Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Harald H***** und Thomas K***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) - Harald H***** auch nach § 206 Abs 2 erster Fall StGB (V./) - und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 zweiter Fall StGB (II./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./) sowie nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall, Abs 2 Z 1 SMG aF (IV./), Harald H***** weiters des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (VI./) und Thomas K***** auch der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (VII./) schuldig erkannt.
Soweit angefochten haben in Graz Harald H***** im Zeitraum von August 2006 bis 16. April 2007 und Thomas K***** im Zeitraum vom 8. Jänner bis 16. April 2007
I./ in mehrfachen Angriffen mit dem am 17. April 1993 geborenen, mithin unmündigen Dominik M***** wechselseitig den Oral- und Analverkehr, sohin dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen, unternommen;
II./ den Genannten dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem sie ihn aufforderten, sich selbst bis zum Samenerguss zu befriedigen;
III. mit dem Genannten, sohin mit einer minderjährigen Person, die ihrer Aufsicht unterstand, unter Ausnützung ihrer Stellung gegenüber dieser Person, die zu I./ und V./ (hier Harald H***** allein) genannten geschlechtlichen Handlungen vorgenommen und an sich vornehmen lassen oder, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, ihn dazu verleitet, die zu Punkt II./ genannten geschlechtlichen Handlungen an sich selbst vorzunehmen; IV./ den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben, besessen und anderen überlassen, indem sie unbekannte Mengen Cannabiskraut dem Dominik M***** kostenlos überließen, wobei sie dadurch einem Minderjährigen den Gebrauch des Suchtgifts ermöglichten und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als der Minderjährige sind.
Weiters hat in Graz
V./ Harald H***** von Jänner bis 16. April 2007 den Unmündigen Dominik M***** in zwei Angriffen zur Vornahme des Beischlafs mit einer anderen Person verleitet, indem Dominik M***** über seine Aufforderung und in seiner Gegenwart den Beischlaf mit Katharina N***** vollzog;
VI./ ...
VII./ Thomas K***** Nachgenannte gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper, teils zum Nachteil einer Sympathieperson, bedroht, um sie in Furcht oder Unruhe zu versetzen, und zwar 1./ zwischen 8. Jänner und Mitte Mai 2007 in wiederholten Angriffen zu nicht näher bekannten Zeitpunkten Dominik M*****, indem er ihm gegenüber wiederholt äußerte, er werde seiner Mutter Albaner vorbeischicken, die alle für ihn zusammenschlagen würden, 2./ zwischen Jänner und 4. Mai 2007 den Erstangeklagten Harald H***** durch die Äußerung, dass er ihm die Kniescheibe brechen und ihm den Schädel einschlagen werde.
Rechtliche Beurteilung
Den Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagter, die der Erstangeklagte - beschränkt auf die Schuldspruchfakten I./ bis V./ - auf die Gründe der Z 5, 5a und 11 und der Zweitangeklagte auf jene der Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO stützen, kommt Berechtigung nicht zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harald H*****:
In der Mängelrüge (Z 5) bekämpft er mit der Behauptung einer unzureichenden Begründung (vierter Fall) - nach Wiedergabe der (jedoch bloß einleitenden) beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts (I.1.; US 17) - durch selektives Herausgreifen einzelner Passagen aus dem schriftlichen Gutachten der psychologischen Sachverständigen Dr. Sylvia W***** (ON 50, 60 - I.2. und 3./) und deren ergänzenden gutachterlichen Ausführungen in der Hauptverhandlung (S 115 ff/III - I.4./), worin er eine „Änderung" der Beurteilung ohne „neuerliche kontradiktorische Einvernahme" des Zeugen Dominik M***** erblickt, in unzulässiger Weise bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung: Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist allein Sache des erkennenden Gerichts (RIS-Justiz RS0098297). Entgegen dem Beschwerdevorbringen haben die Tatrichter die diesbezügliche Einschätzung der Sachverständigen nicht unhinterfragt übernommen, sondern ihre Überzeugung von der Glaubwürdigkeit des Zeugen Dominik M***** vielmehr auf die inhaltliche Geschlossenheit seiner Aussage gegründet (US 18 ff). Die Ausführungen über die Konsistenz der Aussage des Zeugen in den Gutachten der Sachverständigen (ON 50, 60 und S 115 ff/III) haben sie bloß zusätzlich - als eines von mehreren Beweisergebnissen - in ihre Erwägungen einbezogen (US 17 f). Auch interpretierte die Sachverständige ihre eigenen generalisierenden Angaben in den schriftlichen Gutachten lediglich dahingehend, dass der Zeuge M***** unter großem Druck stand und Gefahr lief, zu Wahrnehmungsverzerrungen zu neigen oder beeinflussbar zu sein (S 117/III). Die Frage einer „Täterverschiebung" wurde in der Hauptverhandlung intensiver erörtert, ohne dass diese Möglichkeit - wie schon in den schriftlichen Gutachten - gänzlich ausgeschlossen werden konnte. Einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesen zusätzlichen, aber keineswegs widersprüchlichen Angaben bedurfte es daher nicht. Auch wurden „Widersprüche" keineswegs durch „oberflächliche Scheinbegründungen" (im Sinne des vierten Falles der Z 5) relativiert, sondern die Erwägungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen ohne formellen Begründungsmangel dargelegt (US 18 ff). Unzutreffend ist das Vorbringen, nach den Angaben der Zeugin Dr. Cornelia R***** (S 257 ff/III) habe Dominik M***** „sein Wesen erst massiv verändert, nachdem er den Zweitangeklagten kennen gelernt hatte". Vielmehr schilderte diese Zeugin eine „auffällige starke" Veränderung des Knaben ab Oktober 2006 (S 258/III), dessen Verhalten im Jänner lediglich „noch extremer" geworden sei (S 259/III). Eine „Aktenwidrigkeit" (Z 5 letzter Fall), die das Bestehen eines erheblichen Widerspruchs zwischen den Angaben in den Entscheidungsgründen über den Inhalt einer bei den Akten befindlichen Urkunde oder einer gerichtlichen Aussage und der Urkunde oder dem Vernehmungs- oder Sitzungsprotokoll darzulegen hätte, wird durch die erneute Problematisierung der Ausführungen der Sachverständigen Dr. W***** zur Glaubwürdigkeit des Zeugen M***** nicht dargelegt, sodass sich ein weiteres Eingehen darauf erübrigt.
In der Tatsachenrüge (Z 5a) wird weitgehend das Vorbringen zur Mängelrüge wiederholt bzw auf jenes zur „Aktenwidrigkeit" verwiesen und darauf gestützt die Lösung der Schuldfrage zufolge der in den Raum gestellten „Suggestibilitätsneigung" und „Projektionstendenz" des Zeugen Dominik M***** als solche angezweifelt, ohne damit sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.
Die Strafzumessungsrüge (Z 11) reklamiert - ohne Urteilsbezug - die zusätzlichen Milderungsgründe nach § 34 Abs 1 Z 7, 9 und 17 StGB, macht damit aber keine Urteilsnichtigkeit, sondern - wie auch der Verweis auf die diesbezüglichen Berufungsausführungen verdeutlicht - bloß Berufungsgründe geltend (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 728).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Thomas K*****:
Der Einwand der Verfahrensrüge (Z 3), durch die in der Hauptverhandlung vorgenommene Bezugnahme der Sachverständigen Dr. W***** auf Gespräche mit der Psychologin Dr. R***** sei deren Recht, die Aussage zu verweigern (§ 157 Abs 1 Z 3 StPO), umgangen worden (§ 157 Abs 2 StPO), geht schon im Ansatz fehl, weil Dr. R***** - wie die Beschwerde im Übrigen zugesteht - auf ihr Entschlagungsrecht ausdrücklich verzichtet hat (S 258/III). Welche weiteren „entschlagungsberechtigten Therapeuten" gegenüber der Sachverständigen Angaben zur Sache getätigt haben sollen, die durch deren Gutachtens-Vortrag in der Hauptverhandlung vorgekommen seien, lässt die Beschwerde nicht erkennen.
Eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 15 Psychotherapiegesetz (hier: der - über das ihr zukommende Entschlagungsrecht in der Hauptverhandlung belehrten [S 258/III] - Zeugin Dr. Cornelia R*****) ist keineswegs Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Entschlagungsrechts gemäß § 157 Abs 1 Z 3 StPO (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 152 Rz 47). Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO liegt demgemäß auch insoweit nicht vor, sodass Erwägungen über die „Entbindungs"-Legitimation der Mutter und/oder des 14-jährigen Sohns dahingestellt bleiben können. Die Verfahrensrüge (Z 4) stützt sich auf den in der Hauptverhandlung vom 15. Februar 2008 gestellten Beweisantrag (S 271 f/III); sie vermag allerdings nicht aufzuzeigen, dass durch dessen Abweisung Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hinangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art 6 MRK, oder sonst durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten war. Rosa W*****, die bei der Anzeigenerstattung anwesend war (S 33/I), wurde als Zeugin beantragt, „da diese ihre persönlichen Eindrücke schildern kann; auch kann sie aus ihrer beruflichen Erfahrung beurteilen, ob es Drucksituation bei der ersten Anzeigeerstattung durch K***** gegeben hat oder nicht", dass diese anlässlich der Vernehmung des Zweitangeklagten vor der Polizei „durchaus ihr Unverständnis für diese Vorwürfe zum Ausdruck gebracht" habe und letztlich von K***** auf den Zeugen M***** Druck ausgeübt wurde. Hingegen sind weder das Vorliegen noch das Fehlen einer Drucksituation noch die Einschätzung der Zeugin von der Schuld des Zweitangeklagten in der Lage, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 341; RIS-Justiz RS0118444). Bloße Wertungen eines Zeugen können im Übrigen nicht Gegenstand eines Beweisverfahrens sein (vgl Ratz aaO Rz 352; 11 Os 40/03; 11 Os 104/06p), sodass das abweisliche Zwischenerkenntnis (S 272 f/III) Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt hat.
In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer einen Widerspruch der Feststellungen zu „umfangreichen Angaben des Belastungszeugen" und zu „anderen Verfahrensergebnissen", ohne diese darzulegen, weil er lediglich den Umstand hervorhebt, dass der Zweitangeklagte „die strafrechtliche Verfolgung durch seine Aktivitäten" initiiert habe, jedoch verschweigt, dass sich diese Anzeige gegen den Erstangeklagten richtete. In erneuter Thematisierung der - nicht einvernommenen - „Zeugin" Rosa W***** verknüpft der Beschwerdeführer eigene spekulative Interpretationen von Verfahrensergebnissen unter unvollständigen Hinweisen auf Passagen seiner Verantwortung sowie die Angaben des Dominik M***** zur Frage einer Adoption, die zu von den Konstatierungen des Schöffengerichtes abweichenden Ergebnissen führen sollen, womit er jedoch die vom Gesetz (§ 285a Abs 2 StPO) geforderte deutliche und bestimmte Bezeichnung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes oder die Anführung deutlicher Hinweise auf Tatumstände, welche diesen Nichtigkeitsgrund bilden sollen, verfehlt. Unter dem Aspekt eines am Rande relevierten Begründungsmangels genügt es der Beschwerde entgegenzuhalten, dass das Erstgericht die „psychische Auffälligkeit" von Dominik M***** mit ins Kalkül gezogen hat (US 10; 17), wohingegen dessen ambulante und stationäre Behandlung in keinem zeitlichen Zusammenhang mit den Taten stand, sodass diese und die übrigen Einwände bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung der Tatrichter, welche Widersprüche in den Aussagen des Tatopfers sehr wohl in ihre ausführlichen Erwägungen einbezogen (US 17-31), bekämpfen. Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), es fehle an der Feststellung einer „Übertragung" der „Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten" von der Mutter des Dominik M*****, lässt nicht nur eine Ableitung aus dem Gesetz vermissen, sondern auch die Urteilsfeststellungen über die fallbezogen maßgebliche Ausnützung der einwandfrei festgestellten Autorität des Angeklagten anlässlich seines Vorgehens außer Acht (US 14 f, 29).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Zu den weiteren Eingaben des Angeklagten Thomas K***** genügt der Hinweis, dass das Gesetz nur einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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