OGH 14Os101/07w (14Os102/07t)

OGH14Os101/07w (14Os102/07t)28.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael B***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 U 129/06x des Bezirksgerichtes Baden, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des genannten Gerichtes vom 10. Jänner 2007, GZ 12 U 129/06x-8, und vom 28. März 2007, GZ 12 U 129/06x-15, in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Höpler, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten Michael B***** und Sinisa B***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 12 U 129/06x des Bezirksgerichtes Baden verletzen das Gesetz:

1. das Urteil vom 10. Jänner 2007, GZ 12 U 129/06x-8, in seinem „nachträglichen Strafausspruch" zum Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 12. Oktober 2005, GZ 36 Hv 130/05z-46, in den Bestimmungen der §§ 16 Abs 1 JGG, 494a Abs 1 Z 3 und Abs 3 StPO;

2. die gekürzten Urteilsausfertigungen vom 10. Jänner 2007, GZ 12 U 129/06x-8, und vom 28. März 2007, GZ 12 U 129/06x-15, in der Bestimmung des §§ 458 Abs 3 Z 1 (§ 270 Abs 2 Z 2) StPO;

Das Urteil vom 10. Jänner 2007, GZ 12 U 129/06x-8, das im Übrigen unberührt bleibt, wird „im Ausspruch über die nachträgliche Festsetzung einer Strafe von sechs Wochen bedingt auf drei Jahre Probezeit" zum Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Oktober 2005, GZ 36 Hv 130/05z-46, ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen Schuldspruch eines Mitangeklagten enthaltenden - Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 12. Oktober 2005, GZ 36 Hv 130/05z-46, wurde der am 4. Mai 1990 geborene Michael B***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 15 StGB, teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 Abs 1 JGG wurde der Ausspruch der Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten und gemäß § 50 Abs 1 StGB Bewährungshilfe angeordnet.

Am 2. Oktober 2007 brachte die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt beim Bezirksgericht Baden zu AZ 12 U 129/06x einen Antrag auf Bestrafung des Michael B***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB ein (ON 3). In der Übersendungsnote wurde darauf hingewiesen, dass „gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO ... das Strafverfahren des Landesgerichtes Wr. Neustadt, AZ 36 Hv 130/05z, gemäß § 56 StPO zwecks nachträglichem Ausspruch der Strafe einzubeziehen sein wird" (S 1).

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 wurde das Verfahren des Landesgerichtes Wr. Neustadt, AZ 36 Hv 130/05z gemäß § 56 StPO einbezogen.

In der am 10. Jänner 2007 in Anwesenheit des Beschuldigten Michael B***** durchgeführten Hauptverhandlung wurde eine - diesen Beschuldigten und Sinisa B***** betreffende - „Nachtragsanzeige" gemäß § 56 StPO einbezogen. Nach Ausfolgung des bezughabenden Nachtragsbestrafungsantrags an Michael B*****, seiner Vernehmung zu sämtlichen angeklagten Sachverhalten, der Befragung einer Zeugin, Verlesung „der Anzeige" und der Strafregisterauskunft, Ausscheidung des Verfahrens gegen Sinisa B***** und Schluss des Beweisverfahrens hinsichtlich Michael B***** beantragte die Bezirksanwältin „wie schriftlich" und die Bewährungshelferin des Michael B***** „verwies auf den Bericht" (gemeint: den aktenkundigen Bericht des Vereins „Neustart" vom 9. Jänner 2007 zum bisherigen Betreuungsverlauf [ON 7]).

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil erfolgte sodann ein Schuldspruch des Michael B***** wegen des im Zeitraum vom 3. bis 13. Juli 2006, sohin während der Probezeit, begangenen Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB. Die Bezirksrichterin verhängte nach der genannten Gesetzesstelle eine - unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene - Freiheitsstrafe von drei Wochen. Darüber hinaus erkannte sie unter einem - ungeachtet fehlender Antragstellung der Staatsanwaltschaft und ohne den Beschuldigten und die Bezirksanwältin dazu zu hören (sowie ohne in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen) - in einem gesonderten Strafausspruch nachträglich zum Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 12. Oktober 2005, GZ 36 Hv 130/05z-46, auf eine sechswöchige Freiheitsstrafe, deren Vollzug ebenfalls für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Am 21. Februar 2007 und 28. März 2007 wurde aufgrund des Bestrafungsantrags vom 10. Jänner 2007 die Hauptverhandlung in Ansehung des Beschuldigten Sinisa B***** durchgeführt und der Genannte mit - ebenfalls unbekämpft gebliebenem - Urteil vom 28. März 2007 der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB und der Hehlerei nach § 164 Abs 2 stGB schuldig erkannt.

