European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133205
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde T* W* – soweit hier von Bedeutung – der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach „§ 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 erster Satz zweiter Fall und zweiter Satz zweiter Fall StGB idF vor BGBl I 2019/105“ (I) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall, in einem Fall nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB „idF vor BGBl I 2019/105“ (II) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (III), der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (IV/a) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (V) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S*
I/ vom 1. Juni 2009 bis zum 23. März 2016, also länger als ein Jahr, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt gegen die 2002 geborene, mithin unmündige, S* W* Gewalt ausgeübt, indem er sie am Körper misshandelte und vorsätzliche, mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 StGB sowie wiederholt Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität beging, wobei er sie
a/ am Körper verletzte oder misshandelte (§ 83 Abs 1 und 2 StGB), indem er sie zumindest zwei Mal in der Woche ohrfeigte, ihr mit der offenen Hand auf den Oberschenkel schlug und sie an den Haaren riss, wodurch sie blaue Flecken und Schmerzen erlitt;
b/ ab 2011 zwei Monate lang mehrmals pro Tag am Gesäß und im Intimbereich berührte sowie ab 2012 ein bis zwei Mal in der Woche Anal-, Vaginal- und Oralverkehr mit ihr unternahm;
c/ zu einer Unterlassung nötigte, indem er sie mehrmals mit dem Umbringen bedrohte, wenn sie jemandem etwas erzählen würde;
II/ ab dem 24. März 2016 bis Anfang 2018 S* W* mit Gewalt, nämlich durch Schläge mit der flachen Hand, zumindest ein Mal auch mit einem Ledergürtel, oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), indem er diesen Gürtel vorzeigte und Schläge androhte, zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen in Form des Oralverkehrs genötigt, wobei er sie in besonderer Weise erniedrigte, indem sie in mehreren Fällen das Ejakulat schlucken musste und die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatten;
III/ ab dem 24. März 2016 bis Anfang Mai 2018 mit S* W* mehrfach nach vorangegangener Einschüchterung durch Drohungen mit Schlägen oder dem Umbringen gegen ihren Willen den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen in Form des Oralverkehrs vorgenommen;
IV/ vom 9. Juni 2013 bis zum 14. November 2019
a/ pornographische Darstellungen einer minderjährigen Person hergestellt, indem er die zu II dargestellten Handlungen teilweise mit einer Kamera aufzeichnete;
V/ „ab dem 1. Juni 2009“ (richtig [vgl US 5]: von 2011) bis Anfang Mai 2018 mit seiner 2002 geborenen, mithin minderjährigen, Stieftochter S* W* durch die zu I, II und III dargestellten Taten geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall, nominell auch dritter und vierter Fall) zuwider hat das Erstgericht die Aussage der Zeugin S* W* ausführlich erörtert (US 13 ff) und dabei auf von der Beschwerde hervorgehobene – allerdings bloß nicht entscheidende Tatsachen betreffende – Divergenzen hingewiesen (US 15 f, 18 und 23). Mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe waren die Tatrichter nicht verhalten, sich mit allen Einzelheiten der Angaben dieser Zeugin im Urteil auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0106642).
[5] Im Ergebnis versucht der Beschwerdeführer lediglich, die Annahme des Erstgerichts von der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin mit eigenen Beweiswerterwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung zu bekämpfen. Dies gilt auch für den Hinweis auf – ohnehin erörterte (US 12) – Details der Aussage der Zeugin C* W* zum von ihr bemerkten „Schwund von Binden“ im Haushalt.
[6] Die Kritik an Urteilspassagen (US 13, 14) zur – im Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigengutachten (ON 46 S 20 und 23) – als „sadistisch“ bezeichneten Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers spricht keine entscheidende Tatsache an, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt einer Mängelrüge bildet (RIS-Justiz RS0117499).
[7] Soweit das Erstgericht den Umstand, dass der Beschwerdeführer dem Opfer „die Wahl der Stellung bei der Vornahme des Beischlafes ließ“, unter Bezugnahme auf dieses Gutachten nicht als empathisches Verhalten wertete, sondern als „Hinweis auf dessen planvolles und erniedrigendes Handeln“ (US 19 iVm ON 46 S 21), zieht es bloß beweiswürdigende Schlüsse aus diesem Beweismittel, ohne dessen Inhalt (unrichtig) wiederzugeben, weshalb der Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) von vornherein versagt (RIS-Justiz RS0099431).
[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[9] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[10] Dieses wird dabei zu berücksichtigen haben, dass das Urteil mehrere nicht geltend gemachte Subsumtionsfehler (Z 10) aufweist, die ohne Einfluss auf den Strafrahmen und die Strafbemessung blieben, sich daher nicht konkret zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken und somit keiner amtswegigen Wahrnehmung (vgl § 290 StPO) bedurften:
[11] Beim Günstigkeitsvergleich sind stets die auf Basis des Urteilssachverhalts konkret anzuwendenden Strafgesetze (einschließlich allfälliger Qualifikations-tatbestände) in den Blick zu nehmen (vgl RIS‑Justiz RS0119085; Höpfel in WK2 StGB § 61 Rz 18). Der davon ausgehend verwirklichte § 107b Abs 1, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB ist in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung – entgegen der unbegründeten Ansicht der Tatrichter (vgl US 27) – gleich günstig wie der vom Erstgericht zu I subsumierte § 107b Abs 1, 3 Z 1, Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB idF vor BGBl I 2019/105 und war daher nach der Anordnung des § 61 zweiter Satz StGB anzuwenden.
[12] Zu II wiederum subsumierte das Erstgericht das angelastete Verhalten in einem Fall dem Verbrechen nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB „idF vor BGBl I 2019/105“, obwohl diese Fassung nicht günstiger war als die im Urteilszeitpunkt geltende Fassung. Da ein Schuldspruch nach § 201 Abs 1 StGB nicht erfolgte, geht der Verweis auf den im Tatzeitraum günstigeren Grundtatbestand (US 27) ins Leere.
[13] Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
[14] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)