Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben. Es werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 2., demgemäß auch im Strafausspruch und das Adhäsionserkenntnis aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Valentin Theodor S***** der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB aF (1.) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 StGB aF
(2.) schuldig erkannt.
Danach hat er im Sommer 2000 in Klagenfurt
1. dadurch, dass er die Hand der Michaela H***** erfasste, zu seinem Penis führte und dort zur Vornahme von Selbstbefriedungshandlungen festhielt, außer den Fällen des § 201 StGB eine Person mit Gewalt zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung genötigt;
2. unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden, am 26. März 1986 geborenen Tochter seiner Lebensgefährtin Michaela H***** dadurch zur Unzucht missbraucht, dass er sie an der nackten Brust und an der nackten Scheide berührte sowie mehrmals mit seinem Finger in ihre Scheide eindrang.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.
Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung des jeweils in den Hauptverhandlungen am 3. Dezember 2003 und 3. März 2004 gestellten Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Jugendpsychiatrie und Jugendtherapie. Ein solcher Experte sollte gehört werden, "da die vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. Isabella Sankl offensichtlich mit den für das gegenständliche Verfahren prozessentscheidenden Aussagen über die Psyche eines Jugendlichen im Zusammenhang mit der Anzeigeerstattung überfordert ist und dies nicht ihr Fachgebiet betrifft" (S 49/II). Der Antrag nennt einerseits kein Beweisthema und bezeichnet andererseits keine Mängel des erhobenen Befundes und des Gutachtens der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen im Sinne von §§ 125, 126 StPO, sondern behauptet lediglich ohne nähere Begründung eine Überforderung dieser Expertin.
Da der Beweisantrag somit nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht, wurde er zu Recht ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen.
Die Mängelrüge (Z 5, zum Teil der Sache nach Z 9 lit a) ist teilweise berechtigt.
Obwohl die Wohnverhältnisse und die Tatsache, in welchem Bett genau Michaela H***** in der fraglichen Nacht geschlafen hat, für die Schuldfrage nicht entscheidend sind, hat das Erstgericht die näheren Umstände in der kleinen Wohnung ausdrücklich (auch für die Tatnacht) festgestellt (US 4 unten/5 oben). In welchem Bett Michaela H***** geschlafen hat, ergibt sich aus ihrer Aussage (US 10), wobei die gegenteiligen Angaben der Mutter Alexandra H***** und die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten nicht unerwähnt blieben (US 8 und 9).
Die Feststellungen zum unmittelbaren Tatgeschehen haben die Erkenntnisrichter auf die Angaben der einzigen Tatzeugin und Betroffenen Michaela H***** gestützt. In einer ausführlichen Würdigung haben sie dargetan, warum sie dem Mädchen Glauben schenkten und die leugnende Verantwortung des Angeklagten als widerlegt erachteten (US 11 bis 14). Dabei verwiesen sie insbesondere auf den in der Hauptverhandlung gewonnen persönlichen Eindruck. Dieser zur Überzeugung der Richter führende kritisch psychologische Vorgang ist einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).
Dass Michaela H***** unmittelbar nach der Tat ihrer Pflegemutter von den Vorfällen erzählte, was jedoch keine Konsequenzen bewirkte, und sie dann erst Anfang 2003 ihrem Therapeuten darüber berichtete, fand im Urteil seinen Niederschlag (US 5 und 6) und wurde somit auch bei der Gesamtbeurteilung der Beweisergebnisse berücksichtigt. Im Hinblick auf das Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) bedurften die Aussagen der Zeuginnen Sylvia N***** (S 44 f/II) und Andrea Nicole S***** (S 93/I) keiner Erörterung, weil sie weder zum Tatgeschehen noch sonst wesentliche Wahrnehmungen gemacht hatten. Dasselbe gilt für die Angaben der Zeugin Alexandra H*****, sie habe vom Vorfall "nichts mitbekommen" (S 276 und 489/I, S 38/II).
Die subjektive Tatseite hat das Erstgericht nicht nur ausdrücklich festgestellt, sondern sie den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungswerten entsprechend aus der Tathandlung, insbesondere der ausgeübten Gewalt abgeleitet (US 14 und 15). Insoweit liegt ein Begründungsmangel daher nicht vor. Berechtigung hingegen kommt der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) deswegen zu, weil die für den Schuldspruch nach § 212 Abs 1 StGB aF (2.) maßgebliche Feststellung eines durch Ausübung von Aufsichts- und Erziehungsrechten des Angeklagten gegenüber Michaela H***** vermittelten Autoritätsverhältnisses (US 4, 15) unbegründet geblieben ist. Denn aus dem bloßen Bestehen eines Autoritätsverhältnisses kann allein nicht auf den missbräuchlichen Einsatz desselben geschlossen werden. Vielmehr sind zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmales des Ausnützens eines Autoritätsverhältnisses konkrete - vorliegend fehlende - Feststellungen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte bei seinem inkriminierten Tatverhalten seine Autorität gegenüber dem Tatopfer eingesetzt hat, damit die geschützte Person die Unzuchtshandlungen setzt oder geschehen lässt, ohne dass offen bleibt, dass der Angeklagte nicht nur das sich bietende Gelegenheitsverhältnis ausgenützt hat (Schick in WK² § 212 Rz 9). Damit liegt zum Schuldspruch 2. auch der der Sache nach geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO vor. Daraus folgt, dass sich hiezu eine neue Hauptverhandlung nicht vermeiden lässt. Demgemäß waren das Urteil im Schuldspruch 2., im Strafausspruch sowie das Adhäsionserkenntnis aufzuheben und in diesem Umfang die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285e StPO). Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zum Urteilsfaktum 1. zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen hervorzurufen. Der Einwand mangelnder Plausibilität einer hypothetischen Inkaufnahme jederzeitiger Tatentdeckung durch die im selben Zimmer schlafende Lebensgefährtin Alexandra H***** und deren Tochter Jaqueline beruht auf bloß spekulativen Argumenten, übergeht aber die Angaben der Zeugin Michaela H***** (S 65/I), wonach sie aus Angst vor dem Angeklagten stillgehalten habe. Er ist daher nicht geeignet, die der Lebenserfahrung keineswegs zuwiderlaufende Möglichkeit der inkriminierten Tatbegehung bedenklich erscheinen zu lassen. Soweit die Beschwerde unter weitwendiger Auflistung von Verfahrensergebnissen die vom Schöffengericht angenommene Glaubwürdigkeit der Aussagen der Zeugin Michaela H***** in Frage zu stellen und die ausführlichen Urteilserwägungen (US 10 ff) in Zweifel zu ziehen versucht, bekämpft sie bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht mit dem Einwand fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite - wie bereits zur Mängelrüge angeführt - die dazu getroffenen Konstatierungen (US 14) und unterlässt damit den gebotenen Vergleich des Urteilssachverhaltes mit dem darauf angewendeten Gesetz (WK-StPO § 281 Rz 581). Zum Schuldspruch 1. war daher die Nichtigkeitsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). In dem teilweise zu wiederholenden Verfahren wird das erkennende Gericht nicht nur zu klären haben, ob die minderjährige Michaela H***** der Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht des Angeklagten unterstand, sondern auch ob dieser unter Ausnützung seiner Stellung vorsätzlich geschlechtliche Handlungen vorgenommen hat. Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes wird es die inzwischen durch das StRÄG 2004 (BGBl I 2004/15) geänderte Rechtslage zu beachten haben.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese teilweise kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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