Den Protokollen über die Hauptverhandlungen gegen Michael und Sinisa B*****, in welchen die genannten Schuldsprüche festgehalten wurden (ON 8 und 15), sind zwar die Namen der Beschuldigten, nicht aber Tag und Ort ihrer Geburt, ihre Staatsangehörigkeit und ihr Beruf zu entnehmen.

Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, liegen mehrfache Gesetzesverletzungen vor:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 16 Abs 1 erster Satz JGG bedarf eine nachträgliche Straffestsetzung eines darauf abzielenden Antrages der Staatsanwaltschaft. Ein solcher wurde im konkreten Fall jedoch nicht gestellt. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt auf die Notwendigkeit, die Akten über die frühere Verurteilung beizuschaffen und das Verfahren gemäß § 56 StPO „zwecks nachträglichem Ausspruch der Strafe" einzubeziehen, stellt keinen konkreten Antrag im Sinne des § 16 Abs 1 erster Satz JGG dar.

Im Fall eines nachträglichen Ausspruches einer gemäß § 13 Abs 1 JGG vorbehaltenen Strafe durch das über die innerhalb der Probezeit begangene Straftat erkennende Gericht ist die Unrechtsfolge gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Das Gesetz schließt einen nachträglichen Strafausspruch als gesonderte Unrechtsfolge aus und schreibt insoweit eine von der Fiktion einer gemeinsamen Aburteilung aller zu ahndenden Taten ausgehende Festsetzung der Sanktion nach den Bestimmungen über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 28 StGB) vor. Die gemeinsame Strafbemessung nach § 494a Abs 1 Z 3 StPO darf nur in dem hier nicht aktuellen Fall, dass die maßgebenden Vorschriften über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen derartige getrennte Strafen vorsehen, zu gesonderten Strafaussprüchen führen (Jerabek, WK- StPO § 494a Rz 3; Schroll in WK² JGG § 15 Rz 7, 9; Mayerhofer Nebenstrafrecht5 § 16 JGG E 13).

Vorliegend wäre demgemäß - spezialpräventive Notwendigkeit vorausgesetzt - unter Zugrundelegung beider Schuldsprüche urteilsmäßig (§ 16 Abs 1 zweiter Satz JGG) nur eine Strafe zu verhängen gewesen.

§ 494a Abs 3 StPO verpflichtet das Gericht, vor seiner Entscheidung über (ua) einen nachträglichen Ausspruch der Strafe (§§ 15, 16 JGG) den Ankläger, den Angeklagten und den Bewährungshelfer zu hören und Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen. Fallaktuell erfolgte zwar die Anhörung der Bewährungshelferin, die dazu auf einen schriftlichen Bericht vom Vortag verwies. Dass auch dem Beschuldigten und der Bezirksanwältin Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde (sowie dass das Gericht in die Vorakten Einsicht genommen hat), lässt sich dem Protokoll über die Hauptverhandlung nicht entnehmen.

Da sich die festgestellten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Beschuldigten auswirken, war der gesetzwidrige nachträgliche Strafausspruch ersatzlos zu eliminieren.

Gemäß § 458 Abs 3 Z 1 StPO hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 erwähnten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe, demgemäß (ua) auch Tag und Ort der Geburt des Verurteilten, seine Staatsangehörigkeit und seinen Beruf, zu enthalten.

Durch den Mangel der - in den Protokollen über die Hauptverhandlungen vom 10. Jänner und 28. März 2007 enthaltenen, den Voraussetzungen des § 458 Abs 3 im Übrigen entsprechenden - bekämpften Urteile in gekürzter Form an derartigen Angaben ist daher das Gesetz in der Bestimmung des § 458 Abs 3 Z 1 (§ 270 Abs 2Z 2) StPO verletzt. Diese Gesetzesverletzung war festzustellen; zu einer Maßnahme nach § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof insoweit jedoch nicht veranlasst.

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