Spruch:
Günther J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der mit 800 Euro, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, festgesetzten Beschwerdekosten auferlegt.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 31. August 2011 (ON 235) gab das Oberlandesgericht Graz einer Beschwerde des Günther J***** gegen den - im Rahmen der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang gefassten (zum ersten Rechtsgang vgl 14 Os 38/11m) - Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 10. August 2011 (ON 228a), mit welchem die (am 1. Oktober 2010 verhängte [ON 171] und wiederholt prolongierte [ON 185, 196, 201 und 203a]) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO fortgesetzt worden war, nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den vom Erstgericht genannten Haftgründen an.
Das Beschwerdegericht bejahte den dringenden Tatverdacht, Günther J***** habe von Juli 2009 bis 28. September 2010 gewerbsmäßig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er insgesamt zumindest 212 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von zumindest 21 Gramm dem gesondert verfolgten Heinrich H***** verkaufte, wobei er schon ein Mal wegen einer solchen Straftat verurteilt worden ist.
Diese für sehr wahrscheinlich gehaltenen Taten subsumierte das Oberlandesgericht dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG.
Rechtliche Beurteilung
Die Grundrechtsbeschwerde des Günther J*****, mit der er das Fehlen dringenden Tatverdachts und dazu getroffene aktenwidrige Begründung moniert, ist aus dem letztgenannten Grund berechtigt.
Die Begründung dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS-Justiz RS0110146).
Soweit die Beschwerde pauschal die Existenz von „relevanten Beweisergebnissen“ für das Vorliegen eines unter § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG subsumierbaren Verhaltens bestreitet, zeigt sie weder eine den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungswerten widersprechende und solcherart geradezu willkürliche Begründung (Z 5 vierter Fall) oder einen sonstigen Begründungsmangel auf.
Zutreffend reklamiert sie jedoch aus Z 5 fünfter Fall, dass das Oberlandesgericht Wien die Annahme höherer Wahrscheinlichkeit der Weitergabe einer über die vom Beschwerdeführer zugestandene Quantität (30 bis 50 Gramm „gestrecktes“ Kokain) hinausgehenden Menge Suchtgift von zumindest 212 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von zumindest 21 Gramm - und damit die Sachverhaltsannahmen für einen dringenden Verdacht nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG - im Wesentlichen auf die für glaubwürdig angesehene Aussage der Zeugin Orsana T***** stützte (BS 5), welche - so die Ausführungen im angefochtenen Beschluss - (unter anderem) deponiert hätte, Heinrich H***** habe sein Suchtgift ausschließlich von einem - in weiterer Folge als Günter J***** identifizierten - Unbekannten bezogen (BS 3 und 5). Wie die Beschwerde mit Recht einwendet, gab die Genannte nämlich in diesem Zusammenhang lediglich an, dass ihr Suchgiftlieferant Heinrich H***** Bemerkungen über persönliche Lebensumstände seines „Dealers“ abgegeben habe, ohne dessen Identität offenzulegen und dass sie ihn insgesamt vier Mal bei Suchtgiftübergaben an der ihr bekanntgegebenen Wohnadresse des Unbekannten begleitet, dabei aber jeweils auf einem Parkplatz warten habe müssen (ON 138 S 17; ON 163 S 3; ON 211 S 10; ON 228 S 17). Entgegen der Darstellung des Oberlandesgerichts berichtete die Zeugin T***** jedoch nichts über eine exklusive Rolle des Angeklagten als Lieferant des Heinrich H*****, sondern sprach vielmehr sogar von zwei Suchtgiftbezugsquellen (ON 211 S 12; ON 228 S 18 f).
Da sich demnach die Aktenwidrigkeit auf für die Annahme dringenden Tatverdachts in Richtung des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG erhebliche Tatsachen bezieht, das verbleibende Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1, Abs 3 SMG - mit Blick auf die behauptete Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten (ON 212 S 4) allenfalls Abs 5 dieser Gesetzesstelle - unter Berücksichtigung der seit dem 1. Oktober 2010 andauernden Untersuchungshaft aber für sich alleine nicht hafttragend ist (vgl dazu RIS-Justiz RS0061132, RS0120817 [dort vor allem 13 Os 81/07x und T6]), war der aufgezeigte Begründungsmangel geeignet, sich auf die Lösung der Haftfrage auszuwirken (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 466).
Dieser erfordert damit eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung (§ 7 Abs 2 GRBG). Mit Blick auf die sonstigen (aktenkonform dargestellten) Verfahrensergebnisse, die in die Richtung des vom Beschwerdegericht beschriebenen dringenden Tatverdachts weisen, war jedoch die Aufhebung des Haftfortsetzungsbeschlusses nicht erforderlich (§ 7 Abs 1 GRBG; Reiter, ÖJZ 2007, 391 [403] und Ratz, ÖJZ 2005, 415 [419]).
Der Kostenausspruch beruht auf § 8 GRBG.
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