OGH 14Os132/94

OGH14Os132/948.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. E. Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hradil als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter H* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 10. Juni 1994, GZ 34 Vr 1.788/93‑76, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Zehetner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Hitzenbichler, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00132.940000.1108.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 20 (zwanzig) Jahre erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen, auf dem (einstimmigen) Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der am 14. November 1973 geborene Peter H* der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz, zweiter Fall StGB (A) und des Mordes nach § 75 StGB (B) schuldig erkannt.

Darnach hat er am 5. Juli 1993 in Wals‑Käferheim

A) der Clauda D* durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe, nämlich Anhalten eines Signalstiftes mit einem selbstgebastelten Laufstück und Munition in der Größenordnung Kal. 22 an deren Hals, fremde bewegliche Sachen, und zwar eine Geldtasche mit rund 3.000 S Bargeld mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und

B) die Genannte durch einen aus einigen Millimetern Entfernung gegen den Hals aus der zu A angeführten Waffe abgegebenen Schuß getötet.

Die vom Angeklagten dagegen aus den Gründen des § 345 Abs 1 Z 3, 4, 5, 6, 8, 10 a und 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt in keinem Punkt durch.

Unter den beiden zuerst genannten Nichtigkeitsgründen (Z 3 und 4) bekämpft der Beschwerdeführer die Vorführung eines bei der Tatrekonstruktion im Vorverfahren aufgenommenen Videofilmes, die Verlesung von Teilen des Gutachtens des Sachverständigen für forensische Psychiatrie Univ.-Prof. Dr. Bernhard M* in der Hauptverhandlung und die mangelhafte Protokollierung eines Beweisantrages.

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 3 des § 345 Abs 1 StPO setzt voraus, daß trotz der Verwahrung des Beschwerdeführers ein Schriftstück über einen nach dem Gesetz nichtigen Vorerhebungs‑ oder Voruntersuchungsakt in der Hauptverhandlung vorgelesen worden ist. Aus der grundsätzlichen gesetzlichen (§ 252 Abs 1 StPO) Gleichstellung von Vernehmungsprotokollen und technischen Aufzeichnungen über eine Vernehmung folgt zwar, daß auch die Vorführung solcher Aufzeichnungen, wenn in ihnen ein nichtiger Vorerhebungs‑ oder Voruntersuchungsakt (§§ 71 Abs 1; 88 Abs 3; 97 Abs 2; 120; 151; 152; 170 StPO) festgehalten wurde, bei sonstiger Nichtigkeit untersagt ist; dennoch scheitert das Beschwerdevorbringen (Z 3) schon daran, daß dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden kann, wonach die Aufnahme eines Videofilmes bei einem gerichtlichen Lokalaugenschein unter den gegebenen Umständen (Anwesenheit von aufgebrachten und ihren Unmut äußernden Berufskollegen des Tatopfers) ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht wäre.

Die Vorführung des Videofilmes verstieß ferner nicht gegen § 252 StPO, weil die dort statuierten Verbote der Vorführung technischer Aufzeichnungen nur jene über die Vernehmung von Zeugen (§ 162 a StPO) betreffen, Zeugen aber anläßlich des gefilmten Lokalaugenscheines nach dem Inhalt des bezüglichen Protokolles (ON 7/I) nicht vernommen worden sind. Daher kommt insoweit auch der Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO von vornherein nicht in Betracht.

Für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO hinwieder fehlt es im gegebenen Zusammenhang an einer der Filmvorführung widersprechenden Antragstellung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung.

Gutachten von Sachverständigen dürfen nur in den Fällen des § 252 Abs 1 Z 2 und 4 StPO sowie dann verlesen werden, wenn der Sachverständige bei seinem mündlichen Vortrag auf das schriftliche Gutachten verweist und es so zum Bestandteil seines mündlichen Gutachtens macht (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 19 zu § 252). Univ.-Prof. Dr. Bernhard M* wurde in der Hauptverhandlung als Sachverständiger vernommen (S 569 ff/III), hat sich hiebei ausdrücklich auf sein schriftliches Gutachten vom 22. Juli 1993 (ON 13/I) bezogen und dieses mündlich nur zusammengefaßt. Zum Verständnis des Gutachtens war daher die auszugsweise Verlesung des schriftlichen Elaborates geradezu geboten und daher zulässig.

Zum Einwand eines angeblich fehlerhaften Protokolls ist dem Beschwerdeführer zu erwidern, daß nur die gänzliche Unterlassung einer Protokollierung mit Nichtigkeit bedroht ist. Gegen eine mangelhafte Protokollierung steht den Parteien indes nur der Weg des Berichtigungsantrages offen (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 22 und 23 zu § 271).

