuelle Todesfolge darf jedoch nur Fahrlässigkeit vorliegen (§ 7 Abs. 2 StGB). Völlig unerörtert blieb allerdings, daß der bezügliche Grundtatbestand (vor allem) auch dadurch verwirklicht werden kann, daß der Täter einen anderen auf welche Weise immer am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, wobei (zumindest bedingter) Verletzungsvorsatz erforderlich ist; das heißt der Täter muß es zumindest ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, daß er einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Bloßer Mißhandlungsvorsatz genügt für diesen Deliktsfall nicht (Leukauf‑Steininger aaO § 83 RN 2, 4, 13 f, 16 ff).
Die von der Beschwerde der Sache nach gerügte Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung kommt deren Unrichtigkeit im Sinn des relevierten Nichtigkeitsgrundes gleich, weil die in Rede stehende Fehlerhaftigkeit angesichts der hier aktuellen Tathandlungen (mehrmalige Stichführung mit einem Messer gegen die linke Brustwand und den Oberbauch) zu Mißverständnissen der Geschworenen hinsichtlich der gesetzlichen Merkmale der der bezüglichen Eventualfrage (III) zugrundeliegenden strafbaren Handlung und zu einer irrigen Auslegung der darin enthaltenen Ausdrücke des Gesetzes dahin Anlaß geben konnte, daß beim Versetzen von Messerstichen (ab einer gewissen Intensität) von einer Verwirklichung des (Grund‑)Tatbestandes nach § 83 Abs. 2 StGB nicht (mehr) gesprochen werden und das Delikt der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang schon deshalb nicht in Frage kommen könne.
Die aufgezeigte Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung verwirklicht den (absoluten) Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO. Sie zwingt zur Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen zur Hauptfrage A und des darauf beruhenden Schuldspruchs des Angeklagten Agim K* wegen Mordes zu Punkt 1 des Urteilssatzes sowie zur Anordnung der Verfahrenserneuerung in diesem Umfang, ohne daß auf die zu diesem Schuldspruch erhobenen weiteren Einwände eingegangen zu werden braucht.
Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Agim K* war daher gemäß §§ 285 e, 344 StPO schon in nichtöffentlicher Beratung Folge zu geben.
Mit seiner Berufung war er auf diese Entscheidung zu verweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilaz K*
Der Beschwerdeführer erblickt den Verfahrensmangel (Z 4) unter analoger Bezugnahme auf die Vorschrift des § 250 StPO darin, daß ihm als der deutschen Sprache nicht mächtigen "Kosovoalbaner" - weshalb der Hauptverhandlung ein Dolmetscher beigezogen worden war ‑ die Aussage des als Zeugen vernommenen Taxilenkers Otmar G* nicht übersetzt und ihm nach Beendigung der (zwar in seiner Gegenwart erfolgten) Einvernahme auch nicht der wesentliche Teil dieser Aussage vorgehalten worden sei.
Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten ist zwar grundsätzlich das gesamte mündliche Vorbringen in der Hauptverhandlung (dem Sinn nach) durch Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache zugänglich zu machen (EvBl. 1987/165 = JBl. 1988/56; EvBl. 1972/139). Allfällige Verstöße gegen die Verbindlichkeit der vollständigen und sinngemäßen Übersetzung der Verhandlungsergebnisse für sich allein vermögen jedoch keine Nichtigkeit im Sinn der Z 4 des § 345 Abs. 1 StPO zu bewirken. Hinzu kommt, daß es dem Verteidiger freistand, von seinem Fragerecht (§ 249 Abs. 1 StPO) Gebrauch zu machen und auf eine ihm notwendig erscheinende ergänzende Information des Angeklagten hinzuwirken. Eine allfällige Beeinträchtigung der Verteidigung (ua) durch Beschränkung des Fragerechtes hätte sodann nach Einholung eines (abweisenden) Zwischenerkenntnisses des Schwurgerichtshofes (§§ 238, 302 Abs. 1 StPO) unter dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 5 StPO geltend gemacht werden können (vgl. auch EuGRZ 1993, S 290 ff).
Als nicht berechtigt erweist sich auch die Tatsachenrüge (Z 10 a) des Angeklagten Ilaz K*, mit welcher er unter Hinweis auf seine (leugnende) Verantwortung, auf die Angaben seines Bruders (des Erstangeklagten) und auf Widersprüche in der Aussage des Zeugen G* erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen in bezug auf seine Tatbeteiligung getroffenen "im übrigen in keinster Weise näher ausgeführten" Tatsachenfeststellungen geltend macht.
Zunächst kommt es bei der Überprüfung einer Tatsachenrüge nicht auf die Stichhältigkeit der von den Geschworenen deklarierten Erwägungen (§ 331 Abs. 3 StPO) an, sondern ausschließlich darauf, ob sich für den Obersten Gerichtshof selbst aus den damit relevierten Verfahrensergebnissen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der dem Verdikt zugrundeliegenden Beweiswürdigung ergeben. Die vom Beschwerdeführer in Abrede gestellte Beteiligung an der Raubtat wurde vom Tatopfer im Vorverfahren (S 75 ff, 363 f/I) und in der Hauptverhandlung (vgl. insbesondere S 325, 326/II) im Kern (Anwesenheit beider Angeklagten im PKW, Übergabe der beim Raub verwendeten Waffe an Agim K* unmittelbar vor der Tatausführung) stets gleichlautend bestätigt, während der Mitangeklagte Agim K* hinsichtlich des konkreten Tatablaufes Erinnerungslücken behauptete (S 390, 422/I, 285, 304/II). Die Beschwerde vermag solcherart weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Verpflichtung des Gerichtes zur amtswegigen Wahrheitserforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung noch anhand der Akten Beweisergebnisse aufzuzeigen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen Lebenserfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der im Verdikt festgestellten entscheidenden Tatsachen entstehen lassen (EvBl. 1988/116 ua).
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilaz K* war daher ‑ als offenbar unbegründet ‑ gemäß §§ 285 d Abs. 1, 344 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Berufung dieses Angeklagten fällt demnach in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien (§§ 285 i, 344 StPO).
Es war daher insgesamt spruchgemäß zu erkennen.
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