OGH 14Os134/87

OGH14Os134/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Thoma als Schriftführer, in der Strafsache gegen Raimund D*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 4.Juni 1987, GZ 20 f Vr 2596/87-69, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Herzka, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde Raimund D*** (zu A/) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB und (zu B/) des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 28.Mai 1986 (die Anführung der Jahreszahl 1988 in der Urteilsausfertigung beruht offenkundig auf einem Schreibfehler) in Wien

A/ dem Walter R*** dadurch, daß er aus einer Entfernung von ca. 1 Meter aus einer Repetierflinte High Standard, Kal. 12/70, einer sogenannten "Pump-Gun", einen Schuß mit einer Schrotpatrone der Type Special Trap in dessen Gesicht abgab, wodurch Walter R*** multiple Frakturen des Gesichtsskelettes, der Halswirbelsäule und der Schädelbasis, Blutungen in den Hirnkammern und eine Hirnlähmung erlitt, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, wobei die Tat den Tod des Walter R*** zur Folge hatte, und

B/ dadurch, daß er aus einer Entfernung von ca. 2 Meter aus einer Repetierflinte High Standard Schüsse mit Gummischrotpatronen gegen Alois B***, Gottfried H*** und Manfred K*** abgeben wollte, wobei die Schüsse infolge Ladehemmung nicht "brachen" (gemeint offenbar: nicht losgingen), versucht, die genannten Personen am Körper zu verletzen.

Die Geschwornen hatten die (in bezug auf das Opfer Walter R***) anklagekonform gestellte Hauptfrage A/ nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB stimmeneinhellig bejaht und die hiezu gestellten Zusatzfragen a/ (Notwehr), b/ (Notwehrüberschreitung im Sinne des § 3 Abs 2 StGB), d/ (Putativnotwehr),

f/ (Putativnotwehrüberschreitung; im Frageschema offenbar irrtümlich als "Hauptfrage" bezeichnet), h/ (Zurechnungsunfähigkeit) ebenso stimmeneinhellig verneint; weiters hatten sie die (in bezug auf die Opfer Alois B***, Gottfried H*** und Manfred K***) auf das Verbrechen der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB lautende Hauptfrage B/ stimmeneinhellig verneint, die hiezu gestellte Eventualfrage XII/ nach dem Vergehen der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB hingegen mit 6 Ja- zu 2 Nein-Stimmen bejaht und die sich hierauf beziehenden Zusatzfragen k/ (Notwehr), l/ (Notwehrüberschreitung im Sinne des § 3 Abs 2 StGB), m/ (Putativnotwehr),

n/ (Putativnotwehrüberschreitung) und p/ (Zurechnungsunfähigkeit) jeweils einstimmig verneint.

Außerdem waren an die Geschwornen noch weitere Eventual- und Zusatzfragen gestellt worden, deren Beantwortung im Hinblick auf ihren Wahrspruch im Zusammenhalt mit dem gegebenen Fragenschema entfiel und deren detaillierte Aufzählung sich nach Lage des Falles erübrigt. Für das Rechtsmittelverfahren von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang nur, daß sich darunter auch - und zwar zur Hauptfrage A/ - Eventualfragen ("I"; in der Rechtsmittelausführung unrichtig als "2" bezeichnet) nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83, 86 StGB und ("X") nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB (in der Rechtsmittelschrift unrichtig mit "§ 81 Abs 1 Z 1 StGB" bezeichnet) befunden haben.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil - und zwar der Sache nach nur im Schuldspruch wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB - bekämpft der Angeklagte mit einer allein auf die Z 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Den reklamierten Nichtigkeitsgrund erblickt der Beschwerdeführer darin, daß in der den Geschwornen erteilten schriftlichen Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) zur Hauptfrage "I" (gemeint: A/), betreffend das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung, bereits auch die Tatbestandsmerkmale des Verbrechens nach "§ 86 StGB" (gemeint wohl: §§ 83, 86 StGB) (Eventualfrage I) und des Vergehens nach § 81 Z 1 StGB (Eventualfrage X) zu erörtern gewesen wären; da dies nicht geschehen sei, hafte der bezüglichen Rechtsbelehrung eine ihrer Unrichtigkeit gleichkommende Unvollständigkeit an, die geeignet gewesen sei, die Geschwornen zu beirren und Anlaß zu Mißverständnissen über die Rechtslage zu geben.

Die Rüge versagt.

Denn nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 321 Abs 2 StPO hat die Rechtsbelehrung für jede Frage gesondert eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes zu enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarzulegen. Demnach hatte aber eine Besprechung der Tatbestandsmerkmale der Delikte nach §§ 83, 86 StGB und nach § 81 Z 1 StGB im Rahmen der Ausführungen der Rechtsbelehrung zum Verbrechen nach § 87 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB zu unterbleiben und, wie der Schwurgerichtshof zutreffend erkannt hat, jenem Teil der Rechtsbelehrung vorzubehalten, der sich auf die Fragen nach diesen Delikten bezieht; dort gelangten aber, was die Beschwerde an sich gar nicht bestreitet, die Merkmale der in Rede stehenden Delikte zur vollständigen und richtigen Darstellung.