Es wurden daher in der Hauptverhandlung keine Vorschriften verletzt oder vernachlässigt, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit (Z 4) vorschreibt.

In seiner Verfahrensrüge (Z 5) moniert der Angeklagte die Abweisung seines Antrages auf Verlesung eines von ihm vorgelegten Privatgutachtens des Univ.-Doz. Dr. Franz P* oder dessen Vernehmung als Zeuge, womit nach dem Beschwerdevorbringen erwiesen werden sollte, daß beim Angeklagten Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, die zu selbstbelastenden Aussagen führen konnten.

Auch dieser Einwand versagt, weil Privatgutachten nur dazu dienen, dem Angeklagten selbst oder seinem Verteidiger über bestimmte, von ihnen für erheblich erachtete Umstände des Verfahrens Aufklärung zu verschaffen, um darnach einen Antrag auf Zuziehung eines (weiteren) Gerichtssachverständigen entsprechend begründen zu können (§§ 118; 125, 126 StPO; vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 106 ff zu § 118; E 109 ff zu § 252; Bertel, Strafprozeßrecht4 Rz 424). Ein solcher Antrag wurde aber nicht gestellt (S 79/IV).

Der Rechtsmittelwerber bemängelt (Z 5) ferner, daß im Hinblick auf mehrere widerstreitende Beweisergebnisse die amtswegige Beischaffung weiterer Gutachten und Beweismittel notwendig oder der Verteidiger in diese Richtung anzuleiten gewesen wäre.

Abgesehen davon also, daß es an einer für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes vorausgesetzten Antragstellung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung fehlt, versagen diese Einwände auch unter dem Gesichtspunkt des § 345 Abs 1 Z 10 a StPO aus folgenden Gründen:

Die geforderte Untersuchung der im Auto der Ermordeten sichergestellten Haar‑ und Faserspuren wäre für den Angeklagten nicht zielführend gewesen. Eine Übereinstimmung mit seinem Haar und seiner Bekleidung hätte nur seine Anwesenheit im Auto untermauert, das gegenteilige Ergebnis aber nicht besagt, daß er nicht am Tatort war, da Taxis von vielen Menschen benützt werden und die Spuren daher von diesen mit der Tat nicht in Zusammenhang stehenden Fahrgästen stammen könnten.

Die Unstimmigkeiten zwischen der (geständigen) Verantwortung des Angeklagten im Vorverfahren und dem Sachbefund der medizinischen und schießtechnischen Sachverständigen wurden in der Hauptverhandlung ausführlich erörtert. Die Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Gerhardt S* (ON 33,42/II und S 63 ff/IV), der kriminaltechnischen Zentralstelle des Bundesministeriums für Inneres (ON 28/I) und der kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt des Landesgendarmeriekommandos für Salzburg (ON 32/I; ON 40 und 41/II) sind jedenfalls schlüssig und widerspruchsfrei, sodaß für weitere Gutachten kein Anlaß bestand (§§ 125, 126 StPO). An Hand dieser Verfahrensergebnisse hatten die Geschworenen in freier Beweiswürdigung zu beurteilen, ob der ursprünglichen Verantwortung des Angeklagten über den Tatablauf oder seiner Einlassung in der Hauptverhandlung zu folgen sei.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Rechtsmittelwerber im Unterbleiben der Stellung von Eventual‑ bzw Zusatzfragen nach einer Tatbegehung im Zustand voller Berauschung, nach vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge, räuberischem Diebstahl oder Raub mit Todesfolge.

Dabei übersieht er, daß eine Eventualfrage gemäß § 314 Abs 1 StPO unter anderem nur dann zu stellen ist, wenn nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung die Möglichkeit nahe liegt, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger als das in der Anklageschrift angeführte ist. Dabei kann immer nur ein tatsächliches Substrat, nicht aber jede abstrakt denkbare Möglichkeit Grundlage einer Eventualfrage sein.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Tat in Abrede gestellt und bestritten, zur Tatzeit überhaupt am Tatort gewesen zu sein. Diese Verantwortung indiziert nicht die Stellung von Eventualfragen nach den reklamierten Subsumtionsmöglichkeiten, denn das bloße Leugnen schließt nicht die Behauptung mit ein, mit einem anderen als dem ihm vorgeworfenen Vorsatz gehandelt zu haben (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 24 zu § 314).

Der im Vorverfahren gewählten Verantwortung des Angeklagten in Richtung fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen hat der Schwurgerichtshof durch Stellung der Eventualfrage I ohnedies Rechnung getragen.