Somit kann von einer unrichtigen, weil unvollständigen schriftlichen Rechtsbelehrung der Geschwornen zur Hauptfrage A/ keine Rede sein. Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt, daß die Geschwornen im übrigen die Rechtsbelehrung als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen, sie daher als eine Einheit und nicht nach ihren Teilstücken zu betrachten haben (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 50 zu § 345 Z 8).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach zu verwerfen. Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach dem zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB unter Anwendung der §§ 28 und 39 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 (fünfzehn) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen, das Zusammentreffen zweier Gewaltdelikte sowie den Umstand, daß der Angeklagte die Taten "trotz offener Freiheitsstrafe" begangen hat, als mildernd hingegen das Geständnis, weiters daß es im Faktum B/ beim Versuch geblieben ist, und den hochgradigen Zorn wegen einer ihm vermeintlich zugefügten Ehrenkränkung.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung der Strafe unter Ausschaltung der Anwendung des § 39 StGB, dessen Voraussetzungen seiner Meinung nach nicht gegeben seien, an. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig festgestellt, aber auch zutreffend gewürdigt. Nach den aktenkundigen Verfahrensergebnissen kann keine Rede davon sein, daß sich der Berufungswerber im Tatzeitpunkt in einer Gemütsverfassung befunden haben, die jenem Zustand nahekommt, auf den § 34 Z 8 StGB abstellt. Sowohl der Tathergang als auch dessen Vorgeschichte sowie die mehrfachen Vorstrafen wegen Körperverletzungsdelikten weisen den Berufungswerber als einen Rechtsbrecher aus, der immer wieder die körperliche Integrität anderer gröblichst mißachtet, weshalb seine Schuld besonders schwer wiegt und es daher einer entsprechend strengen Sanktion bedarf, um ihm einerseits den Unwert seines Verhaltens vor Augen zu führen und ihn andererseits davon abzuhalten, seiner Neigung zu Aggressionsakten gegen andere Menschen weiterhin nachzugehen. Bei der Ausmessung der verwirkten Strafe hat das Erstgericht im übrigen - entgegen dem Vorbringen des Berufungswerbers - zu Recht von der Möglichkeit der Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 StGB) Gebrauch gemacht: Der Angeklagte wurde bisher insgesamt sechsmal wegen (vorsätzlicher bzw. in einem Fall fahrlässiger) Körperverletzung und somit wegen strafbarer Handlungen bestraft, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen wie die ihm vorliegend angelasteten Straftaten (§ 71 StGB). Unter anderem wurde er vom Kreisgericht St. Pölten zu 14 Vr 1609/74 am 29.April 1975 (neben weiteren strafbaren Handlungen auch) des Vergehens nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB und des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; diese Strafe hat er (nachdem die zunächst gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen worden war) am 9.November 1976 verbüßt (Punkt 3 der Strafregisterauskunft). Innerhalb der fünfjährigen Rückfallsverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB, nämlich am 10. September 1977, verübte er das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB; für diese Tat (sowie für weitere strafbare Handlungen) wurde er vom Kreisgericht St. Pölten zu 15 Vr 1258/77 am 11.April 1978 zu 8 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis 3.Oktober 1980 verbüßte (Punkt 5 der Strafregisterauskunft). Des weiteren beging er am 26.Mai 1978 das Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, wofür er vom Kreisgericht St. Pölten zu 15 Vr 794/78 am 13. September 1978 zu 1 Monat Freiheitsstrafe verurteilt wurde; diese Strafe hat er am 13.November 1978 verbüßt (Punkt 6 der Strafregisterauskunft). Schließlich wurde er vom Kreisgericht St. Pölten zu 15 Vr 410/78 am 13.Juni 1978 der am 22.Jänner 1978 bzw. am 9.Mai 1978 begangenen Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er am 3.Jänner 1981 verbüßte (Punkt 7 der Strafregisterauskunft). Hievon ausgehend ergibt sich das Ende der Rückfallsverjährungsfrist mit 3. Jänner 1986. Da jedoch gemäß § 39 Abs 2 zweiter Satz StGB in diese Frist Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, nicht eingerechnet werden und der Berufungswerber sich im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu 6 Vr 11270/79, in welchem er am 22.April 1980 wegen Vermögensdelikten zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, in der Zeit vom 3.Jänner 1981 bis zum 28.Mai 1982 und vom 3. September 1983 bis 8.November 1983 in Haft befunden hat (Punkt 8 der Strafregisterauskunft), hat er die vorliegenden Straftaten, die am 28.Mai 1986 verübt wurden, innerhalb der (bis 3.Juli 1987 währenden) Rückfallsverjährungsfrist begangen. Im übrigen hat sich der Berufungswerber (vor den gegenständlichen Taten) auch noch im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu 2 Vr 6545/85 (Punkt 9 der Strafregisterauskunft) jedenfalls am 24.Juli 1984 und am 22.Juli 1985 jeweils mehrere Stunden in Verwahrungshaft befunden, welche Zeit ebenfalls in die Frist des § 39 Abs 2 StGB nicht einzurechnen ist.

Da somit die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall gegeben sind und die Schwere der Schuld des Angeklagten die Verhängung der darnach zulässigen Höchststrafe rechtfertigt, mußte auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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