Für eine volle Berauschung (§ 11 StGB) findet sich im Tatsachenvorbringen kein ausreichender Hinweis. Alle Personen, die den Angeklagten etwa eineinhalb Stunden vor dem Tatzeitpunkt zuletzt gesehen haben, sprachen höchstens von einer erheblichen Alkoholisierung, nicht jedoch von einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Vollrausch (vgl S 141, 181, 197, 215, 425, 427, 497/III). Das Vorbringen des Angeklagten bei der Gendarmerie und vor dem Untersuchungsrichter zu seinem Alkoholkonsum wurde vom psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Bernhard M* berücksichtigt und darnach sein Zustand als leichte Alkoholisierung gewertet (S 571, 573/III). Auch daraus ergab sich kein Anlaß für die Stellung einer Zusatz‑ und Eventualfrage nach §§ 11 und 287 Abs 1 StGB.

Mit seinem Einwand gegen die Rechtsbelehrung (Z 8) verkennt der Beschwerdeführer, daß nur solche Rechtsbegriffe zu erläutern sind, die in tatsächlich gestellten Fragen vorkommen (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 20 zu § 345 Z 8).

Der Angeklagte vermag auch keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken (Z 10 a) gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsache zu erwecken. Die diesbezügliche Argumentation des Beschwerdeführers erschöpft sich vielmehr in einer Wiederholung der bisherigen Einwände. Er versucht bloß, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweisergebnisse in seinem Sinn umzudeuten.

Dem Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 13 StPO ist zu erwidern, daß nur die tatsächliche Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe über einen zur Tatzeit noch nicht 20jährigen Angeklagten gegen die Bestimmung des § 36 erster Satz StGB verstoßen und damit den Nichtigkeitsgrund herstellen würde. Da über den Angeklagten ohnedies eine zeitliche Freiheitsstrafe verhängt wurde, ist auch dieser Einwand verfehlt (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 9 zu § 345 Z 13).

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 75 StGB zu siebzehn Jahren Freiheitsstrafe, wobei es "eine geringfügige einschlägige Vorstrafe" und das Zusammentreffen zweier Verbrechen als erschwerend, als mildernd hingegen den Umstand wertete, daß er durch seine Aussage vor der Gendarmerie und dem Untersuchungsrichter wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, ferner sein Alter unter 21 Jahren, und daß die Taten mit seinem bisherigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen.

Dagegen richten sich die auf Herabsetzung bzw Erhöhung des Strafausmaßes gerichteten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Nur letztere ist berechtigt.

Zunächst sind die vom Erstgericht aufgezählten Strafbemessungsgründe zum Nachteil des Angeklagten dahin zu berichtigen, daß nicht bloß eine, sondern zwei Vorverurteilungen wegen einschlägiger (gegen fremdes Vermögen gerichteter) Straftaten ausgesprochen worden sind und H* daher auch nicht ein auffallender Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten zugebilligt werden kann. Im übrigen wurde der durch die Verantwortung im Vorverfahren geleistete Beitrag zur Wahrheitsfindung überbewertet, hat doch der Berufungswerber auch in diesem Verfahrensstadium den entscheidenden Mordvorsatz bestritten.

Seinem Berufungsvorbringen zuwider stellt die angebliche Enthemmung durch Alkohol keinen Milderungsumstand dar, weil er bereits früher unter dem Einfluß von Alkohol eine Straftat verübt hatte, sodaß die Vorwurfsabwägung (§ 35 StGB) jedenfalls nicht zu seinen Gunsten ausschlägt. Der Milderungsgrund des § 34 Z 14 StGB liegt deshalb nicht vor, weil der Angeklagte nur leicht identifizierbare Wertgegenstände zurückgelassen hat, durch deren Besitz er sich der Gefahr der Entdeckung ausgesetzt hätte. Die von ihm weiters geltend gemachte "panikartige Ausnahmesituation" entstand erst durch die Ermordung des Raubopfers, und ist daher gleichfalls nicht geeignet, die Schuld des Angeklagten zu mindern.

Zu Recht weist hingegen die Anklagebehörde darauf hin, daß der Angeklagte heimtückisch gehandelt hat, war es doch dem arglosen Tatopfer als Taxilenkerin kaum möglich, sich gegen den ihm körperlich überlegenen Täter mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr zu setzen. Im übrigen wurde dem Zusammentreffen von zwei Kapitalverbrechen zu wenig Gewicht beigemessen, sodaß insgesamt ‑ unter Bedachtnahme auf § 36 StGB ‑ nur die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe der unrechtsbezogenen Täterschuld (§ 32 StGB) gerecht wird.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft war daher ‑ wie aus dem Spruch ersichtlich ‑ Folge zu geben und der Angeklagte mit seiner Berufung darauf zu verweisen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht ist in § 390 a StPO begründet.

 

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